Bewertung: 5 / 5
"Und somit ist dieser Film ein einzigartiges Meisterwerk, welches seines Gleichen sucht und in seinem Gebiet unerreicht bleibt. Es gibt nichts, was in dem Film nicht stimmt, wenngleich dieser Streifen definitiv nicht jedem gefallen wird ..."
Trailer zu Brimstone
Revelation (Kritik)
Ja, was fanatischer Glaube alles anrichtet, zeigt der Film unnachahmlich. Denn "Brimstone" ist weit entfernt von den glorifizierenden Western, wie man sie beispielsweise von Bud Spencer und Terene Hill gewöhnt war - der Streifen zeichnet ein abstoßendes, realistisches Bild der damaligen Zeit, welches mich auch nach dem Film nicht mehr los lies. Schon alleine die Geburtenszene am Anfang ist extrem intensiv, aber nah dran an den vergangenen Zuständen und wird mir für länger im Gedächtnis bleiben. Das ist jedoch nur ein ausgewähltes Beispiel, ich habe bis dato keine bessere Abbildung dieser meist fälschlich als glanzvoll dargestellten Epoche gesehen, nur Filme wie "The Salvation" und "Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford" kommen dem nahe.
Der angesprochene Realismus manifestiert sich insbesondere durch die erschütternde Grausamkeit, welche dem Film inne wohnt. Nicht nur, dass der Film sehr brutal ist - beispielsweise sieht man jemanden mit dem eigenen Darm um den Hals - nein, er enthält auch abstoßende Bilder und Szenen von bleibender Intensität und eine Wucht, die die Wirkung des Streifens in allen Belangen potenziert. Im Speziellen, wenn sich diese Gewalt gegen Kinder richtet, was den Film unsagbar unangenehm machte. Dabei ist all das aber keineswegs plakativ zu nennen, die Bestialität geschah niemals selbstzweckhaft, sondern immer aus dem Kontext heraus und wirkte gerade deswegen so schrecklich, anstatt irgendwo Spaß zu machen.
Wie "Brimstone" mit einer FSK 16 durchkommen konnte ist mir infolge unverständlich. Klar, historischer Hintergrund, keine Plakativität - dennoch ist das Gezeigte meines Erachtens selbst mit diesen Belgeiterscheinungen weit zu heftig, um von mir ebenfalls eine Jugendfreigabe zu erhalten. Ich attestiere ihm eine ab 18 Freigabe.
Aber nicht nur die Gewalt löste etwas in mir aus - auch der Bösewicht machte mich einfach fertig. Seine Taten und sein Charakter waren so abscheulich, dass ich lange keinen Antagonisten mehr so sehr gehasst habe, wie in diesem Film, nur Ramsay Bolton aus "Game of Thrones" verachtete ich mehr. Ich wollte mit der fortschreitenden Dauer des Filmes bloß noch, dass der Priester stirbt, er sollte möglichst qualvoll verenden und das obwohl ich schlecht ausgehende Geschichten normalerweise liebe. Aber ich denke, ich verrate kein Geheimnis, wenn ich sage, dass ein fröhliches Ende bei dieser Art Film weit weg der Selbstverständlichkeit liegt.
Dabei ist besonders eindrucksvoll, dass jene Person im gesamten Film namenlos bleibt, er ist nur der "Reverend". Somit steht er sinnbildlich für die Grausamkeit, für all die Fanatiker der Zeit, welche Bibelzitate nutzten um ihre eigene geistige Krankheit zu rechtfertigen und für all das Verdorbene, das Böse, was die Gesellschaft verseuchte - wie der deutsche Untertitel des Filmes, "Erlöse uns von dem Bösen", bereits impliziert.
Und so hatte ich mit der Dauer des Streifens mehr und mehr die Angst, dass gleich das Unausweichliche passiert, was ich gar nicht haben will, das alles schief geht und ich nichts dagegen tun kann.
Dass der Streifen eine solche Wirkung hat, ist bemerkenswert - dabei ging die unerträgliche Dominanz des Priesters vor allem von der hervorragenden schauspielerischen Leistung von Guy Pearce aus. Er verkörpert die Figur mit einer solch unabwendbaren Widerwärtigkeit, dass ich sagen muss, noch nie einen besseren Bösewicht in einem Film gesehen zu haben. Wenngleich klar ist, dass dieser Streifen, da er viel zu unbekannt ist, nie einen Oscar gewinnen konnte, so hätte Guy Pearce 2017 alle als besten Nebendarsteller locker geschlagen. Was er hier ablieferte ist einzigartig und alleine um diese Performance zu würdigen sollte man diesen Film gesehen haben.
Neben ihm gibt es jedoch noch weitere nahmenhafte Mimen, die dem Film beiwohnen. Darunter sind beispielsweise Kit Harrington, der den jungen Samuel spielt und Carice van Houten, deren Rolle hier unerwähnt bleibt. Beide kennt man bereits aus "Game of Thrones", in denen sie starke Vorstellungen abliefern, was gerade letztere hier jedoch nochmal überbietet.
