Bewertung: 3.5 / 5
Im lateinamerikanischen Verona Beach kommt es zu einem erbarmungslosen Bandenkrieg zwischen den Montagues und Capulets. Bei einem Maskenball verlieben sich die jüngsten Kinder beider Familien. Romeo (Leonardo DiCaprio) und Julia (Claire Danes). Ohne das Wissen ihrer Eltern, möchten sie sich vermählen und hoffen so, die Fehde ihrer Familien zu beenden. Doch als Romeo bei einer Auseinandersetzung den Cousin von Julia tötet, muss er aus Verona Beach fliehen. Noch dazu soll Julia nun auf Drängen ihrer Eltern mit dem einflussreichen Grafen Paris (Paul Rudd) vermählt werden. Julia sucht Hilfe bei dem Pater Laurence (Pete Postlethwaite).
Jeder, der sich mit Drama befasst, wird unweigerlich an den Punkt kommen, an dem er sich auch mit Shakespeare befassen muss. William Shakespeare ist vermutlich der bedeutendste Dramatiker, der je gelebt hat und das zu behaupten, ist eigentlich keine steile These oder skandalös. Bei allem, was sich bis heute Shakespeare mehr schimpft, als ist, ist es aber dennoch so, daß sich bis heute so ziemlich jeder Kunstschaffende auf diesen Dramatiker beruft. Wie gesagt, es gibt noch andere, gerade auch im deutschsprachigen Raum, aber dieser ist der, der über allen thront. Insofern könnte eine Adaption von Romeo und Julia kaum gewöhnlicher sein. Und ehrlich gesagt ist sie in ihren einzelnen Manierismen auch genau das. Baz Luhrmann inszeniert halt klassischen Stoff im neuen Gewand. Fraglich bleibt natürlich, ob das irgendwie eine Relevanz hat und normalerweise wäre das thematisch auch eher etwas für einen Kenneth Branagh, der damit den erneuten Versuch unternehmen würde, sich bei irgendwelchen Kulturkritikern anzubiedern. Ja, Branagh war zu Beginn seiner Karriere schwer zu ertragen. Aber sei’s drum, Luhrmann ist nicht Branagh und damit bleibt die Frage, ob dieses Werk auch mehr zu bieten hat, als bloß eine Geschichte über Liebe in einer starken Rivalität. Man muss dazu sagen, daß die Modernisierungsversuche, die hier unternommen werden mal mehr, mal weniger glücken und der Film dadurch, wie auch durch seine offenkundige Vorhersehbarkeit, sich nicht zu etwas entwickeln wird, was gänzlich überrascht.
Dennoch ist William Shakespeares Romeo + Julia ein hochinteressanter Film. Denn was Luhrmann hier macht und was später zum Beispiel auch durch Michael Almereyda in Hamlet (2000) geklaut wurde, ist, daß der er seine Geschichte in die Gegenwart verlegt. Hier also die 1990er Jahre. Die Frage ist natürlich, warum tut man das? Sicherlich zum einen, um die Leute abzuholen, deren antiintellektuelles Gemüt sich mit nichts befassen wird, was älter ist, als man selber. Auf der anderen Seite kann es da aber auch eine rein künstlerische Ebene geben, die der Film, wie ich finde durchaus aufgreift. Denn die Frage, warum er in der Gegenwart angesiedelt ist, bleibt unweigerlich bestehen. Und einen Erklärungsansatz dafür könnte sich darin wiederfinden, daß die Gegenwart sich in vielerlei Hinsicht gar nicht so sehr von der Vergangenheit unterscheidet. Daß heißt also, daß das Werk im größten Teil der Erzählung durchaus Relevanz hat. Und das zeigt sich anhand einer cleveren Übertragung. Die Damen und Herren des blauen Blutes, werden hier gegen Geschäftsführer mächtiger Konzerne ausgetauscht und unterstreichen, den Einfluss den Unternehmer in der Gegenwart haben. Sicherlich könnte man da streiten, ob mächtige Konzerne denn wirklich die gleiche Macht besitzen, wie es Adlige im 16. Jahrhundert hatten. Allerdings ist bei beiden klar, daß die Entscheidungsgewalt über das Individuum hinausgeht. Romeo und Julia wollen eigentlich frei entscheiden und frei leben, doch sind sie durch die gesellschaftlichen Konventionen dazu gezwungen, danach zu leben.
Darin liegt eben auch die Tragödie und es ist beinahe skandalös, was Luhrmann damit aussagt. Denn immerhin verteufelt er den westlichen Kapitalismus und sieht darin eine unfreie Gesellschaftsstruktur, die das Individuum nach den eigenen Vorstellungen formt. Sowohl Romeo als auch Julia sollen das Spiel der Ehe, besser gesagt der idealen Liebe spielen und das wollen sie nicht. Gerade das ist aber auch so eine Sache, die sich in weiten Teilen noch auf die Gegenwart übertragen lässt. Spricht man heute von Liebe oder auch der Ehe, dann fällt auf, daß das bröckelige Konstrukte sind. Dort spielen Verfügbarkeit und Ökonomie, wie auch Bräuche nach wie vor eine Rolle. Klar, auch Shakespeare handelte in seiner Vorlage auch pubertäres Empfinden heraus. Aber was sowohl Shakespeare als auch Luhrmann verstanden haben, ist, daß Liebe und immer in einer gewissen Abhängigkeit zu etwas steht. Das bedeutet hier also vor allem die Möglichkeit und die Freiheit sich zu verlieben. Immerhin gibt es in Sachen Liebe bis heute auch noch die Entscheidungsgewalt durch äußere Faktoren. Natürlich je nach Kultur mal mehr, mal weniger mit Zwang verbunden, doch Liebe ist eben nicht einfach nur das Zusammenkommen zweier Menschen. Unterdessen ist William Shakespeares Romeo + Julia vor allem auch ein Film, der seine Zeit ganz gut einfängt. Die MTV-Generation, gepaart mit klassischem Drama. Bunte Farben, schnelle Schnitte und dann wiederum langsame, theatralische Romantik. Zweifelsohne hat der Film alles davon und ebenso wenig anzuzweifeln ist, daß man dafür das richtige Gemüt braucht.
Wenn etwa Figuren quasi eins zu eins Dialoge nach Shakespeare in archaischer Sprache vortragen, dabei aber mit absurd gestylten Haaren und einem skandalösen Outfit durch eine amerikanische Strandstadt der 1990er Jahre fahren, dann ist das absurd. Der Film wirkt so anachronistisch und dennoch thematisch universell. Denn auch das wird dadurch klar. Immerhin lässt sich das gut auf die Gegenwart übertragen. Den Mut, die Dialoge zu übertragen und nicht einmal in den Gefechten anzupassen, muss man auch erst mal haben. Und klar, das wirkt auch ein wenig albern, wenn man so will. Doch ist es gleichzeitig auch wieder dazu da, um zu untermauern, wie wenig sich historisch getan hat. Immer wieder bringt Luhrmann also Dinge zusammen, die eigentlich nicht zusammenpassen und schafft damit für die einen ein ziemlich unerträgliches und für die anderen ein grandios gewagtes Werk.
Die Liebesgeschichten aller Liebesgeschichten ist William Shakespeares Romeo + Julia nicht. Der Film ist dafür eigentlich zu gradlinig und wenig abweichend vom Stoff. Auf der anderen Seite ist es ein durchaus gewagtes Filmexperiment. Kaum ein Film, der eine so klassische Vorlage hat, wirkt so schrill, hektisch und bunt. Und genau darin gefällt das Werk.
