Bewertung: 4.5 / 5
Schweden, wie schon im Original der Handlungsschauplatz, ist düsterer und vor allem kälter, geradezu herzloser inszeniert - so wie sich US-Amerikaner eben unser fernes Nordeuropa vorstellen. Auch Salanders Nemesis, ihr aktueller Vormund (Yorick van Wageningen), übertrifft an Sadismus und Ekelfaktor Peter Andersson im Original - was fast nicht möglich war. Dabei gibt Finchers Version in so manchen Momenten weniger preis, mitunter lässt er den Zuschauer 1 und 1 zusammenzählen, an anderer Stelle wiederum gibt er mehr Futter. Dieser Unterschied und das eine oder andere neue, feine eingestreute Detail in Verblendung sorgen dafür, dass man als Zuschauer über die Laufzeit von ganzen 158 Minuten immer wieder überrascht wird und keine Kopie eines Films erlebt.
So manche Nuance und sogar einige Szenen, wie das Aufeinandertreffen der beiden Protagonisten, wurden von Drehbuchautor Steven Zaillian (Gangs of New York, Die Kunst zu gewinnen - Moneyball) unserer Ansicht nach im neuen Verblendung sogar stimmiger erzählt. Hinzu kommt die durchweg überzeugende Besetzung, darunter Christopher Plummer als Henrik Vanger, Stellan Skarsgård als Martin Vanger, Steven Berkoff als Frode oder Robin Wright, die in einer kurzen Nebenrolle zu sehen ist. Auffallend ist, wie unterschiedlich Auftraggeber Henrik personifiziert wird: Erleben wir hier einen gebrechlichen Greis (Plummer), der in Rückblenden (sein junges Ich: Julian Sands) über den besagten Tag im September 1966 berichtet, wird Henrik im Original (gespielt von Sven-Bertil Taube) mehr eingebunden. Fast schade, dass Plummer so wenig Leinwandzeit vergönnt ist, der in diesen wenigen Minuten wiedermal eine beeindruckende Leistung zeigt. Doch de facto geht es um Craig und Mara. Man kann nicht sagen, dass Craig Nyqvist an die Wand spielt, der ein ebenso markantes Gesicht hat, doch das Zusammenspiel von ihm und Rooney Mara funktioniert auch sehr gut. Tatsächlich ist Rapaces Darstellung der Lisbeth Salander gegenüber Mara fast umgänglich, herzlich - die hier eine unfassbar verstörende Performance an den Tag legt. Selten spürt man so sehr die Verletzlichkeit und Aggressivität einer Person sowohl gegen sich als auch andere. Mara beweist Mut zur Hässlichkeit und wirkt auf ihre Art noch bedrohlicher als die ebenfalls überzeugende Vorgängerin, doch schlussendlich würden wir in einem Voting sogar für sie stimmen.
Trailer zu Verblendung
Anfänglich nicht erwartet und für uns überraschend sind beide Versionen klasse. Über die Frage, warum ein Remake, kann man sicherlich trefflich streiten, doch da Bauern nicht fressen, was sie nicht kennen, war es tatsächlich nur eine Frage der Zeit, bis Hollywood auf die Idee kam, eine der europäischen Erfolgsgeschichten der letzten Kinojahre selbst aufzulegen. Unsere anfängliche Skepsis wurde bestraft und wer sich seit jeher mehr für amerikanische Inszenierungen begeistert, wird an Verblendung seine Freude haben. Es ist nicht nötig, das Original zu kennen, weder Buch noch Film, um zu erkennen, dass Fincher nach Sieben, Fight Club und The Social Network erneut sein Können unter Beweis gestellt hat. Er scherte sich nicht um eine möglichst niedrige Freigabe und setzt bei Folter- und Actionszenen den typisch amerikanischen Stempel drauf. Das macht sein Verblendung in der einen Sekunde vielleicht absehbarer, andererseits aber auch perfider. Und wo man sich in Europa auf der Autorückbank unter einer Decke versteckt, muss es im Amerikanischen mindestens der Kofferraum sein (Drama, Baby, Drama!). Hinzu kommt ein bis ins Detail durchdachter, grandioser Soundtrack von Trent Reznor und Atticus Ross - allein das Intro und die energische Musik katapultieren einen rein in den Film.
Verblendung 2009 ist dreckiger, natürlicher, "normaler" - Verblendung 2011 ist stylischer, kälter, trostloser. Wir vergeben 4,5 von 5 Hüten und hoffen, dass Fincher auch die geplanten Fortsetzungen realisiert.
(DV)