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Ein Fremder ohne Namen

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Gutes Frühwerk eines Großmeisters

Ein Fremder ohne Namen Kritik

Ein Fremder ohne Namen Kritik
1 Kommentar - 13.12.2022 von MobyDick
In dieser Userkritik verrät euch MobyDick, wie gut "Ein Fremder ohne Namen" ist.

Bewertung: 4 / 5

Ein Fremder ohne Namen mag auf den ersten Blick wie der übliche Spätwestern Marke USA/Clint Eastwood nach der Italowestern-Ära wirken: Einzelgängerischer wortkarger Fremder kommt in eine Stadt und rettet diese vor ein paar Schurken. Dazu gesellt sich dann ein extrem garstiger Tonfall, den man mittlerweile ja kennt, sagt dass das typische Antihelden-Getue ist, was seinerzeit und seitdem derzeit immer mal wieder modern ist, und fertig ist der typische Eastwood-USA-Western.

Doch das wäre ehrlich gesagt viel zu kurz gegriffen. Mit Ein Fremder ohne Namen geht Eastwood in der Frühzeit seiner Regiereise einen deutlich ambivalenteren Weg, der sowohl die Klischess, die wir von allerlei seiner Western mittlerweile kennen, bedient als auch sie komplett unterwandert. Seine späteren (augenscheinlich reiferen) Werke, die mittlerweile zu den Schlüsselwerken des amerikanischen Spätwestern zählen, namentlich Der Texaner und Erbarmungslos (den ich übrigens bewusst in diese 70er Ära verfrachte, da das Drehbuch eben genau in diese Zeit passt), sind im Grunde genommen tatsächlich nur prinzipiell thematische Fortführungen dessen, was er bereits mit dem Fremden ohne Namen verprobte. Hier lotet er die Grenzen dessen aus, was ein Western ist, was er sein kann und welche Gesetzmäßigkeiten man brechen kann, und trotzdem damit durchkommt.

Da wäre als allererstes, dass ein Held eigentlich keine Frau vergewaltigen darf. Tut er. Dann verlieben sich die Frauen natürlich in ihn. Was auf den ersten Blick frauenfeindlich und erniedrigend ist, ist bei tiefergehender Analyse immer noch so, das brauchen wir uns nicht zu beschönigen. Aber Fakt ist, dass der Film da durchaus auf eine andere Weise differenzierter rangeht: Anders als beispielsweise bei Leone, dem auch ab und an vorgeworfen wird, Gewalt gegen Frauen zu zelebrieren, der diese grafische Darstellung aber nur aufgreift, um eben zu zeigen, dass die Herren der Schöpfung gegenüber den Frauen eben zu unverhältnismäßiger Gewalt greifen, immer und immer wieder, geht hier Eastwood den Pfad des Pseudogerechten, indem er alle Menschen in einen Topf wirft, und sie fast schon mit biblischen Ausmassen verachtet, verachtet für ihre Niedertracht, für ihr Winseln, für ihr Kriechen, keiner der Figuren kommt ungeschoren davon, sei es Mann, sei es Frau. Und bei der Frau gehört es archaischer Weise nunmal in diesem Kontext eben auch dazu, dass sie als Eigentum eines anderen Mannes angesehen wird und genommen gehört. Muss man das gut finden (vor allem in der heutigen Zeit, wo ein Shia LaBeauf für ein Musikvideo angegangen wird, als sei er Michael Jackson, wobei der ja zu Lebzeiten schön immer nicht angegangen wurde – naja, andere Story…)? Nein, muss man nicht.

Aber man kann sich die Mühe machen, über den Me-Too-Tellerrand zu schauen und sich das Gesamtwerk anschauen. Und da gehört dieser Akt der Behandlung der Frau genau so in dieses Dekonstruieren wie alle anderen niederträchtigen Elemente und Ideen, die unser chariusmatischer Widergänger da so von sich gibt.

Das ist inszenatorisch – wie gesagt eher ein Frühwerk eines später grandiosen Regisseurs – noch ziemlich ungeschliffen, weder wird die pure Ästhethik eines Leone noch die geradlinige Effizienz eines Siegel – beide mutmaßlich die beiden größten Einflüsse auf Eastwoods Werk, vor allem im Westerngenre – erreicht. Stattdessen ist man gefühlt immer leicht oberhalb eines guten Fernsehfilms – in etwa auf Augenhöhe mit solchen Werken wie Duell, der übrigens auch sehr viele Deutungsebenen hat- aber wie gesagt, da ist dann noch der Inhalt, und der hat es wirklich in sich.

