Bewertung: 1.5 / 5
Ti West und ich werden keine Freunde mehr, daran ändert auch sein neuster, schlicht „X“ betitelter Slasher-Film nichts dran. Mit „X“ präsentiert West mal wieder ein Period Piece, zusammengesetzt aus Versatzstücken hinlänglich bekannter und vor allem besserer Filme, das den Vorbildern aber wenig eigenständiges hinzufügen möchte.
Wir schreiben das Jahr 1979, die Tabledancerin Maxine macht sich mit einer Gruppe Mitarbeiter auf, um einen Porno im texanischen Hinterland zu drehen. Selbstverständlich trifft man auf weirde Hinterwäldler, auf deren Land Maxines Freund, der schmierige Wayne, eine Hütte gemietet hat, die als Kulisse für das Filmchen dienen soll. Als Tonfrau Lorraine sich entscheidet, auch in dem Film mitzuspielen, führt dies zu einem kleinen Zusammenbruch bei ihrem Freund, dem Autor-Kameramann-Regisseur RJ, der mitten in der Nacht die Hütte verlässt. Draussen macht ihm die steinalte Pearl, ihres Zeichens die Frau des Grundstücksbesitzers Howard, Avancen. Als er sie abweist, nimmt das Unglück seinen Lauf...
Wer sich bei der Inhaltsangabe jetzt wundert, warum sich das ein bisschen holprig liest, dem sei versichert: es liegt nicht an mir, es liegt an West. Ähnlich seinen beiden Frühwerken „House of the Devil“ und „The Innkeepers“ plätschert „X“ ein wenig vor sich her, die Suspense wird alleine dadurch aufgebaut, dass der Zuschauer die wirklich reichlich ausgeliehenen Motvie aus anderen Filmen kennt und daher weiß, hier wird es früher oder später zur Sache gehen. Pate standen vor allem, in absteigender Reihenfolge nach Wichtigkeit sortiert, „Blutgericht in Texas“, „Psycho“ und „Halloween“, garniert mit einer Prise „Boogie Nights“.
Das Ganze fühlt sich ein bisschen so an, als hätte West ein paar Analysen der genannten Vorbilder gelesen und sich gedacht „Hm, warum macht da eigentlich keiner einen Film draus?“. Der psychosexuelle Subtext, der die frühen Slasher ausmachte, wird in „X“ in den Vordergrund gekehrt, so dass ihn selbst der letzte Zuschauer erkennen muss. Garniert wird die Chose dann mit ausgiebigen Allusionen auf Freudsche oder Jungsche Motive, die uns beweisen sollen, dass West mal ein sausmartes Buch für Erwachsene gelesen hat. Hier zeigt sich dann ein Problem, das den sogenannten „elevated Horror“ schon etwas länger umtreibt: anstatt auf die viszerale Reaktion zu vertrauen, die Horrorfilme wie kaum ein anderes Genre (außer den anderen Body Genres – wie zum Beispiel der Porno) evozieren können, muss dem Zuschauer klargemacht werden, dass die Filmemacher das Gezeigte angemessen reflektiert haben und man gehaltvolles Kino goutiert.
Es ist jedoch genau dieser Gestus, der den Horror verhindert, da er uns unsere exponierte Stellung nur allzu bewusst macht: wir schauen keinen Sleaze, wir schauen einen Film über Sleaze. Wir untersuchen, mit den Filmemachern, wie Sleaze funktioniert und können uns so über das Exploitationpublikum hinwegsetzen – während wir auf einer anderen Ebene trotzdem genau die voyeuristischen Gelüste befriedigt bekommen, die wir angeblich ablehnen. Beim elevated horror zeigt sich ein wenig die Kehrseite des bewusst ironisierenden Blockbusters: wo uns Robert Downey Jr. mit einem Augenzwinkern versichert, dass das alles Quatsch sei, was wir uns angucken, und uns deswegen dazu einlädt, genau diesen Quatsch dann doch zu genießen, erlaubt uns West so zu tun, als würden wir unseren Voyeurismus hinter uns lassen, um ihn dann durch die Hintertür doch wieder zu bedienen. Ein Umschlagen unserer Gelüste in Abscheu, wie es zum Beispiel der Grenzgänger zwischen Horror und Porno William Lustig erzeugt, bleibt jedoch aus.
Vor genau diesem Hintergrund muss man sich auch fragen, was das period setting bewerkstelligen soll. Man mag im ersten Moment zu dem Schluss neigen, West wolle die Vergangenheit heraufbeschwören, um etwas über die Gegenwart zu sagen. Doch der Film bleibt eigentlich in der Vergangenheit verhaftet. Das beginnt schon beim Titel, der, neben anderen Bedeutungen, auf das berüchtigte X-Rating hinweist. Dieses Rating designiert Filme, die nur für Erwachsene geeignet sind und wurde in den 70ern vor allem für zwei Arten von Filmen benutzt: Pornos und Horrorfilme. So holte sich Hoopers „Blutgericht“ zuerst ein X-Rating ab, bevor er nach ein paar Schnitten auch für Jugendliche konsumierbar wurde.
Über die Nähe von Pornographie und Horrorfilm wurde schon eine Menge (digitale) Tinte vergossen, das soll uns deswegen auch nicht weiter aufhalten. Der springende Punkt ist nämlich, dass es sich hierbei um einen Diskurs handelt, der seit Ewigkeiten nicht mehr aktuell ist. Das liegt vor allem daran, dass Horror und Porno spätestens seit der Einführung des Heimvideos getrennte Wege gehen, aber vor allem auch daran, dass die Pornographie der 70er und 80er Jahre, ihre Produktionsrealität und ihr Konsum mit heutiger Pornographie nichts mehr gemein hat. West führt einen Kulturdiskurs, der sich mittlerweile erledigt hat und nur noch für seine nicht besonders originellen Gedankengänge zu den Themen Sex und Gewalt beziehungsweise Todestrieb und Lustprinzip herhalten muss. Auch dort begegnet uns dann wieder die Trennung zwischen uns und dem Film, die uns erst so richtig ermöglicht, die Schauwerte mit vermeintlich ablehnender Haltung zu genießén.
„X“ ist leider ein dem chiffreartigen Titel gleiches, leeres Unterfangen geworden, dass weder einen geistreichen Kommentar zur Vergangenheit, noch zu unserer Gegenwart darstellt. Dafür ist der Film zu sehr seinen Vorbildern verhaftet, die er angeblich untersuchen will, letztendlich aber doch nur für ein vorgeblich intelligenteres Publium reproduziert und ihres Grauens beraubt.