Nachdem wir uns in unserem ersten Special über die Entwicklung der Comicverfilmungen mit dem Zeitraum 1975-1999 beschäftigt haben, kommen wir nun der gefühlten Gegenwart näher.
Während die Jahrzehnte zuvor von Batman und Superman dominiert wurden, setzte in den späten 90ern ein Wechsel ein. MARVEL vergab zunehmend Lizenzen an Firmen wie Universal, 20th Century Fox oder Sony Pictures. Warner Bros., die es mit Batman & Robin schafften, eine der wichtigsten Marken von DC Comics gegen die Wand zu fahren, zog sich etwas aus dem Geschäft zurück. Zwar gab es immer wieder Überlegungen für einen Batman vs. Superman-Film und auch die Justice League war nicht nur heute, sondern auch damals ein Thema, aber ohne richtiges Konzept wurde die Kinolandschaft schon bald den Helden von MARVEL überlassen. In den 00er-Jahren gab es mit Blade 2, Blade - Trinity und Men in Black 2 eine gewisse Resteverwertung, die kommenden Jahre gehörten dann aber neuen, frischen Projekten.
Während die auf MARVEL-Marken basierenden Produktionen Ende der 90er langsam zunahmen, markierte erst das Jahr 2000 einen richtigen Wendepunkt. Die inzwischen fortgeschrittene Computer-Tricktechnik ermöglichte es endlich, Comichelden - allen voran Superhelden und ihre Kräfte - so zu inszenieren, dass ein Film nicht zu einem Kasperletheater verkommt. Die modernen Rechenknechte sorgten für nie dagewesene Effekte und davon profitierten die MARVEL-Produktionen enorm. Einer der ersten Filme, die diese neue Ära einläutete, war das von Bryan Singer verfilmte X-Men. 20th Century Fox hatte zuvor von MARVEL die Rechte am X-Men-Universum erworben und startete mit aus heutiger Sicht günstigen 75 Mio. $ einen Testballon. Singer setzte bei seinem Film noch auf dezenten Tricktechnikeinsatz und eine dominierende Story. Mit 300 Mio. $ war der Film nicht mit den Blockbustern der Neuzeit zu vergleichen, aber dennoch ein großer Hit.
Er bewies, dass Erfolge noch immer möglich sind, die Zuschauer das Interesse an Superhelden nicht verloren haben und dass vor allem Menschen erreicht werden können, die keine wirklichen Comicsfans sind. Dabei gab es unter den Fans heftige Diskussionen, die selbst im Jahr 2013 nicht ganz abebben. Vor allem die optischen Anpassungen der Figuren im Gegensatz zu den Comics sorgten bei vielen Lesern für Unmut. Der Rest der Zuschauer liebte hingegen den Auftakt und für viele verschmolz Hugh Jackman mit Wolverine. Mit X-Men - Der Film wurde in gewisser Weise die Comicwelle richtig losgetreten, weswegen wir diese Phase immer gern als X-Men-Ära bezeichnen.
© 20th Century Fox / Marvel
Gleichwohl waren es nicht Fox und die X-Men, die für das große Medieninteresse sorgten, sondern ein von Sony Pictures umgesetztes MARVEL-Projekt. Mit Sam Raimi holte sich Sony einen Trashhorror-Regisseur ins Boot, um eine der wichtigsten MARVEL-Figuren in die Kinos zu bringen. 2002 war es soweit, Spider-Man wurde mit großem Rummel veröffentlicht. Das, was für DC Comics Superman und Batman darstellen, ist ohne Frage Spider-Man für MARVEL. Als erster Film in der Geschichte schaffte es Spider-Man, in den USA mehr als 100 Mio. $ an seinem Startwochenende einzuspielen. Weltweit sollten es am Ende über 800 Mio. $ werden - eine für Comicfilme bisher unvorstellbare Summe. Zwar musste auch Sam Raimi von Fans viel Kritik einstecken, denn biologische Spinnenwerfer, Anpassungen der Story und sein Casting stießen auf wenig Gegenliebe bei Hardcorefans, doch der Konsens war eindeutig, gilt der Film als eine der besten Comicverfilmungen aller Zeiten. Dazu trug Raimis Gespür bei, Witz, Dramaturgie und persönliche Schicksale in Einklang zu bringen. Auch wehrte er sich gegen klassisches Schwarz/Weiß-Denken und lieferte dem Zuschauer aus der Not geborene Schurken. Selbst der Storybogen, der bereits über einen Film hinausdachte und Figuren früh etablierte, zeigt noch heute, was Raimi seinerzeit alles richtig machte und wovon viele Comicverfilmungen heute noch lernen können.
