Bewertung: 4 / 5
Kunst und Künstlichkeit.
Ich denke, so einen Film wie "The Neon Demon" kann nur jemand drehen, der zwar berechtigte Kritik an dem Modelgewerbe üben möchte, gleichzeitig aber auch von der ihm zugrundeliegenden Ästhetik fasziniert wird. Nicolas Winding Refn ist so ein Jemand, mit seinem Gucci-Werbespot bewegte er sich bereits in ähnlichen Regionen. Gerade das macht diesen Film allerdings zu etwas Besonderem, denn um die Künstlichkeit des Modelgewerbes aufzudecken, bedarf es sicherlich keines 120minütigen Films. Da reicht schon der Blick auf die Werbebanner an der Bahnhaltestelle oder in eine zufällige Folge "Germany’s Next Topmodel". Die Kritik fällt leicht - so leicht, dass sie schnell in einseitiges und hämisches Fingerzeigen umschlagen kann.
Trailer zu The Neon Demon
Winding Refn verzichtet auf dieses Fingerzeigen und positioniert sich zwischen der Künstlichkeit und der Kunst. Wenn man ein Model unabhängig vom Realitätsvergleich rein als Kunstwerk betrachtet, entpuppt sich die Künstlichkeit als das Offensichtliche: die Oberfläche. Lässt man diese Oberfläche hinter sich und seziert das Model im übertragenen Sinne, wird man unweigerlich auf den künstlerischen Schaffensprozess stoßen. Die Makeup-Artisten, die Modedesigner, die Photographen, etc - alle leben hier ihre künstlerische Kreativität aus. Diesen Aspekt verliert Winding Refn nie aus den Augen, er kritisiert die Künstlichkeit, aber verehrt die Kunst. Nichtsdestotrotz bleiben die beiden Begriffe im Modelgewerbe untrennbar miteinander verbunden, diesen Dualismus spürt man in jeder Szene, "The Neon Demon" ist vollkommen darauf ausgelegt. Winding Refn arrangiert schöne Bilder, die reale Szenerie hinterlegt er mit diversen Farben. Unterstützt werden die Bilder durch Cliff Martinez’ elektronischen Soundtrack, künstlich erschaffen und doch eine echte Kunst für sich.
"I do not deny, that my heart has greatly desired this... In place of a Dark Lord, you would have a queen! Not dark, but beautiful and terrible as the dawn! Treacherous as the sea! Stronger than the foundations of the earth! All shall love me, and despair!"
Ein weiteres Thema, welches Winding Refn in "The Neon Demon" anspricht, ist das Wunder und die Gefährlichkeit natürlicher Schönheit. Die 16jährige Jesse strahlt aufgrund ihrer Schönheit und ihrem gewissen Etwas eine unglaublich starke Anziehung auf ihre Mitmenschen aus. Manche verehren sie, manche begehren sie und manche verzehren sie. Jesse selbst weiß von dieser ihr innewohnenden Macht und glaubt, ihre Modelkolleginnen sich damit Untertan machen zu können. In ihrem Narzissmus vergisst sie allerdings, dass man im raubkatzenhaften Modelgewerbe schnell vom Thron in die Gosse gestoßen werden kann. Du bist nicht fit, dann wirst du gefressen, ungekaut, kurz verdaut und für immer vergessen.
Besonders interessant fand ich jene Szene, in der sich der Fashiondesigner und Jesses "Freund" Dean über wahre Schönheit unterhalten. Der Fashiondesginer meint, Schönheit sei das einzig Wahre, und Dean setzt dem entgegen, wahre Schönheit komme von innen. Da es sich bei "The Neon Demon" um einen von Ästhetik dominierten Film handelt, habe ich diesen Dialog neben der eigentlichen Aussage auch als Kommentar zum Film selbst bzw. zum Kino allgemein verstanden. Ein Film kann noch so schön sein und über die beste Optik verfügen, ohne Inhalt bleibt er nur eine leere Hülle. Speziell Nicolas Winding Refn wird dies ja häufig vorgeworfen, was ich persönlich allerdings nicht nachvollziehen kann.