
Bewertung: 3.5 / 5
In den USA hat Longlegs mit einem Einspielergebnis von rund 22 Mio. US-Dollar ein für einen Indie-Horrorfilm fantastisches Startwochenende hingelegt, was in erster Linie auf die geniale Marketingkampagne zurückzuführen ist. Die ersten kurzen Teaser, die in den sozialen Medien schnell viral gingen, bestanden lediglich aus verstörenden Szenen und enthielten statt eines Filmtitels kryptische Hinweise, die von findigen Horrorfans eifrig entschlüsselt wurden. Und selbst als dann mit dem ersten langen Trailer doch noch ein konventionelles Marketinginstrument zum Einsatz kam, wurde der bekannteste Name der Besetzung in diesem kaum gezeigt, so dass man erst im Film Nicolas Cage in der Rolle des titelgebenden Serienkillers in voller Pracht zu sehen bekommt. Bei solch einer Hype erzeugenden Geheimniskrämerei, bei der man sich durchaus an den Marketing-Geniestreich Blair Witch Project erinnert fühlen kann, stellt sich natürlich die Frage, ob der Film am Ende auch die geschürten Erwartungen erfüllt.
Longlegs Kritik
Nachdem die junge FBI-Agentin Lee Harker (Maika Monroe) bei einem Einsatz ein übersinnliches Gespür bewiesen hat, wird sie auf eine Mordserie angesetzt, bei der die Bundesbehörde seit Jahrzehnten im Dunkeln tappt. Seit den 1960er Jahren haben mehrfach Familienväter auf unerklärliche Weise ihre Frau, die Kinder und anschließend sich selbst umgebracht, wobei an den Tatorten zurückgelassene, mit "Longlegs" signierte Briefe darauf hindeuten, dass ein Serienmörder dahinter steckt. Nachdem es Harker gelungen ist, die kryptischen Botschaften in den Briefen zu entschlüsseln und ein Muster aufzudecken, dem alle Taten gefolgt sind, wird ihr klar, dass der nächste Mord kurz bevorsteht.
Während es mehrere Rückblenden zu vergangenen Ereignissen in den 60er und 70er Jahren gibt, die durch den Wechsel des Seitenverhältnisses zum Academy-Format kenntlich gemacht werden, spielt die Haupthandlung von Longlegs in den 90er Jahren. Dies ist insofern passend, da mit Das Schweigen der Lämmer und Sieben zwei Filme aus diesem Jahrzehnt dem Regisseur und Drehbuchautor Osgood Perkins unverkennbar als Inspiration gedient haben.
Ähnlich wie bei diesen Vorbildern liegen die Stärken des Films in der Inszenierung, die gekonnt eine durchgängige Atmosphäre der Bedrohung evoziert. So werden etwa im Bildausschnitt Türen, Fenster oder Gänge so geschickt im Hintergrund platziert, dass beim Zuschauer die Erwartungshaltung geschürt wird, hinter der Protagonistin könne jede Sekunde eine Gefahr auftauchen. Andere Filmemacher würden so ein Setup für plötzliche Jump-Scares nutzen, doch Perkins verzichtet größtenteils auf dieses Mittel und verlässt sich lieber darauf, dass der langsame Aufbau einer permanenten Bedrohung viel effizienter sein kann. Es lohnt sich hierbei durchaus genauer auf den Bildhintergrund zu achten, denn mehrfach werden hier bereits für Sekundenbruchteile Hinweise auf die Auflösung gestreut. Neben der effizienten Kamera trägt auch das kongeniale Sounddesign zur unbehaglichen Atmosphäre bei.
Leider kann das Drehbuch mit der großartigen Inszenierung nicht Schritt halten. Dass die Auflösung manchen Zuschauern nicht schmecken dürfte und zudem die bei Horrorfilmen beinahe obligatorischen Logiklöcher aufreißt, ist dabei zu vernachlässigen. Schwerer wiegt da schon, dass Perkins im Schlussdrittel eine Figur in einem langen Monolog die ganze Handlung erklären lässt und damit den Zuschauern die Gelegenheit raubt, sich die Zusammenhänge selbst zu erschließen. Tatsächlich wirkt diese Passage so ungelenk, dass man den Eindruck gewinnt, sie sei nachträglich auf Betreiben des Studios eingefügt worden nachdem das Publikum bei Test-Vorführungen von der Handlung verwirrt war. Wie dem auch sei, die Erklärung beraubt den Film jeglicher Ambiguität, die ihm in Anbetracht der polarisierenden Auflösung gut zu Gesicht gestanden hätte.
Im Hinblick auf die Darsteller lässt sich festhalten, dass hier kein Fall von irreführendem Marketing vorliegt, denn der in den Trailern kaum präsente Nicolas Cage hat tatsächlich relativ wenig Leinwandzeit, die er aber für eine gewohnt denkwürdige Performance nutzt. Hinter tonnenweise Makeup kaum zu erkennen, spielt er eine große Bandbreite an Stimmungen durch und balanciert dabei auf dem schmalen Grat zwischen furchterregend und grotesk. Klare Hauptfigur ist aber die sozial unbeholfene FBI-Agentin Harker, die von der Horrorfilm-erfahrenen Maika Monroe im krassen Gegensatz zum flamboyanten Cage sehr nuanciert, dabei aber nicht weniger überzeugend verkörpert wird. Ansonsten sticht aus einem durch die Bank soliden Ensemble noch Kiernan Shipka heraus, der es gelingt, mit einer einzigen Szene großen Eindruck zu hinterlassen.
Fazit
Die Ansätze für ein Horrorfilm-Meisterwerk sind vorhanden, doch letzten Endes verhindern Drehbuchschwächen im letzten Drittel den ganz großen Wurf. Regisseur Osgood Perkins beweist hiermit aber großes handwerkliches Können und ein hervorragendes Gespür für Atmosphäre, so dass man sich wünscht, er möge sich für sein nächstes Projekt von einem fähigen Drehbuchautor unter die Arme greifen lassen. Nichtsdestotrotz ist ihm mit Longlegs ein sehenswerter Horrorthriller gelungen, der sich perfekt für einen spannenden Kinoabend eignet.
