Bewertung: 4.5 / 5
Dass die Südkoreaner soziale Themen auf eine brutal-abscheuliche Art und Weise beherrschen wie derzeit niemand anderes, ist eigentlich nicht erst seit Parasite klar. Dass sie zudem verlotterte Verlierertypen, an denen auf den ersten Blick alles verachtenswert ist, zu den absolut nachvollziehbaren Identifikationsfiguren aufbauen können, ist auch nicht erst seit gestern bekannt. Insofern ist Squid Game eigentlich nichts anderes als eine serielle Weiterführung vieler Themen, die seit mindestens 15 Jahren in der Filmlandschaft Südkoreas bekannt ist und dort in verschiedensten Variationen schon durch exerziert wurde. Dabei kulminiert aber in Squid Game sowohl diese cineastische Bewegung mit dem Erzählen des Abzählreimes 10 Kleine "SuchdirhiereineRandgruppeaus" a la Battle Royale, Hunger Games und Takeshis Castle, nur um seine eigene Version der altbekannten Geschichte, die es auch schon mindestens seit den 1930ern in allen möglichen Hollywoodfilmen gibt, abzuliefern.
Das Endresultat ist dabei derart auf Mainstream gemünzt, dass die Serie tatsächlich universell gut aufgenommen werden kann, im gegenteil zum Beispiel zu Alice in Borderland, der alleine durch seine Bildsprache oder seine Protagonisten überhaupt schon eher ein kleineres Publikum (alleine von der Ausrichtung der Anzahl an Zielgruppen, nicht mengenmässig gesprochen) ansprechen dürfte.
Trailer zu Squid Game
Dass sie allerdings derart durch die Decke geht, hätte ich ehrlich gesagt nie für möglich gehalten, aber was solls. Ist halt ein Phänomen unserer Zeit, dass Mundpropaganda manchmal auch solche Blüten treiben kann. Also worum gehts nun und wie gut ist die Serie?
Etwa 500 verzweifelte Leute erklären sich bereit an irgendwelchen Spielen teilzunehmen, ohne zu wissen, worum es genau geht, nur dass ihnen ein großer Gewinn winkt. Gleich beim ersten Spiel bekommen sie eine Kostprobe dessen, worum es wirklich geht: Sie müssen zur Belustigung einer Gruppe von dekadenten reichen Leuten irgendwelche Kinderspiele spielen, und die die verlieren, müssen mit dem Leben bezahlen.
Was sich hieraus entwickelt, exerziert diverse Handlungsebenen und -alternativen durch, gibt uns genügend Protagnisten an die Hand, deren zunehmenden Dilemmas immer verzwickter werden, und macht die Spieler zu Tätern und Komplizen, und in gewisser Weise auch den Zuschauer. Die Themen, die angesprochen werden, werden irgendwann durchaus auch philosophischer und bis zum Ende hat man das gefühl, einem nihilistischen manifest mit zynischen Zügen beizuwohnen, am Ende steht der gebrochene Mensch in der Maschinerie da.
Doch wie es sich für eine gute Geschichte gehört, kommt der Silberstreif am Horizont genau dann, als es wirklich am Düstersten ist. Und das macht diese Serie wirklich zu einer großen Serie. Denn neben den ganzen bösen Spielen, die mittlerweile sogar auf Grundschulhöfen nachgespielt werden, und teilweise sogar potenziert, hat die Serie nämlich tatsächlich auch was zur Natur des Menschen zu erzählen. Das ist nicht neu oder auch nur ansatzweise innovativ, aber es ist zutiefst human.
Squid Game ist kein zweites Saw, Squid Game geht tatsächlich den Weg, eine menschliche Geschichte zu erzählen, eine über puren Kapitalismus, und die Serie geht durchaus sehr kritisch damit um. Dafür benötigt sie aber einer radikalen Herangehensweise, welche sie zu ihrem Glück nicht in den Mittelpunkt rückt. So sind die ersten beiden Folgen, bis auf ein paar Ausnahmen reine Charakterfolgen, und die letzte Folge ist zum längsten Teil ebenso eine Folge über Trauma und Bewältigung dessen sowie wie gesagt eine über die Natur des Menschen.
Squid Game naht sich problemlos an die großen cineatsischen Werke der jüngeren Vergangenheit aus Südkorea, die sich dieses Themas annahmen, sei es memories of Murder, Mr Vengeance, Bedevilled, Save the Green Planet, Snowpiercer, Mother, Burning oder Parasite, die auch allesamt einen grandiosen Twist hatten und dadurch erst als mehr angesehen werden konnten, als sie eigentlich streben zu sein, an.
Ein Riesenvorteil dieser Serie ist vor allem der überragende Hauptcast, der die manchmal auch chargierenden manchmal recht prominenten Nebenfiguren, anführt. Und ohne zu viel zu verraten, ist ein überraschend auftauchender Superstar, der möglicherweise dann für potentielle Fortsetzungen ins Spiel gebracht würde, ebenfalls eine Bereicherung.
Aber auch sonst gibt es immer wieder Abzweigungen, die die Serie geht, welche groß Potential für weitere Staffeln bieten würde.
Freilich zwingend ist das alles nicht, Staffel 1 kann auch problemlos als abgeschlossene Miniserie angesehen werden.
Kurz: Believe the Hype, großes Kino, auch gerade, weil es eben nicht nur um die Spiele geht, sondern letztendlich immer auch um die Menschen und deren geschichten.
9 Punkte