Bewertung: 3.5 / 5
Der Sprachprofessor Henry Higgins (Rex Harrison) und sein Freund Col. Hugh Pickering (Wilfrid Hyde-White) wetten, daß Higgins das Blumenmädchen Eliza Doolittle (Audrey Hepburn) zu einer vornehmen Dame machen kann. Fortan nimmt Doolittle an Unterricht teil, der ihr die gesellschaftlichen Gepflogenheiten der Oberschicht von London binnen kürzester Zeit beibringen will.
Es ist wohl kaum möglich, einen gesellschaftlichen Unterschied deutlicher zu machen, als im Falle von My Fair Lady. Die Figur der Eliza Doolittle, die als Teil einer Wette zweier Betagter Intellektueller in eine ihr unbekannte Welt verfrachtet wird, ist nicht nur in der reinen Optik von der Upper Class-Gesellschaft zu unterscheiden, sondern auch im Benehmen, der Attitüde und der Wahrnehmung der subjektiven Umwelt. Irgendwie faul, und irgendwie ignorant, könnte man die Figur nennen, die so gar keine Lust auf Bildung zu haben scheint. Die facettenlose Gestaltung gesellschaftlicher Ungleichheiten, könnte gar nicht plakativer zur Schau gestellt werden, als in diesem Film.
Und so verbringt dieses groß aufgelegte und aufwendige Musical den Großteil seiner Zeit damit, die Hauptfigur in ein sprichwörtliches, wie auch wortwörtliches neues Kostüm zu stecken. Ein wenig Pflege, der richtige Gang und ein Neues Kleid machen aus Eliza Doolittle eine komplett neue Person. Der Film entpuppt sich dabei nicht unbedingt als ein leicht zu verstehendes Werk, so gibt es durchaus viele Lesarten, die vielerlei Deutungen zu dem Geschehen, den Entwicklungen und gerade auch dem Ende anbieten. Was hierbei insbesondere heraussticht ist eine Pedanterie, ein intellektuelles Überlegensein der gut Betagten, während die anderen Ideologien und Lebenswelten vor allem auf das Überleben und Übernehmen der ihnen unbekannten, überlegenen und unverständlichen Sphären aus sind. Da wird dann nach Geld geschielt. Hauptsache Geld, und dieses bedeutet dann auch, daß das eigentliche Menschsein keinen Wert mehr hat. Wie es um die einzelnen Schicksale geliebter Menschen und Familienmitglieder steht, ist egal. Denn auch die sind käuflich. Nun gibt es auch zu diesem Umstand, und auch gerade zu dem Vater von Eliza viele Möglichkeiten ihn und seine Beweggründe zu lesen.
Denn sicherlich sticht heraus, daß er seine Tochter in "fremde Hände" gibt und erst spät erkennt, daß darauß auch Profit zu schlagen ist. Die Annahme des Films scheint indes überdeutlich, daß das Proletariat keinerlei moralische Bedenken kennt. Nun wäre dieser neoliberale Gedanke sicherlich etwas, was sich auch in unserer heutigen Zeit wiederfinden würde. Cast Away – Verschollen (2000) hat schließlich Jahre später auch das Kapital über das Leben gestellt. So scheint zumindest im systemischen Rhythmus jeder Mensch käuflich und jeder Mensch auch ersetzbar. Interessant ist die Herangehensweise von My Fair Lady in diesem Falle aber alle mal, weil der Film gerade einige Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg erschien und sich die Zuschauer in eher leicht verdaulichem Kino wohlfühlten. Gerade hier lässt sich der Film auf zwei Ebenen lesen. Zum einen wäre da der kapitalistische Gedanke, und die Überzeugung, daß latent kommunistische Ideologien, bzw. deren Vertreter keine Ideologie nicht für etwas Geld aufgeben würden. Zum anderen wäre da aber auch die These, daß der Film mit konservativen Werten der Familie aufräumt. Im Heutigen Kino werden gerade der Kapitalismus und die Familie in Kombination repräsentiert und dem Zuschauer hier das Gefühl vermittelt, die Familie sei die letzte Instanz, die noch über dem Kapital stünde, aber auch die patriarchalen und altmodischen Strukturen aufrechterhielten. In diesem Film aber, ist die Familie gänzlich egal und wirkt fast schon antagonistisch. Das hat zur Folge, daß der Film sich einerseits nicht nahtlos auf unsere heutige Zeit übertragen lässt, aber auf der anderen Seite auch mehrdeutige Lesarten zulässt.
