Bewertung: 2 / 5
Pünktlich am Disney+ Day hat der Mauskonzern mit Pinocchio die Live-Action-Version zum 1940 erschienenen Animationsfilm auf seinem Streamingservice zur Verfügung gestellt. Läuft die Interpretation des Klassikers wie am Schnürchen oder hätte Regisseur Robert Zemeckis die mit Magie versehene Holzpuppe besser in der Mottenkiste gelassen?
Pinocchio Kritik
Meister Gepetto (Tom Hanks) hat sein Meisterwerk geschaffen: Pinocchio - eine bildschöne Holzpuppe, die einem Jungen beinahe zum Verwechseln ähnlich sieht. Alsbald wird die Puppe von einer guten Fee zum Leben erweckt. Die magische Gestalt trägt Pinocchio auf, ein tugendhaftes Leben zu führen, um ein echter Junge zu werden. Eine abenteuerliche Reise beginnt!
Trailer zu Pinocchio
Wenn Tom Hanks als Gepetto mit kindlich verspielter Leichtigkeit durch die Szenerie gleitet, übt das zwar einen gewissen nostalgischen Charme aus, doch es lässt sich leicht ausmachen, dass man es keinesfalls mit einer weiteren Glanzleistung des altgedienten Hollywoodstars zu tun hat. Auch die übrige Darstellerriege leistet deutlich zu wenig Überzeugungsarbeit, damit die Realfilmumsetzung von Pinocchio glückt. In Hinblick auf den Hauptstar, gemeint ist natürlich die animierte Holzpuppe Pinocchio, müssen wir leider sagen, dass das Zusammenspiel mit den realen Kulissen nicht sonderlich gut geglückt ist.
Gerade bei den Computeranimationen hätte man filigranere Handwerksarbeit erwartet: Gepetto wirkt in diesem Film auf verlorenem Posten und kämpft sich buchstäblich holzschnittartig durch die CGI-überfrachteten Kulissen, die zwar alle Merkmale des Originalwerks aufweisen, nicht aber dessen Magie verströmen. Das liegt zu einem wesentlichen Teil daran, dass die Effekte dem Status quo nicht gerecht werden. Während der ebenfalls in diesem Jahr auf Disney+ veröffentlichte Chip und Chap - Die Ritter des Rechts seine stilistischen Merkmale zur Stärke machen kann, weil sie vom Setting des Films getragen wurden, kann man diesen Trumpf weniger gut bei Pinocchio ausspielen.
Achtet man etwa auf Gepettos putzige und liebenswerte Katze Figaro, fallen unschöne Fehler in der Handhabe auf, wenn sie hochgenommen oder gestreichelt wird. Man gewinnt dadurch den Eindruck, dass derartige Figuren schwerelos sind. Selbst die übereifrige Sidekick-Grille Jiminy (im Original von Joseph Gordon-Levitt gesprochen) kann da wenig ins rechte Licht rücken. Natürlich ließe sich sagen, dass alle magischen Aspekte mit dem durchweg künstlichen Stil von Pinocchio gerechtfertigt werden können, doch selbst das Wasser in der finalen Szene wurde mehr schlecht als recht animiert.
Leider verlieren dadurch auch die waghalsigeren Szenen von Pinocchio merklich an Schlagkraft. Die fehlende Glaubwürdigkeit des Szenarios wird ebenfalls dadurch getrübt, dass kein situativer Spannungsaufbau für die einzelnen Setpieces gelingen möchte. Um aus den allerhand kniffligen Situationen zu entkommen, befinden sich entsprechende Lösungen stets in Griffweite, sodass man um die Unversehrtheit der Figuren nicht großartig zu bangen braucht.
Leider verfehlen viele der Szenen ihre Wirkung, da man sich zu sehr an die ikonische Vorlage klammert, anstatt über das Drehbuch und die inszenatorischen Mittel eigene Blickwinkel auszukundschaften und dramatische Ergänzungen zu wagen. Damit soll nun nicht gemeint sein, dass man das Rad gänzlich neu erfindet, sondern, dass man passende Entsprechungen finden muss, um eine ähnliche Wirkung beim Ansehen zu erzielen. Was im Animationsfilm charmant und augenzwinkernd verstanden werden kann, mutet in realer Umgebung banal und unkreativ an.
Wie es bei den Disney-Realfilmadaptionen mittlerweile zum guten Ton gehört, haben sämtliche Szenen des Ursprungswerks ihre Entsprechung gefunden. Dabei wird die in weiten Teilen antiquierte Pädagogik beinahe umstandslos übernommen, wodurch die zeitgenössischen Anpassungen merkwürdig deplatziert, da arm an Aussagekraft, anmuten. Um diesen Aspekt von Pinocchio ein wenig zu unterfüttern, möchten wir eine Detailänderung in Gepettos Spieluhrensammlung als Beweisstück ins Feld führen:
Während im Original eine Mutter ihr Kind mit Schlägen auf das Hinterteil züchtigt, weil es etwas verschüttet hat, wird jene Konstellation kurzerhand von einer Polizeifigur ergänzt, die besagte Mutter mit dem Schlagstock zum Aufhören zwingt. Derartig fragwürdige Anpassungen sind in einzelnen Szenen immer wieder zu vernehmen. In dieser Hinsicht sitzt Pinocchio zwischen allen Stühlen, da er den hinlänglich tradierten Moralpredigten der Erwachsenenwelt keine neuen Facetten abverlangen kann. Ein mutigerer Umgang mit den angestaubten Lehren hätte diesem Film gut zu Gesicht gestanden. Zumindest weiß der obligatorische Disney-Fanservice zu gefallen.
Man muss wahrlich kein Holzkopf sein, um zu wissen, worauf man sich bei der Realfimumsetzung des Stoffs einlässt: Wie üblich bleibt sich Disney selbst mit einer beinahe als sklavisch zu bezeichnenden Adaption treu. Das ist im Fall von Pinocchio allerdings nicht als Trumpf zu verstehen, denn wo einige der Umsetzungen uns in Hinblick auf die angewandte Computertechnik zum Staunen brachten - an dieser Stelle ein königliches Brüllen an Simba und Nala aus Der König der Löwen von Barry Jenkins - überwiegt hier die pure Ratlosigkeit, was ein heutiges Publikum mit der einfältigen Geschichte anfangen soll. Hinzu kommt, dass das Schauspiel äußerst dürftig ausfällt, was wohl den fehlenden Interaktionsmöglichkeiten durch den überbordernden CGI-Einsatz geschuldet ist.
Im Gegensatz zu den aufwendig produzierten Kinofilmen von Disney sieht man bei Pinocchio an nahezu jeder Ecke, dass man mit weniger Herzblut und Moneten im Gepäck die Fäden zog. Mit dieser Spartaktik befindet sich der Konzern allerdings auf dem Holzweg: Warum sollten wir diesem Werk den Vorzug geben, wenn der liebgewonnene Original-Pinocchio so gut wie alle Aspekte mit geringerer Laufzeit überzeugender meistert?
Nun gilt es abzuwarten, was für eine düstere Variante Guillermo del Toro gemeinsam mit Mark Gustafson aus dem Urstoff für Netflix geschnitzt hat. Hoffen wir, dass die beiden mit ihrer im Dezember erscheinenden Version mehr als Kollege Robert Zemeckis abliefern.
Wiederschauwert: 10%