
Bewertung: 3 / 5
Mit seinem neuesten Film ist Robert Eggers leider keine Symphonie des Grauens gelungen. Und mag sein Graf Orlock noch so geheimnisvoll sein, ein zweites Phantom der Nacht ist er ebendalls nicht. Noferatu – The Undead ist aber immerhin besser als Kinskis Abstecher nach Venedig, so viel sei bereits verraten.
Deutschland, 1838: der frischvermählte Makler Thomas Hutter wird von seinem Vorgesetzten Knock in die Burg des in den Karpaten lebenden Grafen Orlock geschickt, um ihm ein altes Anwesen zu verkaufen. Was Hutter nicht weiß, der Graf hat es eigentlich auf seine Frau Ellen abgesehen. Die hatte sich Jahre zuvor in einem Moment der Schwäche dem Grafen versprochen. In Orlocks Schloss angekommen, muss Hutter feststellen, dass der Graf ein vermodernder Vampir ist, der Hutter kurzerhand in dem Gemäuer einsperrt und sich in die Heimat Hutters begibt. Mit sich bringt der Graf die Pest in die beschauliche Stadt Wisborg, von der die Bevölkerung schnell dahingerafft wird. Orlock stellt der zwischenzeitlich dem Wahnsinn verfallenen Ellen ein Ultimatum: entweder gibt sie sich ihm innerhalb von drei Nächten aus freiem Willen hin, oder Orlock wird nach und nach alle, die ihr lieb sind, umbringen. Es ist an Hutter, seine Frau zusammen mit dem Psychologen Dr. Sievers und dessen Mentor Professor von Franz zu retten und den Untoten aufzuhalten. Doch seine Frau hat ihren eigenen Willen...
Trailer zu Nosferatu - Der Untote
Gleich vorweg: The Undead macht es einem sehr leicht, ihn zu mögen, aber schwer, ihn zu lieben. Das liegt vor allem an seiner Gewöhnlichkeit auf inhaltlicher und formaler Ebene. Klar, ein bisschen Vorhersehbarkeit muss sein – endet der Film nicht im Schlafzimmer der weiblichen Hauptfigur, ist es nicht Nosferatu, sondern Dracula. Aber das Ende ist gar nicht das Problem des Films, es sind die Zugeständnisse an das (Mainstream-)Publikum, die Eggers in seiner Inszenierung macht, die seinen Stärken jedoch zuwider laufen. Die einzigartige Kraft des Eggers`schen Schaffens liegt in seiner Konstruktion von Zeit und Raum und weniger in der Schilderung eines Zeitraums. Die (chronologische) Handlung nimmt in den bisherigen Filmen von Robert Eggers eine untergeordnete Rolle ein, vielmehr wird sie zugunsten atmosphärischen Filmemachens streckenweise suspendiert, um damit die Sogwirkung seiner Bilder zu erhöhen. Der Film wird so zum affektiven Erlebnis, das einen in die zeitlich und räumlich abgelegenen Welten der Figuren transportiert. Gleichzeitig schafft Eggers auf diese Art in seinen bisherigen Filmen Projektionsflächen, die zum Nachdenken und Reflektieren einladen. Seine Filme sind mythopoetisch, während sie die erschaffenen Mythen reflexiv behandeln.
