
Bewertung: 4 / 5
Eine überzeichnete Dramatisierung und unterschwellige Satire realer, gesellschaftlicher und medialer Zustände und Ereignisse. Nach den Geschehnissen in "Joker" ist Arthur Fleck / Joker nun ein großer Star, seine Geschichte wurde für das Fernsehen verfilmt, der Gerichtsprozess wird live im Fernsehen übertragen, im Gefängnis ist er beliebt, auf dem Straßen tummeln sich seine Anhänger, sie versammeln sich vor dem Gerichtsgebäude, sitzen im Publikum der Gerichtsverhandlung. Die Studio- und Theaterauftritte bleiben Arthur Fleck verwehrt, also macht er nun das Gefängnis und den Gerichtssaal zu seiner Bühne; zum Beispiel wenn er live seine Anwältin feuert und anfängt, sich in voller Joker-Montur selbst zu verteidigen, dann handelt es sich um eine der lustigsten Szenen des Kinojahres.
"Joker: Folie à Deux" spielt mit dem Rummel und der Rezeption eines Gerichtsprozesses wie Johnny Depp v. Amber Heard, der Zirkusveranstaltung von Öffentlichkeitspersonen wie Donald Trump, der Verachtung und Ridikülisierung staatlich-demokratischer Instanzen durch selbige Personen und deren Anhängerschaft. Die Idolisierung Arthur Flecks / des Jokers erhält Risse, es ist spannend zu beobachten, wie die Fans und Anhänger reagieren, wenn sich ihr Idol und Heilsbringer nicht als das herausstellt, für was sie ihn gehalten haben, beziehungsweise wenn sich Arthur Flecks Selbstwahrnehmung letztendlich nicht mit deren Vorstellungen deckt.
Trailer zu Joker - Folie à Deux
Unter den Fans steht hierbei besonders Harleen "Lee" Quinzel im Fokus, zwischen der und Arthur Fleck / Joker sich eine ambivalente Liebesbeziehung entwickelt, die zwischen toxisch und leidenschaftlich-sinnlich hin- und herschwankt. Bei Lee kann man sich interessanterweise nie sicher sein, ob/wann es sich um echte romantische Gefühle oder um eine bloße Verehrung ihres Idols handelt, welche ihrer Geschichten wahr sind und welche nur erfunden, um ihrem Idol nahe zu kommen.
Hier kommen dann auch die Gesangseinlagen ins Spiel (Musical kann man das finde ich kaum nennen, dafür fehlen richtige Tanzeinlagen und es wird meistens auch zu konservativ und verschüchert in Szene gesetzt), Gesang wird im Film in erster Linie im Zusammenhang von Arthur / Joker und Lee eingesetzt, wenn die beiden miteinander agieren oder aneinander denken. Sie sind nicht in der Lage, ihre (überwältigenden) Gefühle füreinander - insbesondere die positiven - sprachlich zu formulieren und auszudrücken, weswegen dies schließlich über den Gesang geschieht. Erst am Ende, wenn Arthur sich zu sich selbst bekennt, gegen den Joker und die von außen aufgestülpte Persona, möchte er nicht mehr singen, möchte dass Lee aufhört zu singen. Und wird fallengelassen.
An Musik-Einzelszenen stechen für mich zwei Einlagen heraus, die beide hinsichtlich Inszenierung und/oder Tanz einem klassischen Musicalfilm auch am nächsten kommen. Zum einen "Gonna Build a Mountain"(?), wenn Arthur mit Lee einen Band-Liveauftritt imaginiert (geht grob in die Richtung von "Start a Fire" aus "La La Land") und zum Anderen "When The Saints Go Marching On", wenn Arthur und die Gefängnisinsassen aufgeputscht frei drehen. Letzteres Lied ist ohnehin der eingängie Themesong der Insassen, die sich als Fans von Arthur Fleck / Joker selbst als Saints (dt. Heilige) bezeichnen. Nebenher erzielt Hildur Guðnadóttirs düster-bedrohlicher Score aus dem Vorgänger wieder seinen vollen Effekt.
Schauspielerisch trumpht wie im Vorgänger erneut Joaquin Phoenix auf, mit Nominierungen in der Award-Saison kann man da (eventuell in Ermangelung von Konkurrenz) wieder rechnen. Lady Gaga spielt soweit in Ordnung, ihre Stärken liegen hier aber klar im Gesang. Positiv hervorzuheben ist ansonsten noch Brendan Gleeson als Gefängniswärter, der zu Arthur Fleck / Joker eine fragile Beziehung zwischen Dominanz und Respekt pflegt, die sich mitunter durch den Austausch von Witzen und Zigaretten speist. Gleeson steuert für den Film sogar eigene Songs bei! Und apropos Zigaretten, das Rauchen hat in "Joker: Folie à Deux" schon einen außergewöhnlichen Sexappeal, sowas sieht man im heutigen Kino eher selten^^
Anmerkung für die DC-Historie: Harry Lawtey als Harvey Dent, bei dem man nach der Explosion des Gerichtsgebäudes spekulieren kann, ob er nun zu Two-Face wird. Und nach dem Ende des Films stellt sich mir die Frage, ob wir in der letzten Szene einen anderen / neuen Joker zu Gesicht bekommen haben, der Psychopath schneidet sich nach dem Mord immerhin ein Glasgow-Lächeln.
Fazit: Eine gelungene Fortsetzung, die für mich aber nicht ganz die Qualität des Vorgängers erreicht, im Vergleich fehlt mir unterm Strich doch etwas dessen radikale und kontroverse Energie.
Lady Gagas großartiges Soundtrack-Album zum Film:
https://www.youtube.com/channel/UCNL1ZadSjHpjm4q9j2sVtOA
