Bewertung: 5 / 5
Nachdem es in der Sneak-Preview nichts ausgesprochen Besonderes gab (The Surprise, eine schwarze Komödie aus den Niederlanden) über das es sich zu schreiben gelohnt hätte, entschied ich gestern spontan The Accountant nun endlich mal zu schauen. Die Trailer sahen allesamt sehr vielversprechend aus, Affleck mag ich ohnehin schon ziemlich lange und nachdem es dann auch leider keine OV-Vorstellung des Films in unserem UCI gab, wurde es Zeit zumindest in der Synchro reinzuschauen. Dieses Review wird spoilerfrei ausfallen sieht man von kleineren Infos aus den Trailern ab, denn der Plot des Films wirkt meiner Meinung nach am besten, wenn man ihn für sich selbst erfährt.
Trailer zu The Accountant
Inhalt:
Christian Wolff ist Steuerberater mit einer Form von hochbegabungsgekoppeltem Autismus. Er ist unglaublich gut mit Zahlen und findet die kleinsten Ungereimtheiten in Finanzbildern innerhalb von wenigen Stunden. Mit dieser Begabung arbeitet er nicht nur in seiner Firma, er macht auch die Bücher für gefährlichere Klienten. Während er ein Finanzleck in einer großen Firma offenlegt, beginnen um ihn herum Menschen zu sterben und er wird selbst zur Zielscheibe. Zu alledem sind auch noch zwei FBI-Agenten dem Geheimnis um diesen Mann auf der Spur. Doch Christian hat noch andere Talente als bloß Zahlen...
Kritik:
Ohne allzu viel zuspoilern kann man The Accountant als Thriller-Drama bezeichnen, eine Art Good Will Hunting meets John Wick, auch wenn beides dem Film nicht gerecht werden würde. The Accountant ist eine ganz eigene Geschichte, die sich um einen Mann dreht, der entsprechend seiner Fähigkeiten und Beschränkungen seinen eigenen Platz in der Welt gefunden hat.
Ben Affleck spielt mit Christian Wolff eine seiner stärksten Rollen bisher und geht in der Rolle voll auf. Die Grenze zwischen der krankheitsbedingten Unfähigkeit wirkliche Empathie zu zeigen und der fast schon kindlichen Begeisterung für Zahlen und das Lösen mathemathischer Probleme ist bei seiner Figur immer wieder im Film sehr schmal und Affleck gelingt es die Nuancen in seiner sehr reduzierten Darstellung gekonnt zu verarbeiten. Überhaupt trägt Affleck den Film überwiegend auf seinen eigenen Schultern, obwohl er durch die gesamte Laufzeit von einem Haufen großartiger Nebendarsteller gestützt wird. Anna Kendrick, J.K. Simmons, Jon Bernthal und Cynthia Addai-Robinson in den tragenden Nebenrollen spielen ausgesprochen gut auf und auch die kleineren Parts von Jean Smart, Jeffrey Tambor oder John Lithgow fügen sich nahtlos in den Film ein. Darstellerisch gibt es hier keinerlei Ausfälle zu vermelden und selbst die sonst gern mal als "naives Dummchen" gecastete Kendrick macht sich an der Seite von Affleck sehr gut.
Doch die beste Darstellerriege wäre nichts ohne ein gutes Drehbuch. Und The Accountant hat eben ein solches aufzuweisen. Bill Dubuque, ein relativer Schreiber-Neuling, hat mit seinem Skript einen genial verschachtelten Thriller mit starken Dramaelementen abgeliefert, der durch seine immer wieder aus der eigenen Chronologie ausbrechende Erzählstruktur zu überraschen weiß. Während die Geschichte um Christian Wolff sich in der Gegenwart Stück für Stück entfaltet und wir die Figur kennenlernen, zeigt sie trotzdem immer wieder Versatzstücke aus seiner Vergangenheit, die dazu beitragen Wolff besser zu begreifen. Dieses Kennenlernen geschieht inklusive der Probleme und der Methoden damit umzugehen: Wolff konditioniert sich beispielsweise mit lauter Musik und Stroboskoplicht, um audiovisuellen Stress besser ertragen zu können. Diese kurzen Sequenzen geben der Figur Tiefe und stützen die Illusion einer echten Person in einer glaubhaften Welt.
Dem Verhältnis zur Krankheit, seiner Familie, Problemen und Lösungen wird innerhalb der Erzählstruktur überhaupt ein großer Stellenwert zugeordnet, wodurch man als Zuschauer schnell Empathie für Afflecks Figur entwickelt und zugleich eine faszinierende fiktive Lebensgeschichte präsentiert bekommt. Regisseur Gavin O´Connor, vielen sicherlich für seine Regiearbeit an Warrior von 2011 bekannt, gelingt es die einzelnen Ebenen der Geschichte visuell gekonnt zu verknüpfen, dabei jedoch nie ein Gefühl von Reizüberflutung oder fehlender Konsistenz aufkommen zu lassen. Die Geschichte wird dabei zu keinem Zeitpunkt langweilig, entfaltet sich langsam aber stetig und legt mehr und mehr Schichten seiner Figuren frei, während sie auf eine clevere Auflösung hinarbeitet. Wie seine Hauptfigur verweigert der Film lange einen Blick auf das innere Seelenleben und muss erst nach und nach erfahren werden, um zum Kern der Geschichte vorzudringen.
Und da diese Sequenzen auch Teil der Erzählung sind, soll nicht unerwähnt bleiben, dass die Action sehr gut gefilmt und gekonnt umgesetzt ist. Man fühlt sich stellenweise an die Härte und Konsequenz eines Taken oder John Wick erinnert, hat in den stellenweise hektischen Sequenzen auch ein leichtes Gefühl von Jason Bourne, aber alles bleibt übersichtlich und man kann immer dem Geschehen folgen.
Musikalisch gibt sich der Film eher reduziert und der Score von Veteran Mark Isham stützt in erster Linie die Bilder herausragend. Trotzdem setzt er neben den verstärkten elektronischen Elementen immer wieder mit Streichern Akzente und bleibt im Kopf. Die kalkuliere und undurchsichtige Fassade Wolffs findet ihren Spiegel in der musikalischen Untermalung. Der Score macht den Film letztlich zu dem Ereignis, das er ist und mit den gezielt eingestreuten Musikstücken aus Klassik, Pop und Rock fügt er zur Gefühls- und Erfahrungswelt der großartigen Hauptfigur sehr viel hinzu und bringt den Film auf eine meisterhafte Ebene.
Fazit:
The Accountant ist eine großartige Gemeinschaftsleistung, bei der sehr viele Faktoren zusammenspielen, um ein tolles Kinoerlebnis zu erschaffen. Die Cleverness des Skripts kann man dem Film in einer Zeit der mangelnden Originalität, Buchadaptionen und formularisierten Fortsetzungen dabei nicht hoch genug anrechnen. Es gelingt eine originelle Story zu erzählen, sie visuell mit herausragender Regie gut zu verpacken und mit einer Riege an höchst begabten Darstellern mit Leben zu füllen. Ben Affleck beweist einmal mehr, dass er ein toller Darsteller ist, der vor allem emotional reservierte Figuren mit einer Vielzahl an kleinen Nuancen zum Leben erwecken kann. Ishams Score gibt seiner Darstellung umso mehr Tiefe und so wird eine der interessantesten und spanndendsten filmischen Erfahrungen des Jahres perfekt.
10/10 Punkte bzw. 5/5 Hüte gibt es für The Accountant
und die dringende Empfehlung an jeden Thrillerfan, sich dieses große Highlight nicht entgehen und ihm die Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, die ihm zusteht.