Bewertung: 3.5 / 5
"Der Schein soll nie die Wirklichkeit erreichen
Und siegt Natur, so muss die Kunst entweichen"
So fasste Friedrich Schiller einst sein Verständnis von Kunst, dass sich ebendiese durch Abstand zur Realität auszeichne, in Worte. Sie solle in ihrer Ästhetik autonom bleiben; mehr noch, sie könne gar nicht naturgetreu sein, ohne ihre Form zu verlieren. Und "The Fabelmans" von Steven Spielberg beweist das, im Guten wie im Schlechten.
Entsprechend ist der Film immer dann am schwächsten, wenn Spielberg aus seinem Leben erzählt. Wenn die Auseinandersetzung mit dem Medium einem banalen Familiendrama weicht, wenn das Gefühl der Inszenierung zum Zweck der Narration verkommt. Ganz Schillers These folgend büßt "The Fabelmans" seinen Subtext ein, sobald er sich der Wiedergabe wahrer Ereignisse widmet. Dann kapituliert Spielbergs Ausdruck vor der Schilderung seiner Kindheit, rutscht bisweilen sogar in die verlockende Plakativität, Schlüsselmomente besonders tragisch inszenieren zu wollen. Nur kann das Werk in diesen nichts anderes tun, als die eigene Handlung in für den Regisseur typisch konservative Einstellungen zu packen und sich zu lang an den Gesichtern seiner Figuren festzusaugen. Der Film kommt nicht zum Ende, obwohl alles, was er tatsächlich zu sagen hatte, längst erzählt ist.
Trailer zu Die Fabelmans
Viel interessanter ist "The Fabelmans" hingegen, wenn es um Spielbergs Leidenschaft geht: das Filmemachen. Und der Regisseur versteht das Medium, das merkt man ihm an. Merkt man seinem Film an. Es ist das visuelle Erzählen, das in "The Fabelmans" zu tieferer Bedeutung gelangt, das noch in der letzten Szene als für das Medium zentral herausgestellt wird:
"When the horizon is at the bottom, it [das Bild] is interesting. When the horizon is at the top, it is interesting. When the horizon is in the middle, it is boring as shit."
Das ist der Tipp, den der legendäre Regisseur John Ford - gespielt von dem nicht minder legendären David Lynch - dem jungen Spielberg für dessen Filme mitgibt. Nicht die Handlung, nicht die Botschaft sind das Wichtige, sondern die Bildgestaltung. Und so scheut sich Spielberg nicht davor, noch der kleinsten Kleinigkeit ästhetischen Gehalt zu verleihen. Er fokussiert auf optische Details, nutzt diese als Szenenübergänge und verneigt sich mittels visueller Zitate vor Größen der Filmgeschichte. All die Werke, die seine Kindheit, sein Schaffen geprägt haben - in "The Fabelmans" geht es eben auch um die verschiedenen Facetten, die das Medium haben kann.
Film als Geheimnis, als Spiel, als Erleben. Es ist der kindliche Protagonist, welcher fasziniert von all den Möglichkeiten immer tiefer in die Kunst eintaucht, dessen Silhouette sich in einem Shot förmlich in einem alten Fernseher verliert. Ein optischer Verweis darauf, wohin Spielberg gehört, dass er hier im Groben seine Jugend verfilmt. Und so hält er als Kind buchstäblich den Film in den Händen, findet in diesem seine Bestimmung. Seiner Mutter hingegen dient Film als Aufmunterung, als Erinnerung. Für seinen Onkel stellt er ein Stück Heimat dar. Doch für den eher naturwissenschaftlich ausgeprägten Vater ist Film immer bloß das Hobby seines Sohnes, das Hintergründige darin bleibt ihm verborgen.
Dabei wirkt das Medium zwar sehr wohl als Eskapismus - wenn der Protagonist nach langer Zeit wieder seiner Berufung, dem Filmen, nachgehen kann, spielt nicht umsonst das Lied "Goodbye Cruel World" von James Darren -, findet seine Sinnhaftigkeit jedoch vor allem in der Art und Weise der Darstellung, statt die Realität zu imitieren. Im Gegenteil, die bewusste Aneinanderreihung und Manipulation von Aufnahmen sind es, die Filme zu Filmen machen: Der Schnitt. Erst mehrere Szenen und Perspektiven zusammenfügen zu können, macht den Unterschied zu abgefilmten Theater aus.
Spielberg wusste das schon als Kind; nutzt er seinen Abschlussfilm über das Sommerfest seiner High School doch, um seine Mobber lächerlich zu machen. Den einen inszeniert er als inkompetent, dem anderen verleiht er eine Ästhetik im Stile Leni Riefenstahls, an welcher dessen körperliche Überlegenheit zerbricht. Ein filmischer Anlass zur Verbrüderung.
Ja, "The Fabelmans" vermag daraus eine gezielte Metaebene zu machen - so entdeckt der Protagonist das Fremdgehen seiner Mutter in den eigenen Videoaufnahmen eines Familienausfluges und schneidet dieses aus dem fertigen Film, damit der Schein gewahrt bleibt. Ganz im Sinne Schillers liegt die tiefere Bedeutung von Kunst eben in ihrem Abstand zur Realität. Nur so kann diese kommentiert werden, indem der junge Spielberg die prekären Szenen eines Tages seiner Mutter zeigt, um sie mit ihren Fehlern zu konfrontieren.
Und doch steht der Protagonist in seinem großen Moment allein und traurig neben dem Videoprojektor, der seinen Film zeigt. Seine Freundin hat ihn verlassen, weil er nach Hollywood will. Es bestätigt, was Spielbergs Onkel ihm in einer Szene prophezeit hat:
"Art will give you crowns in heaven and laurels on earth. But it will tear your heart out and leave you lonely. [...] An exile in the desert."
Passend dazu ist dessen erster Auftritt beinahe horrorartig inszeniert. Visuelles Erzählen; Film kann die Wirklichkeit eben immer nur als Interpretation dieser wiedergeben.
Denn siegt die Natur, indem man diese plump abfilmt, weicht die Kunst.
7 von 10 Enten.