Bewertung: 4 / 5
Ein paar Wochen wird es noch dauern, bis die obligatorische Rundmail wieder im Posteingang landet. Die, in der lang und breit und mit physikalischem Beweis erklärt wird, warum es den Weihnachtsmann nicht geben kann. Dass er, bedingt durch seine unglaublich hohe Reisegeschwindigkeit und den Luftwiderstand, beim Versuch, Geschenke auszuliefern, samt Rentieren und Schlitten in Flammen aufgehen müsste. Zeit wird's, dass endlich jemand mit diesen grausamen Theorien besserwisserischer Erwachsener aufräumt: Im temporeichen Animationsfilm Arthur Weihnachtsmann klären Sony Pictures Animation (Die Schlümpfe) und Aardman Animations (Wallace & Gromit, Shaun das Schaf) gemeinschaftlich darüber auf, was am Weihnachtsabend tatsächlich vor sich geht.
Punkt Mitternacht beginnt die Operation Ho Ho Ho: Aus einem schlittenförmigen, exzellent getarnten Luftschiff, gegen das die Ufos aus Independence Day niedlich wirken, seilt sich ein ganzes Heer Elfen ab. In Dreiergruppen dringen sie in die Häuser ein, ausgerüstet mit Geschenken, Süßigkeitenkanonen, Nettigkeitsmessgeräten und etwas Hundefutter - um einen reibungslosen Ablauf zu garantieren.
Trailer zu Arthur Weihnachtsmann
Der Weihnachtsmann selbst scheint zu gemütlich für diese rasante Eingangssequenz, die in ihrer Kürze bereits mit mehr Detail- und Fantasiereichtum aufwartet als manche Weihnachtsfilme zusammenaddiert. Aber immerhin ist es auch schon die 70. Mission von Malcolm Weihnachtsmann. Deshalb geht man allgemein in der riesigen, vor Google Earth gut versteckten Kommandozentrale am Nordpol davon aus, dass er zugunsten seines Sohnes Steve in Rente geht. Immerhin hat der die ganze Operation geplant und das Weihnachtsmannkostüm von Versace längst im Schrank hängen.
Als jedoch nach Ende der Aktion ein nicht ausgeliefertes Geschenk im Lager entdeckt wird, bekleckert sich der hochtechnologisierte Weihnachtsmannanwärter nicht gerade mit Ruhm: Während er sich und seinen Vater mit Ausführungen über die geringe Fehlerquote beruhigt, erschüttert Nesthäkchen Arthur der Gedanke, dass die kleine Gwen in Trelew, Cornwall, beim Aufwachen kein rosa Fahrrad mit Stützrädern unter dem Baum finden wird. Begleitet vom 136-jährigen, nostalgisch vor sich hin meckernden Grandsanta und der dienstbeflissenen Einpack-Elfe Bryony will der Tollpatsch mit dem unerschütterlichen Glauben an das Gute das Weihnachtsfest retten - für ein einziges kleines Mädchen.
Obwohl Arthur vorwiegend in schwindelerrender Höhe unterwegs ist, bleibt das Kinodebüt von Regisseurin Sarah Smith, die gemeinsam mit Peter Baynham das Drehbuch schrieb, erstaunlich bodenständig. Denn trotz fliegender Schlitten und der Gegenwart fleißiger Elfen sind die Mitglieder der Familie Weihnachtsmann doch Menschen, ausgestattet mit menschlichen Stärken und Schwächen: Keine Bösewichte, sondern Uneinsichtigkeit, Selbstherrlichkeit, Machtkämpfe innerhalb der Familie, Existenzängste und mangelndes Einfühlungsvermögen stellen deshalb die Bedrohung für Weihnachten dar. Und streng genommen nicht nur für Weihnachten: Wenn der Trend, Menschen nur noch als Nummern in einer großen Rechnung wahrzunehmen, sich schon am Nordpol durchzusetzen droht, dann ist wohl nicht nur "Weihnachten vor die Rentiere gegangen", wie es Grandsanta formuliert.
Ja, Sarah Smith reflektiert in ihrer Geschichte durchaus gesellschaftlich relevante Fragen. Da Smith und ihr Co-Autor aber mindestens genauso viel Energie darauf verwendeten, sich pointierte Dialoge und gut getimte Gags auszudenken, ist Arthur Weihnachtsmann vor allem eins: ein großer Spaß. Die Moralkeule wurde mit viel Fingerspitzengefühl in grün-weiß-rotes Vergnügen gepackt und mit ganz großer Vorsicht unter den Baum gelegt. Für Kinder wie die kleine Gwen oder den großen Arthur ist sie nicht bestimmt - sondern für Erwachsene, die sich in ihrer Welt aus Zahlen und Effizienz einen Spaß daraus machen, selbst den Weihnachtsmann und seine Rentiere totzurechnen.
Arthur Weihnachtsmann bekommt 4 von 5 Hüten.
(Quelle: teleschau - der mediendienst | Annekatrin Liebisch)
