Wir schreiben das Jahr 2013. In vier Specials (Teil I, II, III, IV) führten wir euch durch die Geschichte der Comicverfilmungen und beschrieben den Wandel über die Jahrzehnte hinweg. Es war die Zeit nach The Dark Knight und Marvels The Avengers, deren Erfolge zum damaligen Zeitpunkt zwar noch spürbar waren, aber ihr Einfluss noch nicht in vollem Umfang abzusehen war, weswegen wir nur einen Blick in die Glaskugel werfen konnten, was die Zukunft betraf. Teil IV, eine spannende Lektüre, auch heute noch.
Inzwischen brauchen wir keine Glaskugel mehr (wir befinden uns 2015) und die letzten Jahre kann man ohne Probleme als Beginn einer weiteren Ära der Comicfilme bezeichnen, denn während Marvel sein Universum endgültig formte, dabei aber auch etwas auf der Stelle trat, war der Einfluss überall spürbar. Kein Mensch hatte damals mit dem unglaublichen Erfolg von Marvels The Avengers gerechnet, der mit 1,5 Mrd. $ zum dritterfolgreichsten Film aller Zeiten wurde. Doch während Marvel der unangefochtene Platzhirsch auf dem Markt der Comicverfilmungen war, ist der Blick darüber hinaus sehr viel spannender für den Moment.
Plagiate, die höchste Form der Anerkennung
Jeder will sein Filmuniversum
Denn der Erfolg von Marvel (alles zur Geschichte hier) bedeutet vor allem eines: Es gibt viele Nachahmer, die auch davon profitieren wollen. So wie erfolgreiche Jugendbuchadaptionen eine regelrechte Schwemme ähnlicher Produktionen nach sich zogen, so ist diese Entwicklung auch in den letzten Jahren auf Basis des Marvel Cinematic Universe (MCU) festzustellen. Dabei stecken die Konkurrenten jeweils noch in unterschiedlichen Stadien fest und legen vielerorts erst den Grundstein dafür, was einst ihre Einnahmen sichern soll und hoffentlich eine Säule ihres Unternehmens darstellen wird.
Allen voran schreitet natürlich Warner Bros. mit DC Comics (zur Geschichte von DC). Hier sind die Pläne in den vergangenen Jahren am weitesten fortgeschritten. Nachdem sich Warner jahrelang schwertat mit seinen Comicadaptionen und es neben Batman nie schaffte, einen anderen Superhelden zu etablieren, soll sich dies mit dem DC Filmuniversum nun ändern. Ausgangspunkt dafür ist selbstverständlich der 2013 veröffentlichte Man of Steel.
Referenzen auf mehr als nur Superman gab es darin schon, doch richtig erweitert wird dies erst 2016 mit Batman v Superman - Dawn of Justice. Superman, Batman, Wonder Woman, Aquaman und mehr geben sich die Klinke in die Hand - DCs Gegenstück zu den Avengers nimmt Konturen an. Doch ist dies nur der Anfang, denn bis 2020 hat Warner seine Comicfilme bereits durchgeplant, wobei zwei Filme pro Jahr erscheinen werden. Kernstücke im Konzept sind natürlich neben vielen Soloabenteuern die beiden Filme Justice League - Part 1 (2017) und Justice League - Part 2 (2019).
Ob Warner dieses Mal mit DC Comics mehr Glück hat, bleibt abzuwarten. Immerhin haben sie zum ersten Mal ein Konzept und wollen sich mit einem kantigeren und ernsteren Stil von Marvels bunter Superheldenwelt distanzieren, was funktionieren kann. Auch in anderen Medien sind sie umtriebig, denn während Marvel selbst im Serienexperiment seiner Idee treu bleibt, produziert Warner losgelöst Serien wie Gotham und The Flash.
