Bewertung: 3 / 5
Ein Vergleich der ersten Staffel mit der Romanvorlage von Philip K. Dick, als Fan des Romans ließ mich die Staffel insgesamt zwiegespalten zurück.
Der Inhalt des an sich spannenden und hervorragend ausgestatteten Alternativszenarios, in dem die Nazis und die Japaner den Zweiten Weltkrieg gewannen, wird auf formaler Ebene meiner Meinung nach bieder und konservativ transportiert, filmtechnische und kreative Spielereien sowie eine Bildsprache finden sich nur selten. Es wirkt zum Großteil so, als habe man den Plot, der im Drehbuch steht, einfach nur 1:1 abgefilmt.
Trailer zu The Man in the High Castle
Ansonsten störe ich mich an einigen inhaltlichen Änderungen und Kürzungen im Vergleich mit der Romanvorlage, durch welche die Handlung der Serie uninteressanter gestaltet wird.
Erstens: Der Hauptcharakter Joe Blake wird in der Serie als normaler arisch bzw. nordisch aussehender US-Amerikaner dargestellt, während es sich bei ihm im Roman um einen Italiener (namens Joe Cinnadella) handelt. Der Roman beschäftigt sich dahingehend mit der Problematik, dass Italiener als Nicht-Arier in den Nazi-USA als minderwertiger betrachtet werden, obwohl sie zu den Weltkriegsgewinnern zählen, und dementsprechend nur zweitklassige Jobs wie das Fahren von LKWs ausüben können, das fällt in der Serie weg.
Zweitens: Frank Frink und Juliana Crain sind in der Serie noch ein Paar, zudem wird eine Liebesdreiecksbeziehung zwischen Frank, Juliana und Joe etabliert, was als Handlungselement wohl dazu dient, um aus dem 270-Seiten-Roman eine vollwertige Serie mit vier Staffeln zu kreieren. Julianas Charakter wird darauf aufbauend anders gezeichnet, ihre Bindungsangst und Angst vor Männern im Roman machen in der Serie Platz für einen inneren Konflikt zwischen der Liebe zum jüdischen Rebellen Frank und zum (Ex-)Nazi Joe.
Drittens: Der Roman-Haupthandlungsstrang über das Sterben der alten US-amerikanischen und die Entstehung einer neuen US-japanischen Kultur wird in Staffel 1 (Frank Frink, Robert Childan, das japanische Ehepaar) nur angerissen, das kann in den späteren Staffeln aber natürlich noch ausgebaut werden. Besonders aufschlussreich fand ich es im Roman, wie sich diese neue japanisch-US-amerikanische Kultur im Einklang mit dem Kapitalismus bewegt und als Fundament für die Bildung einer neuen kapitalistischen Blase fungiert. US-Kulturgegenstände entwickeln zu begehrten Luxusgütern für die Japaner, oft dienen sie als Geschenk für Lebenspartner, die Familie, Freunde, Vorgesetzte oder Geschäftspartner, der Handel mit echt wirkenden Fälschungen ist für die meisten dabei nur ein offenes Geheimnis.
Ironischer- und passenderweise stellt sich in der Serie ein Charakter als der für mich Spannendste und Interessanteste heraus, der im Roman gar nicht existiert. SS-Oberstgruppenführer John Smith, gespielt von Rufus Sewell. Grau gezeichnet, John Smith tritt sowohl als Antagonist als auch als Protagonist auf. Zum Einen lebt er die NS-Ideologie nach außen aus und fordert sie von den Zivilisten und seinen Untergebenen, zum Anderen leidet sein Sohn zunehmend unter einer vererbten Muskelerkrankung, was er zu kaschieren sucht, und gerät ungewollt in eine Verschwörung sowie Putsch hinein, die größer sind als er selbst.
Die Zuspitzung gerade dieses Putschversuchs und die damit zusammenhängende Gefahr eines Dritten Weltkriegs zwischen Japan und dem Nazireich in der finalen zehnten Episode ist mein Highlight der Staffel, insbesondere weil die Möglichkeit eines Krieges sowohl aus Sicht der Nazis als auch der Japaner beleuchtet und bewertet wird. Hier führt die Serie den Zuschauer wie der Roman den Leser gekonnt aufs Glatteis und lässt ihn Sympathien für Konfliktparteien abwägen, die normal in keinster Weise als sympathisch oder humanistisch gelten würden. Soll man zu Adolf Hitler halten, weil er den Frieden zwischen Japan und Deutschland wahren möchte, während eine Verschwörung hochranniger NS-Offiziere seinen Tod und einen Krieg gegen das schwächere Japan wollen, um die Gesamtherrschaft zu erlangen? in diesem Moment stellt "The Man in the High Castle" eindrucksvoll zur Schau, dass die Ideologien des Nationalsozialismus und die des japanischen Kaiserreiches einen Teufelskreis bzw. eine Teufelsspirale darstellen, die sich im Falle des Sieges im Zweiten Weltkrieg immer weiter und tiefer drehen würden. Wer die halbe Welt erobert hat, möchte irgendwann auch die ganze haben, und irgendwann würde auch ein Adolf Hitler als alt, seniil und schwach gelten. Die NS-Ideologie gibt vor, dass die Starken entweder über die Schwachen (Hitler, Japan) siegen oder bei einer Niederlage selbst als Schwache untergehen müssen.
Somit endet Staffel 1 nach einer langen, mittelprächtigen Exposition doch noch mit einem inhaltlich hochwertigen Knall, welcher der Romanvorlage gerecht wird, ich würde die Staffel mit 5-6/10 Punkten bewerten. Jetzt bleibt die Frage, ob die kommenden Staffeln dies aufrechterhalten und fortsetzten können.