Bewertung: 4.5 / 5
Das ist ein Quervergleich der ersten Staffel der US-Amerikanischen Antholgy-Serie "American Crime Story - The People v O.J. Simpson" mit der Dokumentation "O.J. Simpson - Made in America". Und gleichzeitig mein letzter Beitrag zum Thema Rassismus (im Allgemeinen!) und Black People in the US im Allgemeinen (nachdem ich das ja bereits in diversen Reviews exzessiv durch exzerzert habe, ist dies mein vorläufiges langes Schlusswort zu diesem Thema!)
Kurzes Vorwort:
Trailer zu American Crime Story
Beides sind Produktionen aus dem Jahr 2016, die Serie umfasst 10 Folgen, die Dokumentation 5 Folgen. Beide Formate wurden mit Lob und Preisen regelrecht überschüttet (Emmies, Oscars usw.), Die Serie liegt bei metacritic bei saustarken 90%, die Dokumentation bei 96%! Bei rottentomatoes liegen diese Werte sogar noch höher (97% v 100%)! Im Grunde genommen bedeutet dies ja, dass es sich bei beiden um exzellente Werke handeln dürfte mit einem marginalen aber deutlich spürbaren Qualitätszuwachs bei der Dokumentation? Schauen wir mal.
Die Serie:
Erzählt wird akribisch von dem Moment an, als der Mord geschieht bis zum Freispruch O.J. Simpsons. Die Serie beleuchtet die ganze Szenerie aus allen möglichen Blickwinkeln, bleibt dabei herrlich ambivalent, und obwohl deutlich wird, wem die Serie am ende mehr glaubt, läßt sie sich nicht dazu hinreissen, O.J. als Buhmann hinzustellen. Statt dessen wird ein ambitioniertes Bild der Gesellschaft umrissen, alle involvierten Parteien durchleuchtet, das gespaltene Amerika aufgezeigt und eine fantastische Serie produziert, welche diesen unglaublichen Prozess quasi minutiös nachzeichnet. Ganz nebenbei werden alle möglichen schwarzen Strömungen angedeutet und es wird mehr als nur deutlich, dass nicht schwarz gleich schwarz ist. Die Serie ist nachvollziehbar, spannend, spektakulär, hat unglaublich starke Darsteller an Bord (Gooding Jr., Travolta, Paulson) und weiss genau, dass es am Ende nicht DIE eine Antwort geben kann oder darf. Sehr starke Zeitgeschichte! 9 Punkte
Die Dokumentation:
Ich habe an anderer Stelle einen ähnlich gelagerten Verriss geschrieben, auf den ich nur hindeuten möchte, für den Fall, dass einige eifrige Leser gewisse Ähnlichkeiten zu dem anderen ort ausmachen und mich des Plagiats beschuldigen möchten (Tiefer möchte ich darauf nicht eingehen). Alleine mit dieser Einleitung sollte ja schon klar sein, wie ich zu diesem Werk - ich möchte fast sagen Machwerk - stehe! Bevor ich zu der Serie selbst komme, möchte ich mal auf die subjektive Wahrnehmung dieser Dokumentation sowie dem Macher und dessen Hintergründe eingehen und daraus versuchen, ein kleines Kalleidoskop zu erschaffen:
Ich kenne keinen, der diese Dokumentation gesehen hat und danach nicht vollkommen auf der Seite der Justiz war und OJ als Megabösewicht (fast schon Bondscher Ausmasse) wahrgenommen hat. Dazu MUSS ich aber auch sagen, dass alle, die ich kenne und diese Doku auch geschaut haben, weiss sind. Ich unterstelle hier keinen Rassismus, um Gottes Willen, das ist reine Feststellung, mehr dazu folgt ja gleich!
Nächster Punkt, der abgehakt werden muss: Dokumantationen waren früher mal so gedacht, möglichst wertneutral etwas zu dokumentieren. In den letzten Jahren hat sich das aber deutlich verlagert, indem Dokumentationen an den Mann (sorry, ist lediglich die Redewendung!) gebracht werden, die eine bestimmte Agenda verfolgen. Das geht bei den Moore Filmen los, geht über die "Act of Killing" - Filme weiter und hört eigentlich gar nicht mehr auf. Je nachdem welches Lager nun für den einen Film ist oder nicht, werden diese Filme, sofern sie nicht völlig verblödet (und selbst dann, siehe Moores Oscargewinn!) sind, mit Preisen, Lob und Zuspruch überschüttet. In meinen Augen sind das im Grunde genommen Propagandafilme, die notdürftig getarnt sind. OJ: Made in America fällt zwar augenscheinlich in diese Schiene (dazu wie gesagt gleich mehr), aber der Fall ist in diesem speziellen Fall jedoch nicht ganz so einfach und damit ist diese Dokumentation ein herausragendes Beispiel für "Alle wollen es richtig machen, aber irgendwas ist Faul im Staate Dänemark".
