
Es gibt Serienuniversen, die größer sind als das Fernsehen selbst. Star Trek gehört dazu – seit fast sechzig Jahren begleitet es Generationen von Zuschauern durch die Galaxie. Doch wer einen Blick zurückwirft, merkt schnell: Die Art und Weise, wie Star Trek Geschichten erzählt, hat sich dramatisch verändert. Zwischen dem behutsamen Episodenethos der Neunziger und den energiegeladenen Streaming-Produktionen von heute liegen zwei Erzählphilosophien, die kaum unterschiedlicher sein könnten.
Anmerkung:
Dieser Artikel konzentriert sich ausschließlich auf den Vergleich zwischen den Star Trek Serien der 1990er Jahre und den heutigen Produktionen. Zwar gab es auch zwischen den frühen Serien der 1960er und den 90ern deutliche Entwicklungen – etwa der Übergang von den pulpigen Abenteuerepisoden der Original Serie zu komplexeren, charakterorientierten Erzählungen – doch diese evolutionären Schritte werden hier nicht im Detail behandelt.
Der gute alte Rhythmus: Episoden als kleine moralische Erkundungsflüge
Als Raumschiff Enterprise - Das nächste Jahrhundert 1987 startete, war der Fernsehalltag ein anderer. Jede Woche bot eine neue Episode eine abgeschlossene Geschichte – oft eine Mischung aus moralischem Problem, wissenschaftlicher Neugier und leiser Charakterstudie. Man erinnere sich an "Wem gehört Data?" (engl.: "The Measure of a Man"), jene Folge, in der die Menschlichkeit des Androiden Data juristisch verhandelt wird. Die Story funktioniert völlig ohne Action - Drama entsteht durch Argumente, Empathie und philosophische Feinheiten.
Diese Struktur gab den Figuren Raum zu atmen. Sie mussten nicht in jeder Episode neu definiert werden. Das Publikum lernte sie über Routinen kennen: Picards Tee, Worfs Ehrenkodex, Datas beinahe kindliche Wissbegier, O’Briens technisches Improvisationstalent. "Bonding" (Aufbau emotionaler Nähe zwischen Zuschauern und Figuren) entstand durch Wiederholung – durch alltägliche Szenen, nicht durch permanente Eskalation.
Selbst in Star Trek - Deep Space Nine, das als erste Star-Trek-Serie stärker serialisiert erzählte, blieb dieser episodische Pulsschlag spürbar. Folgen wie "Der undurchschaubare Marritza" (engl.: „Duet“) oder "Im tiefen Schatten des Mondes" (engl.: „In the Pale Moonlight“) lebten davon, lange etablierte Figuren in neue moralische Lichtverhältnisse zu rücken, ohne ihnen die Basis wegzuziehen.
Backstory damals: Ein seltenes Gut – und deshalb umso wertvoller
Die klassischen Serien gingen mit Hintergrundgeschichten sparsam um. Worf brauchte Jahre, bis das Publikum seine klingonische Identität in all ihren Facetten kannte. Kira Nerys´ Vergangenheit im bajoranischen Widerstand wurde häppchenweise erzählt, mit der Vorsicht eines Teams, das wusste: Weniger ist manchmal mehr.
Diese Zurückhaltung verlieh jeder Enthüllung Gewicht. Wenn sich Garak in Deep Space Nine einmal zu einem Fragment seiner Vergangenheit äußerte, war das Ereignis – nicht Routine.
Moderne Serien gehen anders vor. Hier treibt Backstory die Handlung voran – oft in Form traumatischer Erlebnisse, brisanter Familiengeschichten oder Identitätskrisen, die die gesamte Staffel prägen. Das ist zeitgemäß und emotional, kann aber auch den Eindruck erwecken, dass Figuren weniger organisch wachsen und stärker konstruiert wirken.
Das führt uns direkt zum nächsten Thema:
Save-the-Cat: Sympathieaufbau damals und heute
Ein Save-the-Cat-Moment beschreibt eine Szene, in der eine Figur etwas tut, das den Zuschauer sofort für sie einnimmt – sei es eine kleine Handlung der Hilfsbereitschaft, ein moralischer Entschluss oder eine besonders menschliche Reaktion. Damit er wirkt, sollte dieser Moment idealerweise früh in der Geschichte auftreten, sodass das Publikum sofort erkennt, wer die Figur ist, und eine emotionale Bindung aufbauen kann.
In den klassischen Serien entstanden solche Momente oft organisch und wiederkehrend, eingebettet in den Alltag der Crew. Die Sympathie baute sich über Zeit und Kontinuität auf.
In modernen Serien treten Save-the-Cat-Momente häufiger und gezielter auf, oft als dramaturgische Höhepunkte einzelner Episoden oder Staffeln. Figuren wie Michael Burnham (Star Trek - Discovery) oder Jean-Luc Picard (Star Trek - Picard) erhalten gezielt Szenen, in denen sie heroisch handeln, moralische Entscheidungen treffen oder emotional überhöht dargestellt werden, um sofort die Bindung des Zuschauers zu sichern. Es gibt also nicht unbedingt mehr Save-the-Cat-Momente, aber sie sind stärker fokussiert, oft spektakulärer inszeniert und dienen direkt dem Plot.
Der Effekt: Moderne Figuren wirken intensiver in einzelnen Szenen, während klassische Figuren über viele Episoden hinweg allmählich Vertrauen und Sympathie aufbauten. So hat sich der Ansatz zum Sympathieaufbau gewandelt – von subtilen Alltagshandlungen hin zu gezielten, emotional aufgeladenen Momenten.
Von subtiler Ironie zu Klamauk? Humor im Wandel des Franchise
Humor war im klassischen Star Trek oft eine Frage der Zwischentöne.