The Undead ist dagegen sein plotgetriebenster Film, verweilt wird hier nur selten und wenn, dann zu kurz. Nicht falsch verstehen, das Deutschland der 1830er Jahre ist liebevoll erschaffen, man kann das Herzblut der Setbauer und Kostümnäher in jeder Szene sehen. Aber Atmosphäre bleibt einem Eggers aktueller Film über weite Strecken schuldig, zu wenig gelingt der Zugang zum mythischen Potential des Materials, zwischen den ganzen Untoten pulsiert zu wenig Leben. Ausnahmen bestätigen selbstverständlich die Regel, zum Beispiel wenn der von Nicholas Hoult verkörperte Thomas in den Karpaten ankommt. Unter Verwendung eines abgewandelten Selbstzitats – Thomas durchschreitet hier ein Tor zu einem Dorf, während The VVitch mit dem Verlassen der Zivilisation durch ein ebensolches begann – inszeniert Eggers mit entfesselter Kamera und unter gekonntem Einsatz der Tonebene ein Überschreiten von Weltengrenzen, das in einer an Stokers Draculas Gast erinnernden Sequenz mündet, in der Thomas heimlich einer historisch korrekten Pfählung – nur echt mit Austritt von Verwesungsflüssigkeit – beiwohnt. Beleuchtet von Feuerstellen und Fackeln bekommen die Bilder dabei fast schon einen Sepiaton, der an Murnaus Originalfilm erinnert. Hier kommt tatsächlich (alp-)traumwandlerische Stimmung auf, die sodann stilecht mit wahrscheinlich dem Symbolbild für Somnambulismus, den von Matsch verschmutzten Füßen am Bettende, aufgelöst wird. Für einen kurzen Moment gelingt es da, was in Robert Eggers anderen Filmen auch gelingt, die Darstellung der Vergangenheit als weit entfernt und unwirklich.
Gerade wegen der Größe dieser Sequenz fällt die Konventionalität des Films im Gesamten so sehr ins Auge. Der Einsatz plumper Jump Scares, der erste schon am Ende der recht kurzen Prologsequenz, darf wohl als Versuch, aus Nosferatu einen „modernen“ Horrorfilm zu machen, gewertet werden. Mir egal, ob das aktuelle Einspielergebnis die Aktionäre von Universal glücklich macht, notwendig dürften diese Zugeständnisse nicht gewesen sein. Ähnlich modern gibt sich übrigens der Score von Robin Carolan, der vorher schon Eggers The Northman vertont hat. Größtenteils handelt es sich um austauschbare mood music, entweder dröhnt der Bass tief, oder die Geigen quietschen, ganz als wäre die Musik Resteverwertung aus der Blumhouse-Mottenkiste. Nur wenige Motive können mit ihrer Melodie überzeugen, genannt seien da vor allem die wehklagenden Geigen am Ende des Stücks Goodbye. Das ist vor allem ärgerlich, weil das Original sich nicht vor memorablen Vertonungen retten kann. Auch mit der unvergleichlich ätherisch-unheilschwangeren Vertonung von Popol Vuh, die Werner Herzog seiner Verarbeitung des Stoffes geschenkt hat, kann Carolan nicht mithalten.
Wo wir gerade beim Score sind, können wir gleich beim Sound weitermachen. Eggers gibt sich größte Mühe, seinem von Bill Skarsgard gespielten Orlock eine erdrückende Präsenz zu geben. Gerade am Anfang zeigt er Orlock dafür nur im Schatten, außerhalb des Fokus oder von weiter Entfernung, lässt ihn aber mit seinem an Todesröcheln erinnernden Atmen und seiner unregelmäßigen Aussprache, die wie sein Schnäuzer direkt von Stoker übernommen wurde, die Tonebene dominieren. Das funktioniert mal mehr, mal weniger gut, ungeduldigere Zuschauer könnten das gar für nervig halten.
Schwer ist auch der wenig subtile Subtext, denn Eggers psychoanalysiert mal wieder bis sich die Balken biegen – nur leider bei weitem nicht so abstrakt, wie er das in seinem Leuchtturm (mit Willem Dafoe saufen bis die Leber schmilzt, wahnsinnig werden, dann sterben - das wär doch mal was für die nächsten Sommerferien) noch hinbekommen hat. Da wird auf Jung verwiesen, wenn Orlock sich als Ellens Schatten bezeichnet, da wird in Richtung Todestrieb gezeigt, die Verbindung zwischen Eros und Thanatos verbildlicht und vage was von Trauma erzählt. Selbst der Titelzusatz deutet, wir denken einfach mal an Zizeks Lesart des Untoten, auf genau das hin. Untot ist hier nicht nur der Vampir, untot ist auch die zum anorganischen getriebene Ellen. Alles wahrlich keine neuen Ideen, zumindest aber ansprechbar genug verpackt, um nicht zu langweilen. Lobend muss da vor allem die Leistung von Lily Rose-Depp hervorgehoben werden, die sich wirklich die Seele aus dem Leib spielt. Sollte der Typ, der die Smile-Filme verbrochen hat, wirklich mit seinen schmutzigen Pranken Possession verschandeln, die Rose-Depp könnte zumindest die Adjani beerben.