2004 folgte mit Spider-Man 2 die Fortsetzung. Sony beschleunigte hier enorm das Produktionstempo. Waren bisher drei bis fünf Jahre für Fortsetzungen üblich, wurde dies nun auf zwei Jahre gesenkt und inzwischen hat sich bei vielen Filmen ein Fortsetzungsrhythmus von zwei bis drei Jahren etabliert. Über den Film selbst brauchen wir nicht viele Worte verlieren, Raimi überbot sich selbst: Spider-Man 2 war eine der wenigen Fortsetzungen, die qualitativ dem Vorgänger ebenbürtig sind. Leider konnte Raimi diese Qualität nicht bis zum Ende durchhalten, Spider-Man 3 stellte mit 890 Mio. $ weltweiten Einnahmen zwar den erfolgreichsten Teil dar, Raimi verlor aber massiv an Einfluss im Film, was zu einem überladenen Schurkenensemble führte. Für uns dennoch ein unterhaltsamer Film.
© Sony Pictures / Marvel
Doch nicht nur Sony war auf eine Goldgrube gestoßen. Auch 20th Century Fox wusste, welchen Schatz sie mit MARVELs geistigem Eigentum im Portfolio hatten. 2003 erschien das dem ersten Teil deutlich überlegene X-Men 2, mit dem Bryan Singer einmal mehr sein Talent als Regisseur unter Beweis stellte. Die Komplexität von Comicverfilmungen nahm spürbar zu. Leider sorgte die Liebe zu Superman dazu, dass Singer seine Trilogie mit X-Men - Der letzte Widerstand nicht abschließen konnte. An seiner Statt durfte sich Brett Ratner versuchen - ein actionreiches, aber nicht ganz würdiges Finale war 2006 das Ergebnis. Die X-Men teilten damit wie andere Filmreihen das Schicksal, dass eine Trilogie im dritten Teil schwächelt.
Neben den X-Men versuchte sich Fox ab 2003 auch an anderen MARVEL-Marken, Glück hatte der Konzern damit aber nicht. Weder gelang ein nennenswerter Erfolg mit den Daredevil/Elektra-Filmen (die Reboot-Idee wurde inzwischen verworfen und die Rechte liegen wieder bei MARVEL), noch mit den wirklich bekannten Fantastic Four. Der erste Teil 2005 und der zweite Teil Fantastic Four - Rise of the Silver Surfer schwammen auf der Comicwelle mit, boten aber Unterhaltung zum Davonlaufen. Wie alle Comicverfilmungen waren sie aber ein kommerzieller Erfolg und ein Reboot ist inzwischen für 2015 geplant. Ebenfalls wenig Glück hatte Sony, als sie MARVELs Ghost Rider 2007 in die Kinos brachten.
© 20th Century Fox / Marvel
Auch andernorts wollten Studios etwas vom großen Kuchen abhaben. Universal sicherte sich die Lizenz am grünen Riesen und 2003 kam Ang Lees Hulk in die Kinos. Bis heute ist dies eine der ungewöhnlichsten Comicverfilmungen, deren psychologische Komponente vielen Zuschauern sauer aufstieß und gerade deshalb oft verkannt wird. Der finanzielle Erfolg blieb für Universal aus.