Data, der versucht, einen Witz zu verstehen; Quark, der mit ironischer Selbstüberschätzung in moralische Fettnäpfchen tritt; Bashir und O´Brien, die sich wie zwei überintellektuelle Schuljungen zanken – das alles wirkte wie ein Nebenprodukt der Figuren – nicht wie ein gezielt gesetzter Punchline-Moment.
In moderneren Serien setzt man dagegen häufiger auf schnellere, breitere Gags. Manchmal erinnert der Humor eher an Marvel-artigen Slapstick oder an unpassende Sprüche mitten im dramatischen Konflikt. Das ist nicht per se schlechter – viele Zuschauer finden es zeitgemäß -, aber es erzeugt einen anderen Ton. Wo früher die Komik leise und charakterbezogen war, erscheint sie heute gelegentlich lauter, hektischer, manchmal fast selbstkommentierend.
Wissenschaftlichkeit: Vom forschenden Geist zum Effektgewitter?
Einer der größten Unterschiede betrifft die wissenschaftliche Neugier, die Star Trek einst definierte.
In Raumschiff Enterprise - Das nächste Jahrhundert war Wissenschaft nicht nur Kulisse. Episoden wie "Besuch von der alten Enterprise" (engl.: "Relics"), "Ursache und Wirkung" (engl.: "Cause and Effect") oder "Der Reisende" (engl.: "Where No One Has Gone Before") bauten ihre Spannung auf physikalischen oder astronomischen Spekulationen auf – nie perfekt realistisch, aber immer plausibel genug, um die Fantasie anzuregen. Man hatte das Gefühl, die Crew wäre tatsächlich unterwegs, um Unbekanntes zu erforschen.
Heute ist der wissenschaftliche Anspruch oft eher atmosphärisch als strukturell. Technobabble (erfundener, technisch klingender Fachjargon in Sci-Fi) existiert weiterhin, dient aber häufig dazu, die Handlung zu beschleunigen oder visuelle Effekte zu legitimieren. Wer moderne Serien schaut, merkt: Die visuelle Inszenierung hat an Gewicht gewonnen – große Explosionen, ungewöhnliche Kamerafahrten, beeindruckende Raumzeitszenarien. All das sieht großartig aus, doch gelegentlich übertönt es die innere Logik.
Dazu kommt ein Phänomen, das vielen modernen Produktionen eigen ist: Plot-Holes werden eher durch Tempo und Effekte kaschiert. Was im klassischen Trek durch technologische Erklärungen oder sorgfältige Konstruktionen ausgeglichen wurde, wird heute manchmal schlicht überschrieben – ein Sternenflottenexperiment geht schief, ein Dimensionsriss öffnet sich, und die Lösung kommt so schnell wie der Zusammenbruch. Das ist nicht als Kritik gemeint, sondern als Beobachtung eines generellen Trends im zeitgenössischen Sci-Fi-Fernsehen.
Serialisierung: Segen, Fluch – oder einfach eine andere Kunstform?
Die moderne Serienwelt liebt fortlaufende Handlungsbögen.
Heute fühlt sich eine Staffel eher wie ein zehnstündiger Film an, der in einzelne Kapitel – also Folgen – unterteilt ist, statt wie eine Sammlung kleiner, aber emotional starker Höhepunkte. Star Trek - Discovery etwa baut fast jede Staffel wie ein Rätsel auf, dessen Lösung erst im Finale präsentiert wird. Das erzeugt Spannung, aber es führt auch dazu, dass weniger Zeit bleibt für ruhige Momente – jene kleinen Atemzüge, in denen klassische Figuren wie Jadzia Dax oder Geordi La Forge früher ihre Menschlichkeit zeigten.
Während ältere Serien durch Ruhe und Wiederkehr Bindung erzeugten, erzeugen moderne Serien durch Tempo und Emotionen Intensität. Beides hat seinen Wert, doch die Wirkung ist unterschiedlich.
Ensemble vs. Protagonist: Wenn das Teamgefühl verblasst
Ein oft übersehener Unterschied betrifft den Fokus.
Raumschiff Enterprise - Das nächste Jahrhundert und Deep Space Nine erzählten konsequent als Ensemblewerke. Selbst Nebenfiguren wie Odo, Nog oder Guinan hatten eigene Mini-Arcs, die sich über Jahre entwickelten. Man spürte: Die Station oder das Schiff war ein lebendiger Ort.
Viele neuere Produktionen konzentrieren sich dagegen stärker auf einzelne Hauptfiguren – Michael Burnham in Star Trek - Discovery, Jean-Luc Picard in Star Trek - Picard. Das entspricht modernen Erzählkonventionen, kann aber die Vielfalt und Wärme eines Ensembles reduzieren. Es entsteht ein anderes, engeres Seriengefühl.
Also: War früher nun alles besser?
Das wäre zu einfach.
Es gibt hervorragende moderne Trek-Momente, die emotionaler, persönlicher und mutiger sind als vieles aus den Neunzigern. Und es gibt klassische Folgen, die schlicht handwerklich durchfielen.
Aber die Unterschiede sind klar:
- Klassisches Star Trek setzte auf Ruhe, Subtilität, Wissenschaft und Teamkultur.
- Modernes Star Trek setzt auf Tempo, Emotion, Serialität und visuelle Wucht.
Ob man das eine oder das andere besser findet, hängt weniger von Treue zur Marke ab als von der Frage, welche Art von Science-Fiction man sehen möchte:
das leise Philosophieren eines Sternenflottenkapitäns – oder den flammenden Sprint eines modernen Streamingdramas.
Am Ende ist es wohl wie mit den Sternen: Manche leuchten ruhiger, manche heller. Ihren Wert verlieren sie deshalb nicht.
