Bewertung: 4 / 5
Dr. Richard Kimble (Harrison Ford) kommt für den angeblichen Mord an seiner Frau vor Gericht. Er beteuert seine Unschuld, doch alle Beweise sprechen gegen ihn. Bei einem Gefangenentransport gelingt ihm unfreiwillig mitsamt anderen Häftlingen die Flucht. Während er versucht seine Unschuld weiterhin zu beweisen, wird er durch den US-Marshal Samuel Gerard (Tommy Lee Jones) verfolgt.
Eine der größten Horrorvorstellungen des Menschen ist die Einsamkeit und Isolation. Menschen sind Rudelwesen, sind Rudeltiere, die sich natürlich irgendwo in einer Form von Gesellschaft bewegen. Welche Form das nun genau ist, daß hängt vom jeweiligen Staat und dessen Möglichkeiten ab. Daß heißt aber unweigerlich auch, daß das so vertraute und gemütliche im Leben als Selbstverständlichkeit angesehen werden kann. Wenn ich irgendwo einen Kaffee kaufe, dann bin ich nicht allein. Je nachdem, was für ein Persönlichkeitsmerkmal man hat, ist das dann eine große Freude. Doch was wäre eigentlich, wenn man der puren Isolation ausgesetzt ist und sich nur noch mit den eigenen Fähigkeiten irgendwie aus einer schier unlösbaren Situation herauskämpfen muss. Insofern bietet Auf der Flucht tatsächlich eine Rückkehr mehr hin zu Trieben, denn zu Strukturen und Anpassung. Es ist ein großes Thema im Thriller der 1990er Jahre, wie auch der Thriller allgemein ein großes filmisches Thema war. Ein Mann gegen alle, das konnte man dann später etwa auch in Der Staatsfeind Nr. 1 (1998) betrachten und es zeigt, daß da ein Muster erkennbar ist. Nun muss man sagen, daß Auf der Flucht vermutlich ein Film ist, der das Einmaleins der Hollywood-Geschichte beherrscht. Eben aufgrund jener Struktur, aber auch aufgrund dessen, daß er damit auch klar eröffnet, wie etwas und wer wie zu verstehen ist. Es gibt die Guten, die für das Gute nicht nur im Film, sondern auch in der Gesellschaft kämpfen. Also ein Arzt, der Menschen aus philanthropischen Gründen Leben rettet. Und es gibt die Bösen, die nur das Kapital im Blick haben und dabei Menschen über die Planke springen lassen.
Daß ist natürlich in seinen Einzelteilen keine besonders originelle Metapher und dennoch geht es lange Zeit im Werk nicht mehr darum, woher diese einzelnen Individuen stammen, sondern eher, was sie mit ihrer aktuellen Umwelt anfangen und wie sie sich zur Wehr setzten. Dafür nutzt das minimalistische, wie auch clevere Drehbuch zu Beginn dieser Detektiv-Geschichte einige Hinweise und Fährten, die damit sogleich Spannung aufbauen und dem Zuschauer das Gefühl vermitteln, er müsse dem jetzt folgen. Und man folgt dem auch gerne, weil es irgendwo gut gemacht ist. Klar, da muss man dann auch über einzelne Schatten springen und ausblenden, daß es irgendwo absurd ist, wenn ein Mann, der keinerlei Knowhow im Segment des Agentendaseins oder Überlebensstrategien aufweist, hier die Behören an der Nase herumführt. Und dennoch ist das egal, weil aus der minimalistischen Herangehensweise eine unweigerlich maximale Spannung folgt. Denn ein Charakter, der so zerbrechlich ist und eigentlich keineswegs für das Leben abseits der Norm ausgelegt ist, sich dem stellen muss, dann ist das schon ein gekonnter Kontrast. Besonders dann, wenn auch auf der Gegenseite jemand ist, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, einen Niederzustrecken. Da wären wir dann wieder beim Animalischen und dem Grundkonzept von Räuber und Gendarm. Etwas ärgerlich hingegen ist, daß ob der Figurenkonstellation aber auch recht schnell klar wird, wer nun die Fäden bei diesem Intrigenspiel in der Hand hält. Mal ehrlich, sonderlich viele Optionen gibt es ja nicht gerade.
Man kann das aber verschmerzen, weil Auf der Flucht unterdessen vor allem rasant daherkommt. Wenn ein Kimble in einem Krankenhaus unterwegs ist und dort einige wichtige Hinweise erfährt, dann ist das schon recht gut gemacht. Gerade angekommen, sind es auch die Polizisten, die ihm schon auf den Fersen sind. Interessant ist zudem der Moralkodex von Marshal Samuel Gerad, der Kimble wissen lässt, daß ihn die eigentliche Wahrheit gar nicht interessiert und er nur seinen Job erledigen will. Natürlich eine zweifelhafte Moral, doch überträgt man das wiederum auf das, was wir eigentlich von unseren Staatsdienern erwarten, dann ist da schon etwas dran. Eigenständiges Denken und eigenmächtiges Handeln erfordert je nach Institution schon mehr, als einfach nur seine Meinung Grundzutun. Und in dieser Hinsicht führen Patriotismus und Moral hin und wieder schon mal einen Kampf. Das macht auch die Figur wesentlich gefährlicher, weil sie eben rational und klar denkt. Etwas, was Kimble sich in dieser Situation wohl kaum wird leisten können. Und dann kommt es eben zu den unvermeidlichen Konfrontationen. Diese, daß muss man schon sagen, inszeniert Andrew Davis gekonnt und erinnern in ihrem Kern auch an so etwas wie Heat (1995), Sieben (1995) oder auch The Dark Knight (2008). Ja, hier wird nicht viel geredet, wenngleich die eigentliche Interaktion passiver bleibt und dann wiederum „nur“ aus Reden besteht. Insofern liefert der Film auch unabhängig von tieferen Sinnen einfach eine gekonnte und abwechslungsreiche Erzählung. Diese wird noch dazu aufgewertet, wenn etwa viele Dinge in die Luft fliegen und man um das Leben einzelner Figuren fürchten muss.
Suspense-Kino der besten Art und Weise liefert Auf der Flucht. Das kann man wohl nicht abstreiten. Unterdessen folgt das unweigerliche Großstadtchaos, daß diese Welt im Sinne des Noirs als unüberschaubaren Sumpf inszeniert.
Zwei große liefern sich einen Streit. Sie sind systemisch und Auf der Flucht ist ein Film, der trotz seines minimalistischen Konzepts das Maximum rausholt. Spannung par excellence ohne groß in Banalitäten abzudriften.
