Bewertung: 4.5 / 5
Alles beginnt sehr konventionell. Mit einer Konventionalität allerdings, hinter der Abgründe lauern. Da fährt ein Sohn den verwitweten, herzkranken Vater ins Altersheim. Ein schönes Heim, wie er denkt, und das Beste für den alten Herrn. Die Geschäfte zwingen ihn dazu, nach Amerika auszuwandern. Da muss es schnell gehen. Zwischen Vater und Sohn entspinnt sich ein wortkarger Dialog, während sich die Landschaft in den Scheiben des Autos spiegelt. Kein Wort zu viel, es gibt nichts mehr zu sagen. Von dieser Ruhe, von der zurückgehaltenen Wut des Alters und den unausgesprochenen Geheimnissen lebt der Debütfilm der Schweizer Autorregisseurinnen Stéphanie Chuat und Véronique Reymond. Das Kleine Zimmer (2010) wurde mit dem Schweizer Filmpreis 2011 gekürt und für den Auslandsoscar vorgeschlagen.
Schnell wird klar, dass das Altenheim nichts für den störrischen Edmond (Michel Bouquet) ist. Er will zurück in seine Wohnung, zurück zu den Pflanzen, die von den Schränken wuchern, zurück zu den Erinnerungsfotos und zur geliebten klassischen Musik. Fortan wird ihn Rose (Florence Loiret-Caille), eine junge Krankenschwester, betreuen. Nicht, dass er noch mal von der Leiter fällt, beim Gießen seiner Pflanzen.
Was soll man sagen: Anfängliche Abneigung weicht allmählicher Sympathie, einer stillen Liebe über die Generationen hinweg. Rose wird dem alterskranken Edmond helfen, so gut es geht. Und auch er wird sie zu trösten wissen: Rose kommt nicht über den Tod ihres Kindes hinweg, daheim in ihrer Wohnung hütet sie das unbenutzt gebliebene Kinderzimmer wie einen Schrein.
Dass da ein Alter dem Lebensende entgegen sieht und zugleich eine junge Frau nicht über das verweigerte Leben ihres Kindes hinwegkommen kann, schafft eine Symmetrie, die von den wunderbar schlicht spielenden Protagonisten Michel Bouquet und Florence Loiret-Caille beseelt wird - abseits aller Künstlichkeit. Sie ist das Gerüst des Films, der immer wieder von leisem Humor durchzogen ist, vor allem von der stillen Komik des alten Herrn, der stets über dem Abgrund spielt.
Dass der alte Herr dann, wenn auch nur angedeutet, in seinen geliebten Walliser Bergen in den Tod gehen muss, ist sicher ein Gran zu viel. Zu nahe liegt der Gedanke an das Suizid-Paradies Schweiz. Dennoch ist Das Kleine Zimmer ein kleines Meisterwerk, das wieder einmal die lebendig gebliebene Qualität des Westschweizer Kinos beweist.
Das Kleine Zimmer bekommt 4,5 von 5 Hüten.
(Quelle: teleschau - der mediendienst | Wilfried Geldner)