Bewertung: 2 / 5
Spoiler- & Contentwarnung:
Misogynie, Sex
Giorgos Lanthimos gescheitertes Experiment:
"Poor Things"
Eine (gelangweilte) Analyse.
Trailer zu Poor Things
Giorgos Lanthimos Kino ist ein Experiment. Der Versuch, eine Filmrealität zu schaffen, die unsere Wirklichkeit so weit wie möglich verfremdet. Und das ohne ihr widersprüchlich zu sein: Die Filme sind experimentell, nicht die Themen. Schließlich setzt sich gerade Lanthimos "Poor Things" mit nur allzu menschlichen Fragen auseinander - Wissenschaft, Feminismus, Humanismus. Nur können Experimente, und dessen sollte man sich vor Versuchsantritt immer bewusst sein, auch scheitern; und wenn "Poor Things" an einer Stelle gelungen ist, dann im Beweis dieses Umstandes.
Aber nicht etwa, weil ihm die intendierte Verfremdung misslänge. Nein, der Film ist sehr effektiv darin, alles irgendwie abstrakt, alles irgendwie grotesk darzustellen. Fischaugenoptik, opulente Farben, explizit kulissenhafte Settings; die Shots wirken glatt, wirken künstlich. Immer wieder verdunkelt sich ein Großteil der Bildränder, wenn sich Figuren eingeschränkt fühlen, und der Film verlässt erst dann das Schwarz-Weiß, wenn die Protagonistin die bunte Welt entdecken kann.
Doch für Giorgos Lanthimos scheinen Bilder niemals mehr als ein Mittel zum Zweck zu sein. Die Optik ist eben nur irgendwie artifiziell, der Bildsprache fehlt das Organische, der Bezug zum Film. Klingt widersinnig, zeigt sich aber im direkten Vergleich zum ähnlich gelagerten "Blonde": Dort dient die wechselnde Aspect Ratio ebenfalls als Symbol für die Anatomie der Protagonistin, entsteht beispielsweise jedoch, statt bloß die Bildränder abzudunkeln, aus der cleveren Positionierung der Kamera in einer Schublade. Die ästhetische Bedeutung steht so in direktem Zusammenhang mit der grundlegenden Filmkomposition, sodass sie das Gesamtwerk gleichzeitig ergänzen und nutzen kann. Ganz im Gegensatz zu "Poor Things", dem insofern nur prätentiöse Gestaltung bleibt.
Und so werden die betont malerischen Aufnahmen, spätestens nach dem drölften Postkartenmotiv eines in der Bildmitte gefangenen Horizonts, genau darin schnell langweilig. So antithetisch der Film visuell zu unserer Realität steht, so wenig hat er in seiner Ersatzrealität anzubieten, das diesen Bruch übersteigt. Lanthimos experimentiert eben, mit schrillen Tönen im Soundtrack, mit Geräuschkulissen, mit klimatischer Musik passend zu Sexszenen, mit Stille. Und erreicht kaum ein Ergebnis, das den Versuch rechtfertigt, nur bemühte Kontraste, konfuse Behauptungen.
Schließlich mag "Poor Things" in Sachen Feminismus durchaus etwas zu sagen haben - zumindest, sofern man sich mit feministischer Theorie auskennt. Verwoben mit Versatzstücken philosophischer Fragen - zumindest, sofern man die Konzepte, die Verweise kennt. Protagonistin Bella Baxter zitiert Diogenes, reflektiert das Wesen des Menschen, der Gesellschaft, beschäftigt sich mit Sozialismus sowie Kapitalismus und ist Dreh- und Angelpunkt des Filmes, wenn er darauf abzielt, Patriarchat und Prostitution zu hinterfragen.
Doch bei wem "Poor Things" da nicht auf Vorwissen stößt, für den reißt er die genannten Dinge lediglich an: Debatten über Zynismus und Ungleichheit beschränken sich mehrheitlich auf ausgewählte Figuren (deren einziger Zweck bisweilen gar Grausamkeit ist), überdeutliche Dialoge (jede Erkenntnis Bellas muss im Anschluss auch verbalisiert werden) und plakative Shots, die fehlende Vielschichtigkeit mit zu viel Klarheit wettzumachen versuchen.
Selbst die (väterlichen) Gefühle Godwins, ja selbst Bellas eigene Sprache oder ihre Kleidung als Symbol für Emanzipation, dienen mehr dem Kontrast statt dem Motiv, und sind nach ein paar Worten auch schon abgehandelt. Der Film ist ein Flickenteppich aus verschiedenen Perspektiven auf die Rolle der Frau in unserer Gesellschaft, von denen er keine wirklich konsequent untersucht.
Was bleibt ist eine jeglicher Poesie beraubte Version von Lars von Triers "Nymphomaniac", für all jene, die ob der Komplexität und Opulenz des Werkes eine Erklärung brauchen und dafür keinesfalls die benötigte Geduld aufwenden wollen, aber zeitgleich dennoch nach der Gewissheit dürsten, die letzten zweieinhalb Stunden anspruchsvolles Kino konsumiert zu haben. Keine guten Voraussetzungen für ein gelungenes Experiment.
4 von 10 Enten.