Bewertung: 3.5 / 5
Warum werden junge Menschen Neonazis? Welche Dynamiken gibt es in rechstradikalen Gruppen? - Wie brisant die hervorragende MilieustudieKriegerin wirklich ist, zeigen die aktuellen Ereignisse um die Zwickauer Terrorzelle. David Wnendts Regiedebüt ist bedrückend realistisch, sein Film konzentriert sich auf zwei Mädchen in der Szene, irgendwo in einer ostdeutschen Kleinstadt, die gar nicht mal unbedingt in Ostdeutschland liegen muss. Die Mechanismen greifen überall, wo es keine Perspektive gibt, sondern nur Langeweile und Wut.
Kriegerin ist ein Film über die Wirklichkeit. Figuren und Story sind Destillate aus Beobachtungen und Interviews, die Wnendt in der Szene machte. Der 34-jährige Absolvent der HFF "Konrad Wolf" Potsdam-Babelsberg hat gut und ausführlich recherchiert und inszenierte seinen Abschlussfilm in einem semi-dokumentarischen Stil.
Wnendt zeigt die Mechanismen innerhalb rechtsradikaler Gruppen auf und analysiert, wie Neuzugänge rekrutiert werden, beziehungsweise, wie sie sich selbst rekrutieren. Svenja (Jella Haase) ist zum Beispiel eine intelligente, weltoffene Musterschülerin. Aber sie ist auch eine Teenagerin und hat Lust auf Rebellion, zumal ihr Vater ein (etwas überzeichneter) Despot ist. Svenja sucht ihren Platz in der Welt, will sich abgrenzen und rutscht über ihren neuen Lover in die Szene. Rechtsradikal ist sie eigentlich nicht, aber sie adaptiert das Gedankengut, um Halt zu finden und dazuzugehören.
Im Mittelpunkt aber steht die 20-jährige Marisa, die von der Newcomerin Alina Levshin mit beeindruckender Präsenz und Körperlichkeit gespielt wird. Irgendwo in der Provinz hängt sie mit ihren Kumpels ab, jagt Ausländer im Regionalzug, jobbt im Supermarkt, legt sich regelmäßig mit ihrer Mutter an und kümmert sich liebevoll um ihren Opa. Der hatte sie einst zur Kriegerin gemacht: Er wollte eine starke Enkelin, die sich nicht unterkriegen lässt und schuf ein Monster.
Kriegerin ist ein sehr physischer Film, mit einer komplexen Protagonistin und stimmiger Atmosphäre. Und er zeigt, dass rechtes Gedankengut keineswegs bekennenden Neonazis vorbehalten ist. Das macht Angst, das ist echt und wiegt mehr als dramaturgische Schwächen, skizzenhaft ausgearbeitete Nebenfiguren und gelegentlich plakativ wirkenden Motiven, wie die zerrüttete Familie Marisas. Wichtiger ist der Einblick, den Kriegerin in gruppendynamische Prozesse gibt. Gewalt, Sex, Saufexzesse - das ist stimmig erzählt. Wenn Marisa mit ihrer Neonazi-Clique am Baggersee rumhängt, dann wirken sie fast wie normale Jugendliche, die einen Sommerabend genießen.
Bis zwei Asylbewerber in der Nähe baden wollen und Marisa ausrastet, weil es sich so gehört: Sie rammt die Jungs mit ihrem Auto von der Straße, wird dann aber von ihrem Gewissen gequält. Nachzudenken und in der Konsequenz aus der Szene auszusteigen aber ist schwierig, wenn das Hakenkreuz ins Gehirn tätowiert ist. Nicht jeder kann sich von alten Denkmustern befreien. Und wenn doch, gibt es immer noch Kumpel und Demagogen, die Zwang ausüben oder einen Revolver zur Hand haben.
Kriegerin bekommt 3,5 von 5 Hüten.
(Quelle: teleschau - der mediendienst | Andreas Fischer)