Allen voran ist hierbei allerdings die Hauptfigur zu erwähnen, deren Leiden Dakota Fanning perfekt darstellt. Ihr verletzer Blick spricht Bände, ihre Angst ist fühlbar und ihr Schicksal bewegt - dabei passiert all das auf einer wortlosen, subtilen Ebene, schließlich fehlt Liz die Zunge, warum, werde ich hier nicht verraten. Was ich jedoch sagen kann ist, dass die Entwicklung ihres Charakters mit unglaublich viel Gefühl erzählt wird. In mehreren Rückblenden, in denen Liz auch von Emilia Jones als Kind dargestellt wird, wird perfekt verdeutlicht, was ihr bisher zugestoßen ist und was sie alles auf sich nehmen musste. Dabei baut man eine unbeschreibliche Verbundenheit zu jener Figur auf, die mich auch noch über den Film hinaus verfolgte.
Generell ist sie die einzige Person, zu der man einen ausführlich bebilderten Hintergrund erhält, alle weiteren werden ergänzend mit erzählten Informationen charakterisiert. Einzig und allein der Priester kann mit ein wenig mehr Fakten über seine Vorgeschichte aufwarten, wenngleich auch er nicht sonderlich viele Hintergrundinformationen erhält. Das ist, dank dass er als Sinnbild für die Botschaft des Filmes steht, allerdings kein Verlust.
Exodus (Handlungszusammenfassung)
Liz (Dakota Fanning) ist eine stumme Frau, die in einer kleinen Gemeinde einen Witwer geheiratet hat. Sie hat eine Tochter sowie einen Stiefsohn und lebt mit diesen und ihrem Mann auf einer beschaulichen Tierfarm. Nebenbei hilft sie bevorzugt bei Geburten, was zu jener Zeit allerdings bei weitem nicht einfach ist, manchmal kann sie nicht alle Babys retten. So kommt es, dass sie sich eines Tages zwischen Mutter und Kind entscheiden muss - eine Wahl, die laut dem neuen, fanatischen Priester (Guy Pearce) allein Gott obliegt. Er besucht ihre Familie, um Liz mit einer unglaublichen Kaltblütigkeit zu bestrafen, aber beide verbindet eine noch viel längere, schwierigere Geschichte, die unangenehmer nicht sein könnte.
Genesis (Einleitung)
"Allahu Akbar!" - und Peng, schon wieder ein Terroranschlag. Viele Tode, Angst und Fremdenhass sind die Folgen. Aber letzterer ist nicht die Lösung für das Problem, denn viele Menschen über einen Kamm zu scheren ist zwangsläufig falsch. Wichtiger ist es, die Ursache der Gewalt zu bekämpfen und die ist der fanatische Glaube jener Terroristen. Varys, die Spinne aus "Game of Thrones", sagte einmal:
"Die Macht wohnt dort, wo die Menschen glauben, dass sie wohnt." (Staffel 2, Folge 2).
Und wenn die Menschen diese Macht im Übernatürlichen sehen, kann diese missbraucht werden, wenngleich auch der Glaube irgendwo seine positiven Seiten haben mag.
Ähnliches war mit den Kreuzzügen und der Hexenverbrennung der Fall, bei denen Gott (ob existent oder nicht, muss jeder für sich selbst entscheiden) als Ausrede für grausame Ziele benutzt wurde. Das dies ein gutes Thema für Filme darstellt, sollte klar sein - und einer dieser Vertreter ist der Neowestern "Brimstone".
Retribution (Kritik und Fazit)
Dabei muss jeder Zusehende diese Aussagen jedoch für sich selbst ergründen. Denn auch wenn der Film schon unumstößlich genial ist, so liegt ein weiterer Quell seiner Perfektion in den verschiedenen Mahnungen, die er mit sich bringt. Er warnt vor dem, was fanatischer Glaube auslöst, er zeichnet ein wichtiges Bild einer verklärten Zeit, er legt dar, wie die gesellschaftlichen Verhältnisse standen, übt bittere Kritik am damaligen Frauenbild und bietet zudem einen weiteren Interpretationsansatz, der, umso länger ich über ihn nachdenke, immer interessanter wird. Ich nenne ihn absichtlich nicht, aber er zeigt einen ganz anderen Blickwinkel auf die Geschichte und beweist erneut, welch Genialität hinter der zunächst einfach wirkenden Story steckt.
Anm.: Hierzu wird in einiger Zeit noch ein ausführlicher Artikel folgen, in welchem ich anhand von Szenenbildern jenen Interpretationsansatz erläutern werde. Dies hier ist lediglich die "normale" Kritik zu "Brimstone", welche ich nach der Erstsichtung verfasst hatte.
Selbige hat zwar einige Wendungen vorzuweisen und ist durchgängig extrem anspannend, umfasst trotz der langen Laufzeit des Filmes jedoch absichtlich nur zwei bis drei Tage, abgesehen von den Rückblenden. Dennoch sorgen die Stimmung und das ausgelöste Gefühl dafür, dass sich der Streifen in seinen 148 Minuten nicht ein einziges Mal zieht. Im Gegenteil, am Ende fühlte ich mich, als wäre der Film nur anderthalb Stunden gelaufen und hätte ihn am liebsten sofort erneut angesehen. Und wo ich gerade beim Ende bin - besser hätte selbiges nicht sein können. Ich verrate hier natürlich nichts, sonst würde diese Kritik mit einem einleitenden Spoilerhinweis beginnen, allerdings gibt es am Schlussteil absolut nichts zu bemängeln. Viel mehr noch, perfekt zum Verlauf und der Atmosphäre vorher passend wertet es den Film - auch wenn fast unmöglich - ein weiteres Mal auf.