Auch andernorts wird versucht, Marvel zu kopieren, lustigerweise mit Inhalten von Marvel, wobei vor allem 20th Century Fox und Sony zu nennen sind. Während Fox sich noch nicht genau entschieden hat, wohin die Reise gehen soll, kamen immer wieder Meldungen auf, man plane die Fantastic Four und X-Men mittelfristig in einem Universum spielen zu lassen. Ob dies in einem der kommenden Filme schon passiert, ist noch unklar. Vorteil bei Fox: Sie haben mit dem X-Men-Universum bereits so viele Superhelden in einem harmonischen Universum angesiedelt, dass dieses nicht zwingend erweitert werden muss und bisher damit auch gute Arbeit geleistet.
Ganz anders Sony Pictures. Hier gab es bereits länger schon Probleme mit den von Marvel lizensierten Superhelden. Der Ghost Rider wollte weder 2007 noch 2012 richtig in Fahrt kommen und der Reboot von The Amazing Spider-Man wurde nicht der erhoffte Erfolg. Dennoch wollte Sony darauf aufbauen, ganz wie Marvel das Universum aufblähen. Geschichten über die Spinne aus der Nachbarschaft sind nicht mehr genug, daher sollten Spin-Offs wie Venom oder The Sinister Six den Karren aus dem Dreck holen. Selbst verrückte Ideen wie ein Tante May-Film kamen ins Gespräch.
Den Grundstein für diesen ambitionierten Plan sollte 2014 The Amazing Spider-Man 2 - Rise of Electro legen. Doch obwohl der Film weltweit 708 Mio. $ einspielte, war er weder bei Fans noch Kritikern besonders beliebt. Spider-Man steckte in einer essentiellen Krise. Überladen mit vielen Ideen, aber keinem echten Ziel stolperte der Film vor sich hin und offenbarte das wahre Problem: Sony wusste nichts mehr mit der Marke anzufangen und klammerte sich hilflos an eine Neuauflage, nur um diese nicht zu verlieren. Inzwischen hat sich das Blatt ein wenig gewendet und Spider-Man kehrt heim, teilweise. Dazu gleich mehr.
Denn die Einflüsse des MCU sind auch andernorts zu spüren und dürften nur die Anfänge genreübergreifender Auswirkungen sein, nicht nur im Comicsegment. Legt zusammen, was nach Meinung der Verantwortlichen zusammengehört, immer auf der Suche nach neuen Einnahmequellen, neuen Franchises, die über Jahre ausgeschlachtet werden können. Zu den Vorreitern bei den verrückten Ideen gehört Universal. Diese haben zwar keine Superhelden, aber etwas, was diesen im Bekanntheitsgrad sehr nahekommt: Filmmonster. Egal ob Frankenstein, der Wolfsmensch oder das Ding aus dem Sumpf, Universal hat sie alle und will sie in einem kontemporären Monsterverse unter einen Hut bringen. Den Anfang machte still und heimlich Dracula Untold; dank geschickter Referenzen und in dem Bewusstsein, keinen großen Hit bei der Hand zu haben, wurden die Referenzen aber massiv eingeschränkt, weswegen Die Mumie 2016 nun den offiziellen Startschuss markiert.
Ähnlich versucht es übrigens auch Sony, hier fügen sich die Puzzleteile aber nur langsam zusammen. Hinter den Kulissen wird ein Geisterjäger-Universum geplant, den Anfang sollen die weiblichen Ghostbusters 2016 machen, dann sind männliche Varianten vielleicht mit Channing Tatum und Chris Pratt geplant, bevor es auch hier Crossover ganz nach Avengers-Stil geben soll.
Und auch auf andere alte Marken hat das MCU Einfluss: Star Wars - Das Erwachen der Macht ist nicht nur der Anfang einer ganz neuen Trilogie, sondern Disney plant auch hier das bekannte Star Wars-Universum massiv mit filmischen Ablegern zu erweitern, ganz nach Marvel-Muster.