Was oberflächlich wie eine Rachegeschichte aufgebaut scheint, wird immer wieder von anderen Themen gestreift, es geht um Schuld, Sühne, Gerechtigkeit, und trotz allem auch immer ein bißchen um Hoffnung, so wie eben alles was im Western-Genre ist, auch um die Erschließung von Neuland und die Kosten, die man dann dafür bereit ist zu zahlen, wenn man irgendwo neu anfängt.

Und Eastwood geht sogar noch ein Stück weiter, indem er den Film bedeutungsschwanger übersteigert. Sind in den Italowestern die Racheengel wortkarge Männer, denen jegliche Sexualität abhanden gekommen, da tief traumatisiert (Mundharmonika), und daher zum Aussterben verdammt, wird hier der Racheengel übersexualisiert und schon eine Stufe weiter als zum Aussterben verdammt deklariert. Da gehört es dann auch dazu, dass mit biblischen referenzen nicht gegeizt wird, und der einzige, der aus der Norm fällt, eben der einzig Rettenswerte erscheint.

Hier tut sich im Übrigen eine recht interessante Parallele zum ultrarechten Hardliner und Comic-Auteur Frank Miller auf: Während dort in 300 der Behinderte tatsächlich dann die „guten“ Spartaner verrät (es also denjenigen Recht gegeben wird, dass der Junge hätte eigentlich bei seiner Geburt getötet werden sollen), ist hier beim öffentlich sich selbst Konservativ und Republikaner schimpfenden Eastwood eben nicht so, dass der Kleinwüchsige doch noch zum Verräter wird. Stattdessen unterwandert der Regisseur Eastwood den Menschen Eastwood (weder zum ersten noch zum letzten Mal) und zeigt einen äußerst liberalen inkludierenden Ansatz, der eben alle einschliesst und eben auch sozial sich um sie kümmert: Die Schwachen gehören von der Gesellschaft geschützt, man ist gemeinsam nur so stark wie es das schwächste Glied ist.

Insofern ist der Film auch über alle Maßen humanistisch unter seiner sehr zynischen Schale und damit auch ein direkter Vorläufer seiner beiden Übermeisterwerke Der Texaner und Erbarmungslos. Die tiefe Abscheu gegenüber dem gemeinen Menschen ist eigentlich ein zutiefst melancholischer Hilfeschrei.

Natürlich muss/kann/soll einem das nicht auffallen, evtl interpretiere ich auch zu viel in diesen schäbigen Reisser, aber der Film weiss dafür doch zu genau, was er macht. Und wenn Eastwood verschmitzt genug ist, in einen seiner Blockbuster so viel Subkontext einzufügen, dass ihn damals das gesamte Feuilleton als gewaltverherrlichenden Faschisten ansah, und heute eigentlich alle zu Kreuze kriechen (hehe, der musste jetzt sein), dann wird er auch schon in seinen ambitionierteren Frühwerken seiner eigenen Produktionsfirma, wo er noch deutlich mehr Freiheiten besass, dann denke ist es nur fair darauf auch dementsprechend den Hut davor zu ziehen.

Wie gesagt, alles in allem ein sehr interessantes Frühwerk, dem ein bißchen die dynamik der besseren Werke abgeht, dafür aber mit mächtig viel Subtext und einem Score, der zu keinem Zeitpunkt die musikalischen Höhepunkte jener Zeit imitieren möchte, sondern sich tatsächlich dem Inhalt unterordnet.

Macht für mich knappe 8 Punkte und einen kleinen Geheimtipp für einen Klassiker.

Ach ja, unbedingt den Film im Original anschauen, die Übersetzung macht sehr vieles von der Grundintention des Filmes kaputt und man versteht den Film komplett anders auf deutsch….

Ein Fremder ohne Namen Bewertung
Bewertung des Films
810

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1 Kommentar
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MobyDick : : Moviejones-Fan
13.12.2022 11:51 Uhr
0
Dabei seit: 29.10.13 | Posts: 7.688 | Reviews: 254 | Hüte: 620

Wie versprochen hier das Parallelreview zum Prof X Review :-)

Dünyayi Kurtaran Adam
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