Bewertung: 3 / 5
Es gibt hier auf MJ zum Zeitpunkt meines Schreibens zwei Kritiken zu Blond, eine von MJ, die andere von PaulLeger. Üblicherweise wäre ich von meiner Erfahrung her näher bei PaulLeger, aber in diesem Fall muss ich mich tatsächlich näher zu MJ positionieren. Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht. Es gibt extrem viel, was man an Blond toll finden kann, genau so viel gibt es aber auch, was man eben nicht so toll finden kann. Ich werde mich mal von einem anderen Blickwinkel an den Film nähern, das könnte durchaus sperrig werden, ähnlich dem Film, das wird aber sicherlich über den Tellerrand aus anderen Persepktiven heraus schauen. Wer also zwei geradlinigere konträre - völlig legitime - Meinungen zu Blond lesen möchte, der möge zu den vorgenannten Reviews greifen.
Zuallererst mal die obligatorische Abarbeitung in einem Review: Blond beschreibt das Leben von Norma Jean Baker, die als Marylin Monroe zu Weltruhm kam. Aber nicht als Biopic sondern als Romanadaption, was gleichbedeutend damit ist, dass man sich durchaus einige Freiheiten nehmen kann.
Trailer zu Blond
Und damit fängt schon die erste problematische Entscheidung des Films an: Üblicherweise gehört es mittlerweile zum guten Ton, am Anfang solcher Filme zu schreiben, dass die geschilderten Ereignisse auf wahren Ereignissen beruhen oder sich zumindest an diesen orientieren. Das bedeutet meistens einen Scheiss und die Filme sind trotzdem immer hanebüchen und an der Realität so vorbei wie es nur ein Paralleluniversum sein kann, was ja von den Coens und später auch von Noah Hawley grandios mit ihrem Fargo persifliert und ad absurdum geführt wird. Bei Blond gibt es diese oder irgendeine Texteinblendung am Anfang eben nicht, auch kein Verweis darauf, dass der folgende Film eben eine rein fiktionalisierte Romanadaption ist. So wiord dem unbedarften Zuschauer etwas vor die Linse geworfen, wovon er erstmal davon ausgehen kann, dass es bare Münze ist. Das ist eine künstlerische Entscheidung seitens Andrew Dominic, die höchst manipulativ ist, aber wenn man den Rest des Filmes betrachtet, durchaus eben genauso gewollt ist, denn er möchte eine ziemlich klare Aussage tätigen und da fängt er schonmal mit dieser Entscheidung an. Wie gesagt, wenn man weiss worauf man sich einlässt, ist das völlig ok, wenn man es nicht weiß, auch ok, aber er gibt dem Film damit schon vor dem ersten Frame schon eine Richtung vor, die er konsequent einhält.
Was hält er konsequent ein? Er ist ein frühes Werk für die Me2 Bewegung und zeigt sehr ausgiebig, wie die Hauptperson von der Männerwelt marginalisiert wird auf ihr Sexappeal und sonst nichts, wie ihs ständig Gewalt - auf die eine oder andere Art - angetan wird und wie sie in dieser Maschinerie vor die Hunde geht. Um diese Aussage zu tätigen, geht Dominic wenig zimperlich, und noch weniger subtil, vor und hämmert dem Zuschauer seine Message überdeutlich in den Schädel. Daran ändert auch nichts, dass er zunehmend Norma vermeintlich auch in den Wahnsinn abgleiten lässt. Dies kann man nämlich auch unterschiedlich lesen, aber egal wie man es liest, es wird immer so gelsene, wie Dominic es einem einmanipuliert.
Das wäre ja an und für sich nicht verwerflich, wenn er es dem Sujet entsprechend inszeniert wäre. Doch auch hier wählt Dominic seinen Weg und eckt damit - möglicherweise bewußt - an. Er macht keine Gefangenen, inszeniert extrem selbstbewusst und springt in seiner Inszenierung von Bildformat zu Bildformat, vonm Farbe zu S/W, von Voice Over zu semi-dokumentarisch, von Fetishisierender Nachstellung zu eigenständiger Interpretation. Und wenn man empfänglich für diesen Inszenierungsstil ist, kann man eventuell auch dafür empfänglich sein, die brillante (und das ist sie wirklich!) Inszenierung mit einer guten Inszenierung zu verwechseln.