Denn: Der Filmemacher selbst ist schwarz! Ihm jetzt rassistische Motive zu unterstellen ist also erstens Quatsch und zweitens auch nicht haltbar!
Und damit sind wir bei der Wahrnehmung der Person OJ Simpsons seit dem Prozess in den USA aus weisser und schwarzer Sicht: Man kann davon ausgehen, dass der überwältigende Großteil der (zumeist eben nicht gut situierten) schwarzen Bevölkerung in den USA der Meinung ist, dass OJ erstens unschuldig angeklagt wurde (weil er ein erfolgreicher schwarzer Mann war und dass ja "von der weissen beherrschenden Bevölkerung zumindest argwöhnisch beäugt wird") und zweitens seit seinem Freispruch eine einmalige weisse jahrzehntelange Hexenjagd auf den Mann losgetreten wurde, welche letztendlich dann schließlich zum Tragen kam. Die weisse Bevölkerung ist einfach der Meinung, das OJ seine Frau getötet hat, dann einfach beim Prozess die Rassenkarte gezogen hat und weil er eben so stinkreich war, die besten Anwälte hatte, einfach so davon gekommen ist und dann höhnisch allen den Stinkefinger gezeigt hat. So jemand gehört doch einfach bestraft! Das ist beides nicht rassistisch aber irgendwo doch rassistisch motiviert. Zu erklären ist das nicht wirklich, aber jeder der mit solch einem Thema konfrontiert wurde, wird das irgendwie nachvollziehen können. Wer hat denn nicht schonmal gehört: "Ich habe ja nichts gegen xyz ..." und dann doch was anderes mitbekommen? Da ist keiner von uns gefeit dagegen und wenn man in einer größeren Gruppe ist, tickt man irgendwie auch ähnlich. Wie gesagt, schwer zu erklären, daher einfach weiter im Text, vielleicht wird es ja noch deutlicher?
Was genau hat das jetzt mit einem offensichtlich schwarzen Filmemacher zu tun, der eben nicht den Schwarzen Mann verteidigt? Tappt er etwa nicht in die Rassenfalle? Ezra Edelmann ist ganz offensichtlich ein Spross einer Aktivistenfamilie, die sich mindestens seit den Anfängen der Schwarzenbewegung (gerade aus Mangel eines anderen Wortes) sehr für die Rechte der schwarzen Bevölkerung eingesetzt haben und sich eben vieler dieser Bewegungen verschrieben haben. Für sie ist es ein Gegeben, dass wenn ein schwarzer Mann es irgendwie zu etwas gebracht hat, er zumindest seinen Teil dazu beizutragen hat, dass andere schwarze Menschen eben auch zumindest einen Hauch von Chance bekommen. Tut ein wohlhabender Schwarzer dies eben nicht, ist er ein größeres Feindbild für sie als der gemeine Weisse, da es sich in diesem Fall eben um einen Verräter handelt. Das ist auf dem ersten Blick kein Rassismus, das ist eine revanchistische Position einnehmen. Bei näherer Betrachtung handelt es sich aber um eine feinere Abstufung des Rassismus.
Was hat das nun mit der Dokumentation zu tun? (Endlich, nicht?)
Die Dokumentation nimmt sich nun ausführlich Zeit, OJ Simpson als Charakter zu etablieren, der aus den ärmlichsten schwarzen Verhältnissen kommt, sich nur anhand seines oberflächlichen Sonnyboy-Charakters und seiner überragenden Athletik irgendwo "oben" festsetzen kann und mit allen super klar kommt, eben auch weil er sich nie politisch zeigt. Sondern sich jeglicher farblichen Diskussion aalglatt entzieht und für die schwarze Bewegung keinen Finger krumm macht, selbst wenn direkt neben ihm ein Schwarzer unschuldig und brutal nieder geknüppelt würde. Er wird als Arschloch gezeigt, der seinem besten Freund die Freundin für einen One-Night Stand abluchst, der seine Familie im Stich lässt und der irgendwann auch noch Potenzprobleme bekommen haben dürfte. Zudem ist er ein Schläger und wahrscheinlich auch noch irgendwie verkappt latent aggressiv homosexuell, weil sein Vater schwul war. Dann geht es um die Tat: Hier wird minutiös vom bösen OJ erzählt, der sogar im Untersuchungsgefängnis noch Geld mit dem Tod seiner Ex-Frau gescheffelt hat. Und der nach dem Freispruch wie ein blöder Kokser fahrlässig durch die Gegend getingelt ist, Schundbücher darüber geschrieben hat, wie er seine Frau getötet hätte, und der letzten Endes endlich den verdienten Knast bekommen hat.