So ist gerade die gesellschaftliche Rolle des Mannes im Film etwas, was sich in den einzelnen Szenen nicht eindeutig zu erkennen gibt. Denn auch hier bringen reiche, weiße Männer die Geschichte ins Rollen. Sie spielen mit dem Leben einzelner. Und auch die Figur von Rex Harrison fungiert als abgehobener, versnobter, misogyner Lebemann, der bis zum Schluß nicht aufzuklären ist. Gerade zu Beginn und gegen Ende macht der Film diese Figur zu einer intellektuellen Gewalt, die die wortwörtlich arme Frau, die eben über keinerlei Bildung verfügt, unter seine Fittiche nimmt. In gewisser Weise möchte die Figur beweisen, daß Jeder reich sein kann und auch hier lassen sich erstaunliche Parallelen zu Gottfried Kellers Kleider machen Leute erkennen. So gelangt die Figur von Audrey Hepburn durch mühsames Training in die High Society des Londons der 1910er Jahre. Und auch hier macht der Film deutlich, so ganz und gar sind gesellschaftliche Bräuche und unterschiedliche Sozialisationen nicht abzulegen, wodurch die Hauptfigur in einen Konflikt gerät.
Denn klar wird, daß die Figur ab einem gewissen Punkt nicht mehr vorwärts, aber auch nicht mehr rückwärts gelangt. Denn nach und nach schafft es Doolittle sich von ihrem Patriarchen zu emanzipieren, indem sie ihm mehr und mehr Paroli bietet. Schließlich möchte die Figur auch nicht wie ein Objekt behandelt werden und ihr eigenes Leben in eigenen Händen halten können. Dabei wird die sprichwörtliche Unnahbarkeit und Ignoranz von Higgins und Pickering in mehreren Auseinandersetzungen mit Eliza Doolittle deutlich, indem besonders Higgins ihr deutlich macht, daß sie eigentlich nur eine naive Gaunerin sei. Der Film erzählt indes vom sozialen Aufstieg und zeigt, daß man, wenn man aus gewissen Kreisen stammt, bald danach nirgendwo mehr hingehört. Es ist als hätten Faschisten und Kommunisten ein Kind geboren, welches nun nach einer eigenen Zugehörigkeit schielt.
Als reines Handwerk ist der Film natürlich über jeden Zweifel erhaben. So sind gerade die Musical-Einlagen großartig und aus inszenatorischer Sicht groß bebildert. Wenn man den Texten nicht genau lauscht und auch die übergeordnete Handlung ein wenig ignoriert, so kann man mit My Fair Lady seinen Spaß haben. Denn schließlich ist auch das Schauspiel und die Struktur insgesamt ganz gut geraten. Etwas fraglich ist aber schon, warum man eine solche Geschichte auf fast drei Stunden streckt, denn der Plot ließe sich auch in etwas weniger als zwei Stunden zur Genüge erklären. Die große Face von diesem Film ist aber vielmehr, daß der das Ende vom Theaterstück und die Erkenntnis aus der eigenen Geschichte ad absurdum führt, indem er aus unerfindlichen Gründen Higgins und Doolittle am Ende doch wieder vereint. Die Frage warum sich die Filmemacher entschloßen haben, diesen Wge zu gehen, liegt vermutlich auch in dem Positivismus der 1960er Jahr begründet, die eben mit dem verarbeiten des Zweiten Weltkrieges und dem anstehenden Kalten Krieg die Zuschauer auch übergeordnet nicht emotional überfordern wollten. Ein ähnliches Vorgehen, lässt sich im heutigen Blockbuster-Kino wiederfinden, welches vor allem von unsagbar nervigen Comicrelief à la Taika Waititi geplagt ist. Insofern schadet es dem Film in vielerlei Hinsicht ein Kind seiner Zeit zu sein.
Große Bilder, viel Aufwand und rein musikalisch lässt sich an My Fair Lady nichts aussetzen. Inhaltlich wird es dann deutlich schwieriger, wenn das Aufkeimen des neoliberalen Kapitalismus, das Repräsentieren des weiblichen Geschlechts, wie auch daß nicht verstehen der eigenen Ideologien sich mehr und mehr in die Vordergrund rücken. Naive Figuren haben nur dann einen Platz in der Welt, wenn man die Welt statisch begreift. Doch Wandel entsteht nicht aus Faulheit, während der Film die Faulheit, eher in der Unterschicht sieht. Darauß resultiert, daß auch dieser Film ein zwar in sich gut gemachter, aber ideologisch äußert fragwürdiger Film seiner Zeit ist.