Ich lasse das jetzt erstmal ein bißchen sacken - 21 -22 - hehe
Split-Screens, verschiedene optische Spielerien, all das ist nicht wirklich neu, so auch schon bereits vor etwa 30 Jahren bei der Satire Natural Born Killers auch schon in Teilen durch exzerziert, auch bei Citizen Kane gabe es sowas schon mit Abstrichen und wenn wir noch weitwer zurück gehen, in der Stummfilmzeit sowohl Buster Keaton, Griffith oder gar der großartige Napoleon hatten allesamt solche Sachen. Im neueren Zeitalter haben wir diverse Serien und Filme gehabt, die genau mit diesen stilistischen Mitteln, die Dominic jetzt auch nutzt, ebenfalls inhaltlich stimmig diese Arten des Wechsels durchgezogen haben (Lucy in the Sky, Fargo (erneut), Legion, Homecoming, nur um ein paar Beispiele zu nennen). Und wenn der Inszenierende weiss, was er macht, dann ist das Ergebnis jedes Mal beeindruckend. Ich will damit nicht schmälern, was Dominic inszenatorisch da abliefert, aber das ist nicht ganz so überragend, neuartig oder gar irritierend, wie es überall immer wieder gemacht wird. Das ist im Gegenteil sehr gut gemacht, weiss was es machen will, zieht es konsequent durch und das völlig im Rahmen des Gezeigten.
Sehr hilfreich ist in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, dass wir mit Ana de Armas eine Schauspielerin haben, die komplett all in geht mit einer Performance, die unter normalen Umständen, ihr in dem Jahr jeden Schauspielpreis einbringen würde: Sie speilt einfach famos, hat teilweise eine gespenstische Aura, hebt sich aber in den netscheidenen Momenten aber immer auch von dem Kunstprodukt Marylin ab und legt den Fokus wahrhaftig auf Norma Jean. Das ist der absolute Pluspunkt des Films, der einen auch in den widrigsten Umständen am Film hält.
Also, Inszenierung top, Darstellerin Over the Top, Inhalt auch wenn fragwürdig eine künsterlische Entscheidung und dadurch auch eigentlich Kritikresistent, wenn der Film den selbst Ansprüchen eben doch gerecht wird.
Und da wird es nun wacklig...
Wenn Künstler oder Wissenschaftler anfangen Werke über fragwürdige Themen zu drehen, und sich dann auch im Wissen über die eigenen Fähigkeiten, darüber im Klaren sind, dass das hier gerade das Opus Magnum der eigenen Vita werden kann, plötzlich auch anfangen fragwürdige Entscheidungen zu treffen, dann haben wir ein zutiefst menschliches Paradoxon vor uns.
Das fängt bei Copolla an, als er bei den Dreharbeiten zu Apocalypse Now komplett durchgedreht ist, und die Grenzen zwischen Col. Kurtz und Copolla zu verschwimmen schienen. Das geht bei irgendwelchen wissenschaftlichen sozialen Experimenten weiter, auf dem der Film Das Experiment beruht, und das findet seinen vielleicht absurdesten und erschreckendsten Höhepunkt in dem filmischen Experiment genannt DAU, wo ein Filmemacher ein Werk über die Monströsität der Sowjetdiktatur drehen wollte, dabei sein komplettes Team drei jahre von der Außenwelt abschirmte und den Leuten ihre Rollen aufdrängte, so dass diese Leute gar keine eigene Persönlichkeit mehr hatten. Das ging soweit, dass da ein eigenes repressives System entstand, wo der Regisseur plötzlich als Herr über Leben und Tod angesehen wurde. International große Beachtung fand dies dann in der einen Auskopplung, in der die Mißstände der Folter in diesem System angeklagt werden sollten, wo die Hauptdarstellerin tatsächlich brutal gefoltert und sexuell an die Grenzen geführt wird und darüber hinaus. Hier ist jetzt ein Moment der Pause angebracht, denn das wurde überall sehr kontrovers aufgefasst, aber der einhellige Konsens war, dass die Protagonistin ihre