Was soll ich sagen? Kann man machen. ist ja auch glaubwürdiger, wenn es von einem renommierten schwarzen Filmemacher kommt! Nur dass da eine politisch und revanchistisch motivierte Agenda vorzuliegen scheint, und dass das keinem irgendwie aufällt, überrascht dann doch sehr:
Es kommt kein wirkliches Familienmitglied zu Wort, und wenn dann sind es Leute, die offensichtlich einen Groll gegen ihn haben, es kommt der (während der Verhandlung als rassistisch enttarnte) Polizist sehr ausführlich zu Wort und darf sich komplett rehabilitieren, dann kommen sehr halbseidene Figuren zu Wort, die offensichtlich alles sagen würden, um an ihre Knete zu kommen, die damals unterlegene Staatsanwältin darf ihre Genugtuung sehr öffentlich zur Schau tragen.
Hinzu kommt, dass sehr viele einschneidende Erlebnisse aus OJs Leben einfach mal so übergangen werden (wie zB der Tod eines seiner Kinder) und statt dessen mehrmals dieselben brutalen Polizeibilder über Folgen ausgedehnt werden.
Den Aspekt, dass OJ sich seinen Status hart erarbeitet hat, auch gegen viele Neider seiner Generation und dass er erstens einfach keinen Bock auf Schmarotzer haben dürfte, und Zeitlebens Angst darum gehabt haben dürfte, wieder in alte Muster zurück zu verfallen und deshalb sich komplett von seiner Herkunft losgesagt haben dürfte, wird nur dadurch Tribut gezollt, dass er einfach ein egoistisches Arsch ist. Mag sein, aber das ist kein Grund, einen Mann lebenslang zu verfolgen oder es ihm nachzutragen – zumal man persönlich nie diesen Mann gekannt hat!
Ja, vermutlich hat er die Tat begangen, aber es ist auch bei leibe keine Gerechtigkeit, wenn man ihn Jahre später in einen von Polizei und FBI fingierten Überfall verwickelt, um ihn dann endlich weg zu sperren. Das hätte man bei der Verhandlung damals hinkriegen müssen. Man hatte alle Beweise vor Ort und hat sich einfach durch ein Dreamteam an Anwälten vorführen lassen.
Ja, OJ ist auch ein Idiot, wenn er ein Buch darüber schreibt, wie es denn wäre, hätte er sie umgebracht, und ich will das gar nicht verteidigen. Zumindest konnte er ja am Buch nichts verdienen, die Erlöse wurden ja gerichtlich den Hinterbliebenen der Toten zugeordnet, zumal sie ja auch den Zivilprozess gegen OJ gewonnen hatten. Aber wieso geht die Doku nicht darauf ein, wie es der Familie immer egal war, dass er Nicole zusammenschlägt, solange sie sich in seinem Glanze suhlen konnten. Wieso wird angedeutet, dass sie ihn irgendwie durch eine gewisse sadomasochistische Aura hörig und klein gemacht hatte, aber dann plötzlich dieser Aspekt dem völlig von der Leine gelassenen Megabösewicht OJ Simpson geräumt.
Bei 5 Stunden Material kann man ein deutlich ambivalenteres Bild eines offensichtlichen egoistischen Arschlochs zeichnen als den kleinsten gemeinsamen weissen Nenner zu bedienen.
Diesen Anspruch muss eine Dokumentation solchen Ausmasses annehmen.
Diese selbsernannte Dokumentation ist eben keine, sondern eine revanchistische Black-Power-Bewegung-Abrechnung mit einem Verräter, der bei der weissen Obrigkeit durch eigenes Verschulden komplett in Ungnade gefallen ist.
Dass bei Sichtung dieser Dokumentation ohne irgendwelches Hintergrundwissen – oder zumindest nur das aus dem fernsehen damals – der geneigte (eben nicht mehr nur weisse) Zuschauer einen fetten Hals bekommen dürfte, ist nur zu nachvollziehbar. So soll ja Propaganda auch funktionieren.
2 Punkte