Bewertung: 4.5 / 5
Eine ausufernde Party ganz nach Gaspar Noé seiner Art!
Mit dem französisch-argentinischen Skandalregisseur ist das immer so ne Sache. Entweder man liebt seinen Stil oder hasst ihn! Dazwischen gibt es selten was.
Auch ich schwank zwischen Faszination und Abscheu bei seinen Filmen. Von den Ideen und Inszenierung sehr interessant, Talent hat er ohne wenn und aber! Aber seine Provokationen sind jenseits von Gute und Böse und die Drehbücher ausbaufähig und sehr umstritten.
"Menschenfeind", "Enter the Void", "Love" und "Irreversibel" haben klasse Ansätze, aber seine provokanten und gewaltreichen Darstellungen schießen leider jedes Mal übers Ziel hinaus sowie noch einige andere Dinge.
Mit "Climax" hat er allerdings endlich die richtige Mischung gefunden!
Trailer zu Climax
Auch mit Partys ist das immer so eine Sache. Je nach Musik und Menschen dort mag man sie oder nicht.
So auch die Party einer Tanzgruppe in einer Schulhalle irgendwo ausserhalb am Stadtrand von Paris in den 90ern in "Climax".
Denkt man anfangs "Hey! Coole Party, lockere Leute und coole Musik", ändert sich das später eher in ein "Nun ja, Musik ist cool, aber die Leute sind schon ziemlich assi und betrunken". Man will abhauen, aber ist von dem Genuss der (drogendurchfluteten)Sangria selber im Rausch und gib sich den Partyexzess hin. Es ist zu spät, kein Entkommen in Sicht. Die Partyhöhle wird zur buchstäblichen, auswegslosen Hölle!
Der Vorwurf, dass die Figuren total unsympathisch seien, ist nicht unberechtigt. Sie sind es auch! Da werden dann untereinander oberflächliche Themen, ob Klatsch oder Tratsch und vor allem Sex ausgesprochen...in unserer aktuellen Gesellschaft ist das sicher nicht anders. Aber ganz ehrlich, unter Drogen und Alkoholeinfluss, ist es da (leider) gar nicht mal so unwahrscheinlich, dass unter dem ungehemmten Einfluss die hässliche Fratze des Menschen zum Vorschein kommt?
Das bedeutet im Klartext: Aggression, Eifersucht, sexuelles Begierden, Vorurteile, Gewalt! Das Gehirn setzt aus bzw. Hemmungen fallen. Ob damals in den 90ern oder in der heutigen Zeit. Und Gaspar Noé nutzt das sowas von gnadenlos und ungeschönt aus, ohne Rücksicht auf die (Mainstream)Sehgewohnheiten, um es den Zuschauern sprichwörtlich in den Magen zu treten!
Tatsächlich ist die gezeigte Gewalt nicht so extrem und dermassen übertrieben wie in seinen vorherigen Filmen, wirkungsvoll und brutal ist sie trotzdem allemal!
Auch dass der Cast, bis auf Sofia Boutella ( "Kingsman", "Atomic Blonde" ), aus Tänzer und keinen richtigen Schauspielern besteht, ist eine gute Entscheidung. Auch wenn man die improvisierten Dialoge und nicht immer überzeugenden Darstellungen bemerkt, geben sie was richtig authentisches!
Handwerklich braucht man eh nicht viele Worte verlieren:
Allein die erste große Tanzsequenz, die ca. 6 Minuten und ohne Schnitt geht, ist schlicht atemberaubend! Im weiteren Verlauf ( und unter Zunahme der LSD-Sangria ) nehmen die Handlungen der Figuren und die großartigen visuellen Effekte immer extremer Ausmaße unter dem dröhnenden Electrosoundtracks an, bis schließlich im total abgefahrenen Finale sowohl die Figuren, der Kameramann ( Noé sein genialer Stammkameramann Benoît Debie ) als auch der Zuschauer in einen kompletten Schleuder-Exzess geraten, wo alle am Ende vollkommen zerstört und zerstreut auf dem dreckigen Boden voll Blut, Kotze und Urin liegen!
Meinen die Figuren sich anfangs anscheinend zu kennen, so ist am Ende davon nichts mehr zu erkennen. Haben sie sich überhaupt wirklich gekannt?
Gaspar Noé sein "konventionellster" Film bisher, zugleich auch ganz klar sein bester und reifster! Zugänglicher macht es sein neuster Film trotzdem nicht. Er spaltet! Und das ist in Ordnung und absolut verständlich! Scheiß auf die fehlende Handlung. "Climax" ist ein einziges hypnotisierendes, berauschendes und audiovisuelles (Party)Fest!
9/10 zu vielen Sangriabecher.