Bewertung: 4.5 / 5
1952. Der Marinesoldat Freddie Quell kehrt aus dem Krieg zurück. Er ist nicht mehr derselbe. Das Kämpfen hat ihm sichtlich zugesetzt, sowohl körperlich als auch seelisch. Krumm und gebeugt ist sein Gang, das Gesicht stets etwas verzerrt und sein Blick leer. Freddie ist auf der Suche nach Halt und Orientierung. Ziellos irrt er umher, schläft mal hier und mal da und vertreibt sich die Zeit. Dabei kommt der alkoholabhängige Mann öfters in Schwierigkeiten. Er ist unkontrolliert und unberechenbar. Sein labiler Zustand lässt ihn schnell und plötzlich zur Gewalt greifen.
Bei seinen Streifzügen durch die Staaten gelangt er zufällig auf das Boot von Lancaster Dodd, dem charismatischen Gründer einer Vereinigung, die sich "Der Ursprung" nennt. Dodd ist seltsam fasziniert von Freddie. Er bietet ihm Hilfe an und lädt ihn ein zu bleiben. In dem eingeschworenen Kreis lernt Freddie neue Menschen kennen. Bald schon wird er von Lancaster Dodd auch mit den gängigen Methoden zur Heilung des Geistes, wie dem "Processing", vertraut gemacht. Der "Master" - wie er von allen genannt wird - macht Freddie zu seinem wichtigsten Patienten. Die Prozedur beginnt. Der ohnehin verzweifelte Freddie lässt sich darauf ein, ohne wirklich zu verstehen und ohne zu wissen wohin ihn die Sache führen wird.
"The Master" ist kühnes Arthousekino vom Feinsten. Atemberaubend inszeniert und meisterhaft gespielt. Mit seinem neusten Werk macht Regisseur und Drehbuchautor Paul Thomas Anderson einen weiteren großen Schritt ins ungewisse und löst sich fast gänzlich von narrativen Zwängen und Konventionen. Ganz anders als noch bei seinen frühen Ensembledramas wie "Boogie Nights" oder "Magnolia", die sehr von ihrer Erzählstruktur lebten, zieht er diese neuste Story sehr viel abstrakter, nahezu kaum noch greifbar und ohne einen klaren roten Faden auf.
Der Film besticht zunächst durch seine überragenden Schauspieler, die sich ein höchst intensives psychologisches Duell auf Augenhöhe liefern. Joaquin Phoenix spielt dabei den unsicheren Veteran auf der Suche nach Antworten. Der Master wird verkörpert von Philip Seymour Hofmann, der perfekt die Gratwanderung zwischen ruhiger und eloquenter Gelassenheit und harter Kompromisslosigkeit und unheimlicher Besessenheit meistert. Seine Figur ist durchgehend ambivalent und rätselhaft und erinnert in ihrer Präsenz und Ausstrahlung oftmals an Leinwandgrößen wie Orson Welles.
Dennoch kann der Master nicht alle von seinen Lehren überzeugen. Kritik von außen erstickt er radikal. Aber selbst in den eigenen Reihen, der eigenen Familie, halten manche seine Vorstellungen für Schwachsinn. Wie fest glaubt der Master selbst an seine Kreation? Und welche Rolle spielt dabei seine mysteriöse Frau (Amy Adams), die ständig im Hintergrund lauert und jedes Detail zu überwachen scheint.
Der leicht zu beeinflussende Freddie wird von den Ungereimtheiten verwirrt. Er will und braucht Klarheit. Er ist der verlorene Sohn, abgekommen vom rechten Pfad. Aber sicher ist nicht, dass er im Master den richtigen Führer gefunden hat...
Der Zuschauer durchlebt die ständig wechselnden Phasen der Befriedigung, des Zweifels und des Zorns ebenso wie Freddie Quell. Durch die lose Story ist er oft ebenso verloren im Raum wie der Protagonist. Aber Anderson schafft solch starke Charaktere, dass sie den ganzen Film tragen können. Allein durch Dialog, gerade in den unerbittlichen Szenen des "Processing", erzeugt er unglaubliche Spannung zwischen den Figuren. Die ständigen Wiederholungen und die kompromisslose Vorgehensweise lassen den Zuschauer mit Freddie mitfühlen. Joaquin Phoenix gibt die beste schauspielerische Darbietung des letzten Jahres, auch wenn Daniel-Day Lewis bei den Oscars wieder den längeren Strohhalm hatte.
Nicht minder beeindruckend sind auch die Bilder. Als Vertreter der alten Schule und Verfechter des langsam verschwindenden Zelluloids hat Paul Thomas Anderson "The Master" auf Film und in diesem Fall sogar auf 65mm gedreht. Das kaum noch genutzte und teure Format wird den begeisterten Cineasten aufhorchen lassen. Nur mit Glück wird man aber ein Kino finden, das den Film dann auch wie vorgesehen auf die Leinwand projeziert. Aber auch so sieht "The Master" einfach toll aus.
Durch die gewohnt langen Takes und einschüchternden Close Ups wird eine sehr dramatische Stimmung aufgebaut, die auch durchgehend vom seltsam beklemmenden Soundtrack unterstützt wird, der wie ein Jucken am Hinterkopf ständig im Hintergrund läuft. In einer kurzen Plansequenz zu Beginn des Films wird die höchste Kunst von Regie und Kamera gezeigt. Dabei wird die Verlagerung der Schärfe geschickt genutzt um fleißend während unglaublich weitläufigen, tiefenscharfen Aufnahmen auf eine kleine, klar abgegrenzte Schärfeebene zu wechseln. Der Filmfreund, der bei der kafkaesken, schwer zugänglichen Handlung auf Granit stößt, wird sich also (unter Umständen) dennoch an der handwerklichen Perfektion erfreuen können, die ihm durchgehend geboten wird. Letztlich liegt es am Zuschauer, was er aus dem Film macht.
In einer Szene betont der Master den langwierigen, beschwerlichen Prozess auf dem Weg zur Katharsis. Als Freddie daraufhin verbittert entgegnet, er verstehe den Sinn einfach nicht, antwortet der Master nur: "Ich verstehe es auch nicht, aber deshalb sind wir hier".
Eine aufgeschlossene Einstellung ist das mindeste, das man für den Kinobesuch braucht. Aber wenn man sich darauf einlässt, wird man unweigerlich in den Bann gezogen. Wie Freddie Quell wird der Kinogänger hier auf der Suche nach Antworten sein. Die einen finden Erleuchtung, die anderen werden sich an dem unnachgiebigen und bis zuletzt rätselhaften Werk den Kopf zerbrechen und möglicherweise frustriert nach Hause gehen.
In beiden Fällen bleibt der Film ein Phänomen, zu dem ich mich hiermit als Anhänger bekenne.
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The Master Bewertung