Traditionell ging es in den X-Men-Filmen immer um den Konflikt zwischen Menschen und Mutanten. X-Men - Apocalypse aber handelt laut Bryan Singer von einem Bösewicht aus uralten Zeiten, der nicht versteht, dass er ein Mutant ist. Er sieht sich eher als Gott und unterscheidet nicht zwischen Mutanten und Menschen, nur zwischen Starken und Schwachen. In einer Welt, die seit 1973 und seit dem Ende von X-Men - Zukunft ist Vergangenheit Mutanten akzeptiert, sind die einst verfeindeten Lager plötzlich gezwungen, gegen Apocalypse (Oscar Isaac) zusammenzuarbeiten.
Überhaupt hat X-Men - Zukunft ist Vergangenheit einiges umgekrempelt. Es wurde praktisch die ganze Zeitlinie zurückgesetzt, was sich in X-Men, X-Men 2 und X-Men - Der letzte Widerstand ereignet hat, existiert so nicht mehr. Obwohl X-Men - Apocalypse im Jahr 1983 spielt, steuern die Charaktere und die Story also nicht notwendigerweise auf den Punkt zu, an dem sie im ersten X-Men-Film sind. Was nicht heißt, dass sie nicht doch dort landen können. Verwirrt? Kein Wunder. Mit der Zeit herumzuspielen, wie in X-Men - Zukunft ist Vergangenheit geschehen, ist immer riskant, weil es alles oft nur verkompliziert und sich Logiklöcher auftun. Singer versucht aber, unserem Verständnis auf die Sprünge zu helfen.
"X-Men - Apocalypse" Trailer 1 (dt.)
Die neue Zeitlinie führt nicht unbedingt exakt darauf zu, wo Patrick Stewart und die X-Men an Anfang von X-Men stehen. Man könne den Lauf der Dinge oder - metaphorisch gesprochen - die Strömung des Flusses nicht völlig ändern, ihn aber ein kleines bisschen umleiten. Das habe man getan. So sind Überraschungen möglich: Leute, die in X-Men 1, 2 oder 3 noch am Leben waren, könnten sterben, und Leute, die dort gestorben sind, könnten überleben. Es kann jederzeit jeden Charakter treffen, man weiß nie, was kommt.
Die Fluss-Metapher hat es Singer offenbar angetan. Ja, X-Men - Zukunft ist Vergangenheit wurde genutzt, um die Ereignisse der ersten drei X-Men-Teile "auszulöschen" (oder auch nicht?), aber er bestand dort auf der "Tivo-Szene", die Szene, als Beast (Nicholas Hoult) in dem Raum mit all den Videokameras saß. Der springende Punkt sei die Unveränderlichkeit der Zeit, die Vorstellung, dass die Zeit wie ein Fluss ist. Man könne sie verspritzen, sie durcheinanderbringen, Felsen in sie hineinwerfen und sie zertrümmern, aber letztlich fließt sie doch wieder ineinander. Quantenphysik, sagt Singer.
Damit spiele er in diesen neuen X-Men-Filmen. Die Zuschauer gehen in dem Bewusstsein ins Kino, dass alles passieren kann. Wirklich alles, jeder könnte sterben, jede Möglichkeit eintreten. Und trotzdem bewegen sich die Charaktere immer noch auf ihren unveränderlichen Platz zu. Am Beispiel von Jean Grey (in X-Men - Apocalypse Sophie Turner) und Scott Summers/Cyclops (Tye Sheridan) festgemacht: Sind sie dazu bestimmt, zusammen zu sein? Ist Scott, der Schulen und dergleichen hasst, dazu bestimmt, ein Anführer zu werden? Wird Jean jemals das volle Potenzial ihrer Kräfte ausschöpfen? Man weiß es nicht mit Sicherheit, es scheint nur darauf rauszulaufen. Auch die in X-Men - Zukunft ist Vergangenheit gezeigte neue Zukunft (ganz am Schluss) muss nicht der definitive Endpunkt und unumstößlich sein, da hält sich Singer alles offen.