Würde behalten hätte. Wer schreibt sowas? Wie kommt man darauf zu behaupten, jemand der gerade vor den Augen aller derart zur Schau gestellt wird, jemand der auf Grund eines ausgeprägten Stockholm Syndroms, einfach als Opfer trotzdem eine gewisse Zuneigung hier zu empfinden scheint, würde seine Würde behalten? Wie kommt man überhaupt auf die Idee, solch ein Werk anzuschauen und es für Kunst zu halten? Bei solchen Werken muss man meines Erachtens immer alert sein und wissen, ob man sich sowas geben muss. Ich habe mich schlau gemacht und mich entscheiden, es zu meiden. Aber alleine der Umstand, dass sie nach "vollbrachter" Folter anscheinend den Foltermeister fragt, ob er sie attraktiv fände, und dies dann auf Wikipedia oder wo auch immer ich das gelesen habe als ein Zeichen des Flirtens wahrgenommen wird und nicht etwa als ein Zeichen eines vor unseren Augen zerbrochenen Menschen, der gerade gar nicht erfassen kann, was ihr wiederfahren ist, und da noch um ein letztes Quäntchen menschlichen Zuspruch zu erfahren geradezu darum bettelt, und zwar bei dem Typen, der ihr das angetan hat, übrigens im wahren Leben wohl ein tatsächlicher ehemaliger KGB Folterknecht, löst bei mir gerade schon beim Lesen ein unbehagliches Gefühl aus und zwar lässt es mich stark daran zweifeln, ob das noch Kunst ist oder einfach nur noch ein megalomanisches Egoprojekt, das jegliche Grenze einfach nur überschritten hat und wo die Verantwortlichen im namen der Kunst allesamt davon kommen. Und gleichzeitig wird das Publikum mitschuldig, da es aktiv/passiv daran teilnimmt, und seine eigenen Schlüsse daraus auf eine recht analytische und nüchterne Art zieht.
Von diesem absolut extremen Beispiel ist Blond glücklicherweise weit entfernt, aber Dominic verhaspelt sich eben auch in seiner "Wutrede" über den Sexismus gegen Norma Jean und im allgemeine per se, indem er genau das was er anprangert, dann doch zu gewissen teilen mit bedient, zugegeben er hinterläßt uns mit einem mulmigen Gefühl, aber doch macht er uns zu Voyeuren am Leid einer Person, er reduziert diese Person zu einem ewigen Martyrium, auch daran läßt er uns auf eine perverse Art genüßlich teilnehmen, und er stellt ihren Körper auch definitiv zur Disposition. Nein, wir haben hier kein Softporno, aber der Film ist explizit genug, vor allem gegenüber de Armas.
Natürlich macht sie das mit, weil sie die Gegebenheiten kennt und weil sie weiß, dass diese Rolle ihr die Türen öffnen wird, und damit beisst sich die Katze in den Schwanz (ich sagte Katze!)
Dominic ist eben Manns genug das durchzuziehen, und das ist das Problem!
Wie gesagt der Film ist gut bis sehr gemacht, er ist sensationell gespielt, aber er ist kein guter Film per se, weil er sich in seinem eignenen Film verliert und die falschen optischen Sperenzchen nutzt.
Hinzu kommt, dass Norma Jean eigentlich zu wenig Raum eingeräumt wird (wie gesagt, könnte als künstlerische Entscheidung durchgehen) und Marylin einfach zur Stimme von Norma wird (etwas was wahrscheinlich keine künstlerische Entscheidung ist, sondern aus Ermangelung des Interesses an der tatsächlichen Person Norma Jean einfach mal unberücksichtigt blieb).
Wer einen guten fiktiven Film zu Marylin Monroe sehen möchte, dem empfehle ich definitiv eher Insignificance aus 1985. DAS ist ein wirklich sehenswerter ebenfalls leicht sperriger künstlerischer und künstlerisch wertvoller Film, der tatsächlich sehenswert ist.
Blond hingegen? Naja, entscheidet selbst, ich bin nicht begeistert, die doch so hohe Wertung kommt auf Grund der professionellen Machart und dem überragenden Schauspiel...