Doch auch hier offenbart sich, warum der Film eine verpasste Chance ist: bei all der zur Schau gestellten Sexualität verführt der Film seine Zuschauer zu keinem Zeitpunkt. Ein besserer, transgressiverer Film hätte sich getraut, dem von Maden zerfressenen laufenden Leichnam eine erotische Strahlkraft zuzugestehen, mit der die Morbidität der ganzen „sexy“ Vampire, die uns seit Anne Rice heimsuchen, offengelegt werden würde. Das Wechselspiel zwischen Ekel und Lust, mit dem beispielsweise der Horrorliterat Clive Barker nur zu gekonnt kokettiert, genau das hätte Eggers Verfilmung von den anderen Versionen des Stoffes absetzen können. Der Film wird trotz seines Suhlens in Körperflüssigkeiten – es wird gekotzt, bis die Schwarte kracht – nie zu wahrem Körperkino, dafür bleibt die Distanz zwischen Zuschauenden und Zugeschauten dann doch zu groß. Den Wächtern des Guten Geschmacks stößt Eggers so jedenfalls nicht auf.
Gleichfalls lässt Eggers Behandlung des Stoffes jedwede gesellschaftliche Dimension missen. Sah Kracauer in Murnaus Original noch die Vorwegnahme der faschistischen Gewaltherrschaft in Deutschland und gelang Herzog mit seinem makabren Todesfest im seuchengebeutelten Wismar eher zufällig ein prophetischer Kommentar auf unsere jüngere Vergangenheit, wird bei Eggers die Pest nur mal kurz angerissen. Eher beiläufig sehen wir dann in den Straßen des fiktiven Wisborgs, wie Hunde die dort liegenden Leichen fressen, mehr fällt Eggers anscheinend nicht ein. Obwohl es, bei Eggers nicht zum ersten Mal, um Glauben geht, bekommen wir nicht mal einen kleinen Kommentar vom Klerus spendiert. Der von Willem Dafoe mit unbändiger Spielfreude verkörperte Professor von Franz, der auf Seiten der Helden am Ehesten eine der Wissenschaft abgewandte Weltsicht verkörpert, ist hierfür gänzlich ungeeignet, denn der ist nämlich des gleichen okkulten Geistes Kind wie die Bösewichte Orlock und Knock. Vielleicht mag man ja in der Abkehr von Wissenschaft – alle Abergläubigen haben hier Recht – einen Kommentar sehen. Wer die Lesart aber ernsthaft in Erwägung zieht, kann sich bei mir ein paar Globuli abholen.
Am Mangel eines gesellschaftlichen Kommentars leidet der Film vor allem, wenn am Ende ein Opfer gebracht werden muss, das kurz vorher noch visuell mit dem christlichen Glauben gelinkt wird – immerhin sehen wir den Heiland (nicht ganz) persönlich, wie er über die märtyrerischen Figuren wacht. Da die Beziehung der Hauptfiguren unbeleuchtet bleibt, wir sehen sie nie im Zustand vor der Krise, und uns auch die von der Beulenpest ganz knubbelig gewordene Stadtbevölkerung egal sein kann, hat das Finale schlicht keine Stakes (pun intended). Begrüßen kann man, dass Eggers das Ende seines Remakes eines über hundert Jahre alten Films zu keiner Sekunde zu verstecken versucht. Denn grundsätzlich ist das gar nicht schlimm, das Ende einer Tragödie ist ihrem Anfang schon eingeschrieben. Gerade Ellen beruft sich auch mehrfach auf „providence“ (also: Vorsehung), der Film kann nur auf eine Art enden. Die Tragödie funktioniert aber nur, wenn dem Publikum das Schicksal der Figuren gerade nicht am Allerwertesten vorbeigeht.
Was bleibt ist ein exzellent photographierter, hervorragend gespielter, letztendlich aber nur total okayer Film. Für Eggers mag das ein passion project gewesen sein, doch es fehlt dem Film an Leidenschaft. "I am an Appetite" intoniert der Graf, der Appetit des Zuschauers bleibt aber unbefriedigt.