Trotz aller Höhen und Tiefen dominierte MARVEL inzwischen das Filmgeschäft und Warner Bros. musste dagegen halten. 2004 wurde Catwoman aus der Mottenkiste gezaubert - die Saat mit Goldenen Himbeeren im Folgejahr war berechtigt. Ab 2005 fokussierte sich Warner dann wieder auf seine Kernmarken. Mit Batman Begins durfte Christopher Nolan ein wenig Revolution in das Comicgenre bringen. Ein möglichst glaubhaftes Ambiente, menschliche Helden und realistische Schurken. Für uns stellt dieser Film den besten Teil der Nolanschen Batman-Saga dar, da der Brückenschlag zwischen Realitätsbezug und Comicverfilmung sehr gut gelang. Es war ein durch und durch stimmiger Film. Zwar wurden mit 374 Mio. $ keine Rekorde gebrochen, Batman aber erfolgreich von den Toten zurückgeholt. Auch wenn der SPIEGEL seinerzeit polterte "[..] warum ein Filmemacher wie Nolan gebraucht wurde, um ein Stück gesichtslose Massenware zu inszenieren." Zum Glück sahen das viele Zuschauer anders.
© Warner Bros. / DC Comics
Ein Jahr später hoffte Warner darauf, auch einen anderen DC-Helden reanimieren zu können. Der zuvor abgeworbene Bryan Singer durfte 2006 Superman Returns liefern. Mit Brandon Routh als neuem Helden wurde massiv modernisiert, doch Singers Liebe zu Richard Donners Original machte den Film mehr zu einer Hommage als zu einem modernen Comicfilm. Mit fast 400 Mio. $ war der Film zwar erfolgreicher als Nolans Neustart, die langjährigen Produktionsprobleme, die das Budget auf geschätzt 270 Mio. $ haben anwachsen lassen, sorgten jedoch erneut für einen Flop.
Zum Glück hatte Warner nicht nur Pech, denn es gab auch Comicverfilmungen bzw. Verfilmungen von Graphic Novels, denen nicht zwangsläufig der DC-Fluch anhaftete und auch nicht aus dem Hause MARVEL stammten. 2007 zeigte der noch relativ junge Zack Snyder mit 300, welches Talent er in der visuellen Inszenierung besitzt, vor allem wenn es darum geht, aus Standbildern beeindruckende Szenen zu schaffen. Auch andere Regisseure hatten dafür ein Händchen, allen voran Robert Rodriguez, der 2005 mit seiner Film-Noir Comicverfilmung Sin City für Begeisterung sorgte.
© Dimension Films / Weinstein Company
War das schon alles? Nein, natürlich nicht. Nicht jeder Comicverfilmung sah man ihre Herkunft an. Sei es das 2002 veröffentlichte Road to Perdition oder das 2007 erschienene Der Sternwanderer. Auch das beeindruckende V wie Vendetta hat seine Wurzeln im Comicbereich. Selbst die beiden unterirdischen Alien vs. Predator-Crossover fußten auf Comics, die wiederum auf den jeweiligen Filmfranchises basieren. Etwas offensichtlicher war die Herkunft hingegen bei Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen (2003), auch wenn die Comicvorlage aus dem Jahr 1999 noch relativ jung war. Leider stellte dieser Film nicht den angemessenen Abschied von Sean Connery aus dem Filmgeschäft dar. Gesucht und gefunden hatten sich 2004 hingegen Guillermo del Toro und Hellboy. Nachdem Del Toro bereits in Blade 2 Comicerfahrungen sammeln durfte, konnte sich der fantasievolle Regisseur hier ausleben. Leider blieb der kommerzielle Erfolg aus. In den 00er-Jahren durfte sogar Ex-Neo Keanu Reeves Comicluft in Constantine schnuppern.
So erfolgreich viele der Filme auch waren, die Kinolandschaft gehörte zunehmend MARVEL. Ab 2004/2005 setzte im Konzern auch ein konsequentes Umdenken ein. Zwar gab es immer ein gewisses Mitspracherecht, doch das geistige Eigentum lag bisher in den Händen von Fremdfirmen und im Gegensatz zu den Comics operierten die Superhelden in eigenen Universen, Überschneidungen waren nicht möglich. Auch die Qualitätskontrolle war nicht in dem Maße möglich wie bei eigenen Produktionen. Statt direkter Lizenzierungen wurden nun verstärkt Kooperationsverträge, vor allem mit Paramount, geschlossen. Da große Marken bei Sony und Fox lagen, ging es vorerst darum, weitere Comicfiguren zu etablieren. Die große Idee war, ab 2008 ein homogenes Universum zu schaffen, ein Novum im Kino, welches auf Marvels The Avengers hinauslaufen sollte.
