Wie viele grandiose Serien habe ich in den letzten Jahren erst während ihres endgültigen Siegeszugs geschaut oder sogar deutlich später nachgeholt? Da fallen mir spontan Die Simpsons, Die Sopranos, Deadwood, Mad Men, Breaking Bad, Game of Thrones oder auch das eben genannte The Wire ein. So geht es mit Sicherheit vielen anderen Menschen auch, denn so exklusiv ticke ich wahrscheinlich nicht, wie es sich mein inneres Ego manches Mal vielleicht erträumt.
Natürlich möchte ich keinesfalls sagen, dass diese Formate einfach so im Handumdrehen kopiert werden könnten, doch es fällt mit Sicherheit auf, dass die jeweilige erste Staffel noch nicht den Glanz der späteren Episoden verströmte. Manchmal muss sich der Staub einer hektischen Produktion eben erst legen, bevor man den darunter verborgenen Glanz erspähen kann. Wenn man sich diesen zeitlichen Luxus hin und wieder gönnt, kann man auch den nötigen Feinschliff vornehmen und den dafür gebührenden Ruhm einfahren.
Wenn man das aber nicht einmal versucht, dann ist man ewig zum Scheitern verurteilt, obwohl das Potenzial für deutlich mehr als "nett" doch da war. Irgendwie erinnert Netflix mit dieser Herangehensweise erschreckend an Matt Damon in Good Will Hunting, der immer wieder begonnene Dinge abbricht, bevor er überhaupt irgendetwas Großes zustande gebracht hat und sich den Rückhalt in seiner Clique sucht. Und ehrlich gesagt geht es uns wie Ben Affleck in der Rolle von Wills Kumpel Chuckie Sullivan: Wenn das so weitergeht, wollen wir Netflix einfach nur die blöde Visage polieren, damit es von diesem Irrsinn Abstand nimmt!
Bitte nicht falsch verstehen: Natürlich braucht es für einen so gigantischen Streamer wie Netflix hin und wieder auch den Rotstift und die Schere, schließlich dürfen Projekte auch ruhig einmal sterben, wenn sie keine Erfolgschancen mehr aufweisen und/oder keine Besserung des jeweiligen Konzepts in Sicht ist. Erst bei einem Testflug weiß man schließlich, ob das Ding, das man da in mühevoller Kleinstarbeit zusammengeschustert hat, nicht nur schön ausschaut, sondern auch einigermaßen sicher durch die Lüfte gleiten kann. Manchmal entpuppt sich das ganze Projekt im Nachhinein als ein Traum-gewordener Heißluftballon, dem rasch die Puste ausgeht. Turbulente Dreherfahrungen, schlechte Publicity und ein falsch gewählter Veröffentlichungszeitpunkt können darüber hinaus auch die besten Serien zu Fall bringen.
"Cowboy Bebop" Season 1 Trailer 1 (dt.)
Fakt ist aber auch: Viele der Teams hatten nachweislich Lust auf mehr und besaßen eine Maschine, die sich ordentlich aufzumöbeln gelohnt hätte. Oft lag sogar wie im Falle von Cowboy Bebop bereits das Skript für eine Staffel-Fortsetzung vor. Projekte also, die mit etwas Glück zwar zu Beginn noch ein wenig unter dem Radar geflogen wären, um dann nach einiger Zeit richtigen Aufwind zu erhalten. Doch neben dem Rotstift sollte Netflix gern auch mal neue Farben zulassen und sich ein wenig weiterentwickeln, wenn es um die Gestaltung ihrer Serien angeht.
Sollte eine Serie mit offenem Ende wirklich so mir nichts, dir nichts abgesetzt werden oder wäre es nicht besser, wenn man das Ganze irgendwie noch zufriedenstellend auflöst? Ein noch wahnwitzigerer Vorschlag für die Serienwelt: Man arbeitet mit ambivalenten Enden, die eine Story angemessen zuende führen, aber eine Hintertür mit einem weiteren Raum voller Gestaltungsmöglichkeiten offen lassen.