Bewertung: 4 / 5
Der Mount Everest, diese faszinierende Laune der Natur, ist seit Urzeiten erklärtes Ziel der Menschen und spirituelles Wahrzeichen. Den höchsten Berg der Welt eigenmächtig zu erklettern, ist dabei für viele Menschen ein derart starker Wunsch, dass sie der Todesgefahr ins Auge blicken. Ein Faszinosum, bedenkt man, welche unwirtlichen Bedingungen dort vorherrschen und wie viele Menschen dort schon ihr Leben ließen, ob durch Lawinenabgänge, Kälte oder pure Erschöpfung. Dieses Gefühl, als wären heutzutage alle Gefahren mit moderner Raffinesse beherrschbar, ist ebenso falsch wie trügerisch. Mit Everest rollt Regisseur Baltasar Kormákur die dramatischen Ereignisse aus dem Jahr 1996 erneut auf, als es am Mount Everest zu einem der schlimmsten Unglücke im Rahmen kommerzieller Touren kam.
Wir schreiben das Frühjahr 1996. Am Fuße des Mount Everest bereiten sich mehrere Gruppen auf den beschwerlichen Anstieg vor, der am 10. Mai stattfinden soll. Im Vorfeld bedeutet das, den Körper an die dünne Höhenluft gewöhnen, Teststrecken bewältigen und sich im Team bewähren. Im Basiscamp bereitet der "Adventure Consultants"-Expeditionsleiter Rob Hall (Jason Clarke) seine Gruppe vor, ebenso Konkurrent Scott Fischer (Jake Gyllenhaal) von "Mountain Madness" sowie diverse andere Gruppen. Der Aufstieg ist streng getimt - das gleiche Datum von mehreren Gruppen anvisiert. Eine im Vorfeld geplante Kooperation auf Anraten von Hall kommt nicht zustande und so machen sich die einzelnen Teams auf den Weg zum Gipfel. Die Sonne scheint, nach und nach erreichen Teilnehmer die Spitze, doch dann kommt es durch Verzögerungen und einen dramatischen Wetterumschwung zur Katastrophe.
Trailer zu Everest
Everest Kritik
Titanic, Überleben, The Impossible. Hin und wieder werden Katastrophen, die sich tatsächlich abgespielt haben, in einem Film in Erinnerung gerufen und mit Everest reiht Baltasar Kormákur (Contraband, 2 Guns) die schrecklichen Stunden am Mount Everest erneut in die Filmhistorie ein. Diese wurden schon 1997, nur ein Jahr später, im TV-Film In eisigen Höhen - Sterben am Mount Everest sowie Dokumentationen thematisiert, jedoch deutlich packender jetzt. Es mag zynisch klingen, dieses Wort im Zusammenhang mit dieser wahren Begebenheit zu wählen, aber der Film ist es, zugleich erschreckend und packend, denn was den Zuschauer hier erwartet, lässt tatsächlich am gesunden Menschenverstand der Bergsteiger zweifeln. Einerseits unverständlich, sich bewusst diesen Widrigkeiten zu stellen für einen kurzen Moment des Triumphs, andererseits unfassbar verwegen, denn trotz aller Technik, Hilfsmittel und des Supports ausgebildeter Expeditionsleiter und Sherpas bleibt der Mount Everest - auch heute noch - eine echte Bedrohung, so man sich ihm stellt.
Und diese Gefahr spürt man durchweg im Film, langsam ansteigend und auf dem Berg mit absoluter Wucht. In unserem Kino bebten die Sitze, als es auf der Leinwand zum fatalen Sturm kommt. Man glaubt, die Kälte mit jeder Pore zu spüren, die sich durch Thermoanzüge und Handschuhe frisst, auch wenn die unfassbar tiefen Minusgrade von bis zu 75°C nicht ansatzweise nachempfunden werden können. Besonders beeindruckend ist zudem der Einsatz von 3D, der die Bilder unglaublich präsent macht. Gerade zu Beginn, in den vollen Straßen Kathmandus, den grünen Tälern und auf den sonnenumfluteten Berghängen kann man als nichtsportlicher Flachlandtiroler am stärksten nachempfinden, was so viele Hunderte Menschen jedes Jahr begeistert den Aufstieg wagen lässt.
Auch die Besetzung des Films ist dabei facettenreich. Zum einen reiht Jake Gyllenhaal mit Everest seiner nicht erst seit Nightcrawler und Southpaw spannenden Vita einen weiteren extremen Eintrag hinzu, auch Jason Clarke überzeugt, ebenso Keira Knightley, Robin Wright, Josh Brolin, Emily Watson und Michael Kelly. Letzterer spielt den Autoren Jon Krakauer, der einst die Erlebnisse in seinem Buch "In eisige Höhen" veröffentlichte und darin u.a. dem beteiligten Bergführer Anatoli Bukrejew (gespielt von Ingvar Eggert Sigurðsson) eine Mitschuld am Drama gab, was dieser stets vehement bestritt.
Man spürt in Everest die Grundzüge der Auseinandersetzung, die sich nach 1996 in aller Öffentlichkeit entlud. Es wird thematisiert, dass Bukrejew als weiterer Gruppenführer von "Mountain Madness" und als sehr fähiger Bergsteiger stets die Zuhilfenahme von Sauerstoff verweigerte (was nicht nur nach Krakauers Meinung leichtfertig gegenüber Teilnehmern ist, für die man eine Verantwortung hat, da eigene Reserven überschätzt werden). Man sieht auch, dass Kunden, die nicht in bester Verfassung sind, der Aufstieg ermöglicht wird, was fatale Folgen hat. Man ahnt, was passiert, wenn nur 30 Minuten vom Zeitplan abgewichen wird - und doch wertet der Film nicht, bezieht nicht Position für X oder Y, sondern nimmt allein die Geschehnisse als Vorwand.
Everest Fazit
Everest schafft es, den Zuschauer all die Jahre nach dem Vorfall zu packen, die dem einen geläufig sein werden, dem anderen eher nicht. Doch egal was man über 1996 weiß, Baltasar Kormákur schleudert den Zuschauer mitten hinein in die wunderschöne und zugleich todbringende Szenerie. Ein guter Film, ein beeindruckender Film.