Comicverfilmungen 2000-2007
Film | Jahr | US | INT | Gesamt |
X-Men - Der Film | 2000 | 157,3 Mio. $ | 139,0 Mio. $ | 296,3 Mio. $ |
Blade 2 | 2002 | 82,4 Mio. $ | 72,7 Mio. $ | 155,0 Mio. $ |
Men in Black 2 | 2002 | 190,4 Mio. $ | 251,4 Mio. $ | 441,8 Mio. $ |
Road to Perdition | 2002 | 104,5 Mio. $ | 76,5 Mio. $ | 181,0 Mio. $ |
Spider-Man | 2002 | 403,7 Mio. $ | 418,0 Mio. $ | 821,7 Mio. $ |
Daredevil | 2003 | 102,5 Mio. $ | 76,6 Mio. $ | 179,2 Mio. $ |
Hulk | 2003 | 132,2 Mio. $ | 113,2 Mio. $ | 245,4 Mio. $ |
Die Liga der außergew. Gentlemen | 2003 | 66,5 Mio. $ | 112,8 Mio. $ | 179,3 Mio. $ |
X-Men 2 | 2003 | 215,0 Mio. $ | 192,8 Mio. $ | 407,7 Mio. $ |
Alien vs. Predator | 2004 | 80,3 Mio. $ | 92,3 Mio. $ | 172,5 Mio. $ |
Blade - Trinity | 2004 | 52,4 Mio. $ | 76,5 Mio. $ | 128,9 Mio. $ |
Catwoman | 2004 | 40,2 Mio. $ | 41,9 Mio. $ | 82,1 Mio. $ |
Hellboy | 2004 | 59,6 Mio. $ | 39,7 Mio. $ | 99,3 Mio. $ |
Spider-Man 2 | 2004 | 373,6 Mio. $ | 410,0 Mio. $ | 783,6 Mio. $ |
The Punisher | 2004 | 33,8 Mio. $ | 20,9 Mio. $ | 54,7 Mio. $ |
Batman Begins | 2005 | 206,9 Mio. $ | 167,4 Mio. $ | 374,2 Mio. $ |
Constantine | 2005 | 76,0 Mio. $ | 154,9 Mio. $ | 230,9 Mio. $ |
Elektra | 2005 | 24,4 Mio. $ | 32,3 Mio. $ | 56,7 Mio. $ |
Fantastic Four | 2005 | 154,7 Mio. $ | 175,9 Mio. $ | 330,6 Mio. $ |
Sin City | 2005 | 74,1 Mio. $ | 84,7 Mio. $ | 158,8 Mio. $ |
Superman Returns | 2006 | 200,1 Mio. $ | 191,0 Mio. $ | 391,1 Mio. $ |
V wie Vendetta | 2006 | 70,5 Mio. $ | 62,0 Mio. $ | 132,5 Mio. $ |
X-Men - Der letzte Widerstand | 2006 | 234,4 Mio. $ | 225,0 Mio. $ | 459,4 Mio. $ |
300 | 2007 | 210,6 Mio. $ | 245,5 Mio. $ | 456,1 Mio. $ |
30 Days of Night | 2007 | 39,6 Mio. $ | 35,9 Mio. $ | 75,5 Mio. $ |
Aliens vs. Predator 2 | 2007 | 41,8 Mio. $ | 87,1 Mio. $ | 128,9 Mio. $ |
Fantastic Four - Rise of the Silver Surfer | 2007 | 131,9 Mio. $ | 157,1 Mio. $ | 289,0 Mio. $ |
Ghost Rider | 2007 | 115,8 Mio. $ | 112,9 Mio. $ | 228,7 Mio. $ |
Spider-Man 3 | 2007 | 336,5 Mio. $ | 554,3 Mio. $ | 890,9 Mio. $ |
Der Sternwanderer | 2007 | 38,6 Mio. $ | 96,9 Mio. $ | 135,6 Mio. $ |