Diese Atmosphäre ist es auch, die den Film so besonders macht. Mit der extrem unangenehmen und eindringlichen Stimmung hinterließ der Streifen einen verstörenden und bewegenden Eindruck, dem folgend ich bei "Brimstone" angespannter als bei so manchem Horrorfilm war.
Verstärkt wurde diese Gefühl von dem einzigartigen und umwerfenden Soundtrack, der von Tom Holkenborg verfasst wurde und den Film begleitend untermalte - und das auf eine Art und Weise, die ich mir so nicht erträumt hätte. Jener Komponist dürfte manchem vielleicht von der Musik zu "Mad Max: Fury Road" bekannt sein, hier liefert er jedoch eine noch bessere, von der Machart her völlig andere Arbeit ab. Die düsteren, bedrohlichen und klassischen Klänge, die immer wieder in epische und dramatische Musik übergehen, heben einzelne Szenen so treffend hevor, dass sich ihre Wirkung mehr als verdoppelte. Besonders angetan haben es mir das Lied "Revelation" und "Genesis", sowie die Hauptmelodie - jene strahlt bereits zu Beginn eine starke emotionale Kälte und Tragik aus, die einem sofort zeigt, mit welcher Art Film man es hier zu tun hat.
Dabei habe ich mir den Soundtrack schon vor der Sichtung angehört und für wunderbar befunden, wodurch es mich umso mehr überraschte, wie die verschiedenen Melodien den Film umrahmten - der Soundtrack stach nicht zu sehr hervor und unterstrich nur einzelne Szenen ganz besonders, sonst blieb er angenehm im Hintergrund. Auch war er niemals manipulativ, wobei man die wunderschöne Musik trotzdem vernahm - etwas besseres ist also auch bei diesem Detail nicht möglich, wie auch bei den vielen anderen Komponenten des Streifens.
Das Schöne ist, dieser Film ist keine amerikanische Produktion und erweitert das Westerngenre dennoch um einen meisterhaften Beitrag, der erneut beweist, dass Hollywood nicht (mehr) das Monopol an hervorragenden Filmen produziert. Nein, mehr und mehr etablieren sich auch andere Länder - seien es, um im selben Genre bleiben, Dänemark mit dem wundervollen "The Salvation", Neuseeland mit "Slow West" oder nun eben die Niederlande mit "Brimstone".
Und somit ist dieser Film ein einzigartiges Meisterwerk, welches seines Gleichen sucht und in seinem Gebiet unerreicht bleibt. Es gibt nichts, was in dem Film nicht stimmt, wenngleich dieser Streifen definitiv nicht jedem gefallen wird - wer lieber Filme schaut, bei denen das Hirn vorher an der Kasse abgegeben wird, dem ist der Streifen weit zu anspruchsvoll. Auch wer ausschweifende Erzählungen nicht mag, wird mit "Brimstone" so seine Probleme haben. Alle anderen sollten sich dieses zur Perfektion gereifte Prachtexemplar von Film nicht entgehen lassen, sie werden definitiv nicht enttäuscht.
Hiermit würde die Review nun normalerweise enden, doch ein jedem Leser dürfte die ungewöhnliche Struktur der Kritik aufgefallen sein. Wie der Film, ist sie in vier, dem Streifen gleichnamige, Kapitel eingeteilt, die nicht linear, sondern teilweise rückwärts angeordnet sind. In "Brimstone" sorgt dies dafür, dass man die Handlung erst nach und nach erschließt und einem Zusammenhänge erst im Nachhinein bewusst werden. Denn der Film beginnt mit einem verwirrenden Blick auf das Finale, legt dann, im ersten Kapitel "Revelation", die momentane Situation dar, bevor er in "Exodus" weiter zurück schreitet und erklärt, wie es dazu kommen konnte. In einer weiteren Rückblende, dem Kapitel "Genesis", werden die Anfänge der Geschichte aufgezeigt, was sich dann im finalen Part, "Retribution", zu einem einzelnen Punkt zusammenstaut, in den man schlussendlich auch die Szene vom Anfang einordnen kann. Allein diese Erzählweise halte ich für unglaublich genial und habe sie deswegen, auch wenn die Länge meiner Kapitel abweicht, übernommen. Und allen, die dies bis hierhin gelesen und den Film für interessant befunden haben, lege ich nahe, selbigen schnellstmöglich anzusehen - ihr wisst sonst nicht, was ihr verpasst.
Als Neowestern erhält er deshalb 10 Punkte, als Thriller sowie Drama ebenso und als künstlerischer Film 9 Punkte. Zusammenfassend bewerte ich den Film mit klaren
10 von 10 Punkten.