
Bewertung: 4 / 5
Offiziel heisst es Disney habe das Projekt Nimona abgebrochen, weil sie das produzierende Studio BluSky Studios (ein Unterstudio von Fox) aus Dopplungsgründen geschlossen haben, schliesslich steht man ja mit den hauseigenen Animationsschmieden Disney und Pixars mehr als nur gut aufgestellt da. Da in dem Projekt bis zum Abschuss aber einige Hochkaräter involviert waren, hat sich kurzerhand Netflix die Rechte an dem Werk gesichert und den Film nun veröffentlich. Und wenn man sich den fertigen Film nun anschaut, dann sehen wir einerseits ganz klar, wie viel Disney/Pixar da noch drin steckt (und eben nicht BlueSky!) aber auch ebenso klar, warum Disney das Ding abgesägt hat. Aber eines nach dem anderen.
Zum einen wird die altbekannte Geschichte eines Duos erzählt, was sich erstmal zusammenraufen muss, sich dann langsam gegenseitig akzep- und respektiert, dann aber doch noch eine Schleife gedreht wird mit vermeintlcihem Verrat usw. inklusive dem versierten Zuschauer recht früh bekanntem überraschendem Bösewicht. Tausendmal gesehen, schon klar. Zum anderen jedoch wird genau dieser altbekannten Prämisse sehr viel Neues beigemengt und auch vor drastischen Entwicklungen nicht zurück geschreckt. Noch vor dem Vorspann wird beispielsweise dem Protagonisten der Arm abgehackt und die Königin brutal getötet.
Trailer zu Nimona
Aber selbst diese überraschende Härte ist es nicht, was den Film von einem Disney- oder ähnlichem Werk zb Marke Dreamworks abhebt, sondern die Art und Weise wie fast schon nebenbei eine heutzutage eigentlich normal zu geltende Art und Weise der Erzählung vorangetrieben wird, dies mit reichlich Subkontext ausgestattet wird und damit am Ende eine universelle Geschichte von Toleranz und Weltoffenheit vermittelt wird.
Und da verwundert es kein bißchen, dass ausgerechnet in der heutigen Zeit das Werk tatsächlich fast ausschließlich gute Kritiken einfährt und trotzdem fast schon sang- und klanglos untergeht, denn der Großteil der Zuschauer ist vermutlich doch nicht so weit für das, was die Messages sind.
Ähnlich wie Zootopia einst völlig aus dem Nichts kommend das Disney Animationsseherlebnis nachhaltig veränderte, da plötzlich Subkontext und ernste Themen nahtlos mit einem Kinderfilm verschmelzen konnten (übrigens nach wie vor für mich der beste jemals gedrehte Disney Animations-Film) kommt auch Nimona quasi aus dem Nichts und spricht hier diverse Theman an, die von einer bestimmten Richtung sicherlich als zu linksversiffte Gehirnwäsche angesehen werden könnten (ja selbst darüber ist sich der Film übrigens im Klaren und spricht das sogar ironischerweise auch fast wörtlich so an). Hier werden solche Werte wie Toleranz und Weltoffenheit beworben, etwas wofür man sich eben nicht schämen muss. Darüber hinaus wird mehr als nur unterschwellig ganz klar kommuniziert, dass der Protagonist homosexuell ist, und ein wichtiger Subkontext ist ganz klar auch ein Thema über sexuelle Identität, da geht es nicht nur um die Orientierung sondern auch um das Sein, und die psychischen Themen, die damit in Verbindung stehen.
Das wird mal subtil, mal sehr subtil, mal aber auch sehr wenig subtil dargestellt. Und genau das ist dann auch der Punkt, warum der Film gleichzeitig ein Disney Film und dann aber auch nicht ist. Während Disney es derzeit immer wieder sehr krampfhaft versucht, seine Figuren in eine gewisse Richtung aus Gründen der Diversität zu führen und dafür immer wieder massiv Gegenwind bekommt, würden sie niemals so weit gehen (Zitat Niko Kovac: "Stand Jetzt!"), tatsächlich eine, geschweige denn mehrere Hauptfiguren offensichtlich homosexuell zu zeichnen, gerade auch aus dem medialen Backlash Argument heraus. Denn auch alt-rechts hat Kinder, die ins Kino strömen oder nach Disneyland fahren, und Geld ist nunmal Geld. Daher bin ich mir ziemlich sicher, dass sie möglicherweise darüber nachgedacht haben, das Projekt zu einem der verbliebenen Studios zu migrieren und sie aber dann aus einer geschäftspolitischen Erwägung heraus entscheiden haben, das Projekt einzufrieren. Die ganze Dramaturgie ist daher auch nicht von ungefähr vieles was man von den ganzen Disney- und Pixarfilmen her kennt, von Moana, Merida, Red über Baymax und Zootopia, fast ein Best-Of inhaltlich, ohne sich jemals repetitiv oder forciert anzufühlen.
Nimona ist im Gegenteil tatsächlich eine Frischzellenkur für Disney, was aber dann doch nicht mehr zutrifft: Alles was in Red so verkrampft und halbherzig in einen schäbigen Klamauk ausratete, wird hier versiert zu Ende gedacht und durchgespielt.
Aber es ist halt nicht alles Gold was dann glänzt, denn man merkt dem Film tatsächlich dann doch an, dass der Disneyeffekt dann doch nicht komplett vorhanden ist, die musikalische Untermalung könnte stimmiger sein, der Zeichentrickstil schafft es nicht durchgängig durchzuhalten, aber das sind nur kleine Negativpunkte.
Unter dem Strich lässt sich festhalten, dass Nimona einer der besten Animationsfilme des Jahres ist und völlig mißraten von Netflix beworben wurde. Warum der Film hier keinem größeren Publikum schmackhaft gemacht wird, erschliesst sich mir bei dieser Qualität des Produkts nicht wirklich. Zugegeben, das ist nicht ganz richtig, ich denke auch das hat mit den Messages zu tun, die einem Riesenkonzern wie Netflix ebenso wie Disney bei einem Kinderfilm wahrscheinlich zu heikel sein könnten?
Aber da würde ich den beiden Riesen gerne mal mitgeben, was man auch Kindern beim Fahraddfahrenbeibringen immer sagt: Einfach machen. Irgendwann geht es wie von selbst ;-)
Völlig unterschätzter und unterbeworbener großartiger Film, der auch gerade wegen seiner lapidaren grafischen und inhaltlichen Deutlichkeit (und hier spreche ich mal eben nicht von Gewalt - das dürfte für einige Leute auch Auslegungssache sein) genau der richtige Film zum richtigen Zeitpunkt ist.
8 Punkte