Marvels Phase II und der Infinity War
Wie das MCU wachsen wird
Zu folgen ist immer leicht, wenn der Weg geebnet ist. Doch neue Wege zu beschreiten hat den Vorteil, dass der Maßstab von einem selbst gelegt wird. Hatte Marvel viel Energie zwischen 2008 und 2012 in den Aufbau seines Marvel Cinematic Universe investiert und mit Marvels The Avengers die Phase I der Erzählung beendet, begann daraufhin die Umsetzung der Phase II. Wo Konkurrenten verzweifelt versuchen, den Erfolg zu kopieren, konnte Marvel sich in aller Ruhe zurücklehnen und die Früchte der Arbeit genießen. Doch mit dem Zurücklehnen haben sie es leider etwas zu wörtlich genommen, denn in der Phase II trat Marvel vor allem als Verwalter, weniger als Innovator in Erscheinung - kein Wunder, dass sich kein Film weiter oben bei den besten Comicverfilmungen aller Zeiten behaupten kann.
Gerade in den letzten Jahren zeigte sich, welche Probleme ein einheitliches Filmuniversum mit sich bringt. Während Marvel inzwischen weiß, wie man überzeugende und technisch souveräne Filme abliefert, durften einzelne Filme nur geringen Einfluss auf das Gesamtuniversum haben. Dies führte dazu, dass viele der in den letzten Jahren produzierten Filme nur wie Beiwerk wirken, nicht aber zum Gesamtkontext beitrugen, war die Gefahr zu groß, mit zu vielen Änderungen Zuschauer zu verlieren. Iron Man 3 eher eine persönliche Reise, bei der das Fehlen anderer Helden nicht wirklich glaubwürdig war. Thor 2 - The Dark Kingdom der Tiefpunkt der Phase II und inhaltlich ein losgelöstes und belangloses Konstrukt. Frischen Wind brachten nur die Guardians of the Galaxy mit, die die Handlung in die Tiefen des All verlegten, damit aber auch wieder bis auf einzelne Referenzen losgelöst. Den größten Einfluss und Höhepunkt der Solofilme stellte The Return of the First Avenger dar, weswegen dieser Film am ehesten als inhaltliche Fortsetzung von Marvels The Avengers gewertet werden kann, bevor Phase II mit Avengers 2 - Age of Ultron zu einem Ende kommt, welches die Tür zu Phase III groß aufstoßen wird und massive Änderungen auf uns loslässt.
Während man sich im Filmsegment nicht wirklich mit Ruhm bekleckerte, war man an anderer Stelle bei Marvel deutlich kreativer. Marvel Serien sind das Zauberwort. Egal ob Marvels Agents of S.H.I.E.L.D., Marvels Daredevil oder Marvels Agent Carter, auch daheim versuchte man, Zuschauer über konstante Produktionen für die Marke zu begeistern und zu binden.
Will Marvel aber weiterhin Erfolg haben, muss ein Wandel vollzogen werden und inzwischen hat man dies auch begriffen, weswegen spürbare Veränderungen für die kommenden Jahre geplant sind. Wie bei DC Comics ist bereits der Fahrplan bis 2020 abgesteckt. Während die alten Helden inzwischen teilweise ausgedient haben, werden neue Figuren wie Ant-Man, Doctor Strange, Black Panther oder Captain Marvel etabliert und alles soll auf einen fulminanten Showdown in Avengers - Infinity War - Part I und Avengers - Infinity War - Part II hinauslaufen. Dabei dürfen manche Entscheidungen aber durchaus kritisch hinterfragt werden. Der Sättigungsgrad an Comicverfilmungen dürfte inzwischen erreicht sein und zunehmend sind negative Stimmen spürbar, auch unter Fans, die die Schwemme an Comicfilmen pro Jahr nicht mehr gutheißen. Werden doch auf diese Weise viele andere interessante Projekte verdrängt, was dazu führt, dass die Kinolandschaft zunehmend unter dieser Monokultur leidet. Die kritischen Stimmen ignorierend und aktuell noch auf dem Erfolg schwimmend, wird hier seitens Marvel nicht gegengesteuert, sondern die Situation noch mit einer Erhöhung des Outputs verschärft: In Zukunft wird es nicht zwei, sondern drei Comicverfilmungen pro Jahr geben.
