Bewertung: 3.5 / 5
Überraschenderweise hat mir Staffel 2 bedeutend besser gefallen als Staffel 1.
Der Handlungsstrang über John Smiths Familie geht nach Staffel 1 dramatisch in die Tiefe - Rufus Sewell spielt überragend - und bietet so ziemlich alles, was ich in "Charité - Staffel 2" vermisste. Kein vereinfachtes Gut (Rebellen, ehrenhafte Mutter) gegen Böse (Nazis, verzerrte Nazi-Mutter), sondern eine ehrliche, menschliche und in Grautönen gezeichnete Nazi-Familie, die enorm darunter leidet, dass sie bzw. ihr Sohn nicht mehr dem NS-Bild der arischen Herrenrasse entsprechen, obwohl sie eigentlich der NS-Ideologie folgen. Im hochspannenden Staffelfinale werden dahingehend diverse Handlungsstränge zusammengeführt und mit einem Knall beendet, an diese Qualität knüpft Staffel 3 mit einer hochemotionalen Feier- und Redeszene an, in der das NS-Bild der arischen Herrenrasse abermals schockierend offengelegt wird.
Trailer zu The Man in the High Castle
Ansonsten finde ich es spannend, wie die Nachfolgegeneration der deutschen Nazis charakterisiert wird. Hinsichtlich ihrer Parties, ihrer Drogen- und Sexorigen sowie ihrer Ansichten zur NS-Umweltpolitik (Kritik an der Trockenlegung des Mittelmeers) scheinen sie sich zum Einen auf die Kultur der Weimarer Republik rückzubesinnen und zum Anderen ein Pendant der Gegenkultur der realen 1960er darzustellen. In der Parallelrealität kämpft die Generation der Kriegskinder derweil für Frieden und die nukleare Abrüstung.
Im kleinen Rahmen spiegelt die fünfte Episode mit einer Szene die Situation des Kalten Krieges wieder, was in der gesamten Serie im großen Rahmen geschieht. Der japanische Kempetai-Chief-Inspector Takeshi Kido besucht NS-Obergruppenführer John Smith, währenddessen endeckt Kido einen US-Orden, der Smith für seinen Einsatz auf den Salomon-Inseln im Pazifikkrieg verliehen wurde. Kido kämpfte dort ebenfalls, sie standen sich damals also als Feinde gegenüber, während sie in der 1960er-Gegenwart eigentlich Verbündete sind. Eigentlich. Eigentlich sollten sie Verbündete sein, zwischen den beiden Siegermächten haben sich aber längst neue Fronten aufgetan.
Die beiden Siegermächte (USA, UdSSR - -> Deutschland, Japan) teilten das Feindesland (Europa/Deutschland - -> USA) unter sich auf, geraten dann aber in Konflikt miteinander, weil sich beide selbst als die überlegene Weltmacht ansehen. John Smith steht dabei sinnbildlich für einen NS-Offizier oder -Poltiker, der sich nach dem Kriegsende der Demokratie verschworen und mittlerweile einen hohen Posten in der Politik der BRD inne hat, und als US-Verbündeter Westdeutscher nun auf einen sowjetischen Poltiker oder Geheimdienstler trifft.
Darüberhinaus wird die Serie in Staffel 2 jüdisch-kulturell aufgeladen, was mich positiv üverrascht. Wurden die jüdischen Charaktere bisher nur als normale Opfer und Widerstandskämpfer dargestellt, spricht der jüdische Hauptcharakter Frank Frink nun davon, wie Moses Plagen über den japanischen "Pharao" hereinbrechen zu lassen, und handelt dahingehend.
Neben der oben genannten "Kalter Krieg"-Szene enthält Episode 5 noch eine weitere Szene mit hohem Informationsgehalt: Die Bestattung der Widerstandskämpferin Karen Vecchione, bei der ein christlicher Priester die Bestattungsrede hält. Gottesglaube, speziell christlicher, ist ein essentieller Bestandteil der US-amerikanischen Kultur und ihrer Werte, dementsprechend hält auch ein Priester die Rede für die Bestattung einer Frau, die für die Freiheit und Befreiung der alten USA kämpft. Die NS-Ideologie hat sich dagegen von Gott losgesagt, die Evolutionstheorie ins Zentrum des menschlichen Selbstbildes gestellt und den Menschen zum Gott erhoben. Dies thematisiert die Staffel in einer der vorherigen Episoden, in der Reichsminister Heusmann begeistert davon erzählt, welche Freiheiten der Mensch ohne Gottenseinfluss genießt und zu welchen Meisterleistungen er sich aufschwingen kann. Dabei führt er die Wunderstadt Berlin und zukünftige Projekte, wie die Trockenlegung des Mittelmeers als Nutzbarmachung für neues Ackerland, als Beispiele an.
In Episode 7 bekommt man als Zuschauer einen Eindruck davon, wie die Nazis ihre Ideologie und den Führerkult erfolgreich in der US-Gesellschaft und US-Kultur verankern. Ironischerweise haben die Nazis dabei vom Christentum gelernt, um es dann abzuschaffen. Während sich das Christentum im Mittelalter in Europa verbreitete, wurden die bestehenden Kulturen, Religionen und Volkstraditionen nicht von Grund auf umgekrempelt, viel mehr verschmolzen sie zu etwas Neuartigem. Um die heidnischen Menschen einzubinden, übernahm das Christentum also bereits Bestehendes für sich selbst, am Bekanntesten dürfte da wohl die Zusammenlegung des Weihnachtsfestes und der Wintersonnenwende sein.
In den NS-USA der 1960er Jahre wurden die christlichen Priester ihres Amtes enthoben, folglich dürfte es im öffentlichen Leben keinen christlichen Glauben mehr geben. Anstatt die Kirchen niederzureißen und den Gottesdient abzuschaffen, werden diese von den Nazis umfunktionert. Aus den Gotteshäusern werden Führerhäuser, hinter dem Alter prangt nun ein großes Bild Adolf Hitlers, der Prunk wird beibehalten. Man versammelt sich zu besonderen Anlässen wie z.B. Beerdigungen, NS-Priester halten Reden und es wird zusammen gesungen, wie in den alten christlichen Zeiten.
Wie schon erwähnt, konnte die erste Episode der dritten Staffel an die Qulität der zweiten Staffel anknüpfen, da bin ich nun gespannt, was in der dritten und später dann in der finalen, vierten Staffel noch alles geschehen wird!