Bewertung: 4 / 5
Selten habe ich von so einer bescheuerten, aber zugleich auch coolen, einzigartigen und ehrenswerten Filmidee gelesen wie im Fall von "Doomsday"! Im Jahr 2003 überkam Neil Marshall die Vision, einen Film drehen zu wollen, in dem futuristische Soldaten gegen mittelalterliche Ritter kämpfen. Des Weiteren lebte er in der Nähe der Ruinen des Hadrianswalls und fragte sich, unter welchen Bedingungen man den Wall wohl wieder errichten würde. Darüberhinaus wollte Marshall mit "Doomsday" den filmischen Postapokalypsen der 70er- und 80er Jahre Tribut zollen und der jüngeren Generation eine Möglichkeit geben, diese Filme in ähnlicher Form auf der Kinoleinwand zu erleben. Alles in Allem: Wer schon immer einmal Werke wie z.B. "Mad Max", "Ecpace from New York", "The Omega Man", "Waterworld", "Excalibur" und "Gladiator" zusammen in einem Film sehen wollte, ist hier genau an der richtigen Adresse!
Schottland, 2008: Ein Killer-Virus hat die Menschen infiziert, breitet sich rasend schnell aus und rafft große Teile der Bevölkerung dahin. Um den Ausbruch einzudämmen und weil die Entwicklung eines Gegenmittels nicht in Sicht ist, beschließt sich die britische Regierung dazu, Schottland in eine Quarantänezone umzuwandeln und entlang des ehemaligen Hadrianswalls eine Grenzmauer zu errichten. Die Gefahr scheint gebannt.
27 Jahre später: Überraschend bricht das Virus in London erneut aus. Aufgrund von Satellitenaufnahmen weiß die britische Regierung, dass es in der Quarantänezone wider Erwarten Überlebende gibt. Um eine Wiederholung der Epidemie zu verhindern, wird ein Trupp von Elitesoldaten und Wissenschaftlern losgeschickt, um jenseits der Mauer nach einem möglichen Gegenmittel zu suchen.
Trailer zu Doomsday - Tag der Rache
Ganz unabhängig davon, wie realistisch dieses Szenario auch ausfallen mag, empfinde ich Marshalls Gedankengänge zu Virusepidemien und gesellschaftlichen Umwälzungen als hochspannend. Ohne Heilung in Sicht erscheint der Wiederaufbau des Hadrianswalls hier zwar als sehr radikal und grausam, insgesamt jedoch als plausible und aus der Sicht der Regierung als nachvollziehbare Maßnahme zum Schutz der nicht-infizierten Bevölkerung. Nichtsdestotrotz wendet sich der Rest der Welt - verständlicherweise - vom United Kingdom ab, aufgrund der daraus folgenden Massenarbeitslosigkeit und wirtschafltichen Tumulte kommt es zu einem Anstieg an Kriminalität, dem die Regierung wiederum mit härteren Polizei- und Militäreinsätzen begegnet. Nach und nach entwickelt sich das United Kingdom also zu einer Dystopie.
Anders als in thematisch ähnlichen Werken verwandeln sich die Infizierten in "Doomsday" nicht in Zombies, als Mensch ist man entweder immun gegen das Virus oder man stirbt kurz darauf. Daraus ergibt sich ein von Werken wie "The Walking Dead" oder "The Last of Us" grundverschiedener Gesellschaftsaufbau. Während sich der Süden Großbritanniens gemäß des technischen Fortschritts weiterentwickelt, degeneriert die Bevölkerung der schottischen Quarantänezone und passt sich der Isolierung sowie dem Ressourcenmangel auf verschiedene Weise an.
Im Verlauf der 27 Jahre haben zwei Männer die Macht in der Quarantänezone an sich gerissen, die obendrein in einem Glaubenskonflikt miteinander stehen. Im Norden der Zone herrscht der ehemalige und mittlerweile betagte Wissenschaftler Dr. Marcus Kane (Malcolm McDowell), welcher nicht mehr an ein Leben südlich der Mauer glaubt und aufgrund mangelnder Technik bzw. Technikverachtung eine mittelalterlich-feudale Gesellschaftsform erschuf. Katalysiert wurde diese Entwicklung durch die zahlreichen Burgen im Norden Schottlands, in denen die Überlebenden Schutz vor den Infizierten fanden. Im Süden der Zone herrscht der junge Punk Sol (Craig Conway), der sich im Glauben an ein Leben südlich der Mauer irgendwann von Marcus Kane abwandte und in Glasgow ein technikaffines Leben etablierte. Der Nahrungsmangel in der verlassenen, zerstörten Stadt führte zu einer kannibalistischen Degenerierung, insgesamt erinnert diese punkig-anarchistische Gesellschaftsform stark an die postapokalyptische Welt von "Mad Max".
In der Hauptrolle überzeugt Kate-Beckingsale-Lookalike Rhona Mitra als toughe Actionheldin in Anlehnung an Snake Plissken, Alexander Siddig spielt den britischen Premierminister John Hatcher und David O’Hara verkörpert den skrupellosen Regierungsbeamten Michael Canaris, welcher die Geschicke hinter den Kulissen lenkt. Wie oben erwähnt sehen wir Malcolm McDowell und Craig Conway als Schurken, die ihre jeweiligen Rollen beide mit Bravour meistern. McDowells Marcus Kane basiert auf der Figur Colonel Kurtz aus "Heart of Darkness", Conway würde ich liebend gerne mal in einem "Mad Max"-Film sehen. Zwei Soldaten im Trupp der Mission tragen die Namen Miller und Carpenter, um die Regisseure George Miller und John Carpenter zu ehren.
Noch mehr als Story- und Drehbuchautor überzeugt Neil Marshall in "Doomsday" als Regisseur. Für die anfängliche Epidemie, die Verzweiflung der Infizierten und Opfer sowie für die Hilflosigkeit des Militärs findet er schockierende und emotional aufwühlende Bilder, die mit praktischen Effekten gefilmten Actionszenen variieren genreübergreifend zwischen ernsthaftem Horror und humoristischem Bombast. Soldaten in gepanzerten Wagen und mit High-Tech-Waffen kämpfen im Dunkeln gegen Punks mit benagelten Baseballschlägern und Molotow-Cocktails. Rhona Mitra kämpft in Röhrenhose und Tanktop gegen einen Ritter mit Langschwert in schwerer Eisenrüstung, als pures Kinogold stellt sich die finale Autoverfolgungsjagd mit den Punks heraus, die George Millers "Mad Max" in Nichts nachsteht. Bitte mehr davon, Herr Marshall!
Auf "Doomsday" bin ich überhaupt erst aufmerksam geworden, weil in einer Diskussion über diverse Verfilmungen der Artussage der Titel "Centurion" fiel, ich überrascht feststellte, dass dieser Film von Neil Marshall gedreht wurde, und ich danach in seiner Filmographie herumstöberte. Wenn man Marshall mit anderen "Game of Thrones"-Regisseuren vergleicht, wird man feststellen, dass er einer der wenigen ist, die sich abseits von TV-Produktionen auch als Kinofilmregisseure einen Namen machen konnten. Seit "Centurion" (2010) arbeitet Marshall allerdings nur noch als Serienregisseur, hoffentlich kehrt er bald wieder auf den Regiestuhl eines Kinofilms zurück! Jetzt habe ich jedenfalls Bock auf "Dog Soldiers" und "The Descent".