Dennoch gelingt es Marvel, die Fans immer wieder zu überraschen. Gerade der ausgehandelte Coup mit Sony, welcher das Ende von The Amazing Spider-Man bedeutet, dafür aber die Tür aufstößt, Spider-Man ins MCU einzugliedern und Teil der Avengers zu werden, erfreute die Comicliebhaber. Sony muss dadurch zwar alle seine Pläne auf Eis legen, profitiert aber vom MCU und Marvel dagegen von einem der bekanntesten Superhelden nach Batman und Superman. Spider-Man stellt noch immer den wichtigsten und beliebtesten Superhelden des Unternehmens dar, der nun heimkehrt und seinen ersten Auftritt in Captain America 3 - Civil War und damit Phase III haben wird.
Erfolge und Misserfolge
Der Weg der Spinne
Das Stichwort Übersättigung ist bereits gefallen und bei einem Markt, der inzwischen so überfüllt ist an Filmen, die die gleiche Zielgruppe bedienen, besteht zunehmend die Gefahr, einen richtigen Misserfolg zu landen. Ein Blick auf die kommenden Blockbuster zeigt, wie viele Comicverfilmungen allein in den kommenden Jahren geplant sind. Doch auch ein erfolgreicher Lauf im Kino garantiert keine rosige Zukunft.
Das beste Beispiel stellte hier Sony Pictures mit seinen viel zu ambitionierten Plänen für Spider-Man dar. Ein Stück vom Kuchen wollten die Macher haben, doch wie bei Tisch sind die Augen oft größer als der Magen und man verschluckte sich. Der einst überraschend angekündigte Reboot war von Problemen überschattet, eine klare Zielsetzung fehlte, ein Gespür, was mit der Marke geschehen soll. Dabei hat Sony noch Glück im Unglück gehabt, denn der Deal mit Marvel rettet sie über die nächsten Jahre und ist im beidseitigen Interesse. Doch schon davor zeigte sich, wie wenig Gespür man für Comicverfilmungen hat, der Verlust der Rechte an Ghost Rider war ein Verlust mit Ansage. Das schnelle Geld zählt immer mehr als Qualität.
Etwas geschickter stellte sich 20th Century Fox an, die die X-Men in den letzten Jahren wieder auf Spur brachten, sich aber sonst ebenfalls mit den lizensierten Marken schwertaten. Dennoch war das Management schlau genug zu erkennen, dass weniger manchmal mehr ist und anstatt sich in zu vielen halbgaren Projekten zu verrennen, konzentrierte man sich auf die Marke, die etabliert ist (X-Men) und versucht parallel, eine alte Marke zu reaktivieren und endlich erfolgreich umzusetzen (Fantastic Four). Im Gegenzug wurden die Rechte an Daredevil zugunsten eben jener Projekte fallengelassen und die Hauptverantwortung wieder rein in die Hände von Marvel gelegt. Auch die Rechte für Blade und The Punisher liegen wieder beim Mutterkonzern. Die Gefahr, Flops zu produzieren, ist inzwischen für viele Studios zu groß geworden in diesem hart umkämpften Markt, der mittlerweile auch kaum noch Experimente jenseits der PG-13-Freigaben zulässt.
Die wahren Auswirkungen dieser Entwicklung werden wir aber erst in den kommenden Jahren spüren. Denn obwohl die allgemeine Qualität der Comicverfilmungen gestiegen ist, so sind diese an vielen Stellen nicht mehr zu differenzieren. Zu einheitlich präsentieren sie sich und ob sie nun über Iron Man, Ant-Man, Wolverine, Batman, Superman oder Aquaman gehen, sind sie im Kern doch gleich. Mittelfristig werden dies auch die Zuschauer quittieren, wenn die Filme um ihre Helden herum sich nicht weiterentwickeln und nicht mit spannenden und herausfordernden Geschichten die Zuschauer bei Laune halten. Viel Spannung wird in den kommenden Jahren natürlich durch die Rivalität zwischen DC Comics und Marvel entstehen, aber reicht das? Noch ist der Comicmarkt im Vergleich zum restlichen Kinosegment stabil - doch wie lange noch?