Keine Sorge, Atlanta hat bei mir keinen halben Stern, vielmehr entzieht es sich meinem Bewertungssystem.
Atlanta erzählt angeblich als Comedy-Serie vom Kampf eines Musik-Managers seinen rappenden Cousin groß heraus zu bringen. Doch Atlanta ist weitaus mehr. Und es ist ganz sicher eines NICHT: Nämlich Comedy! Das muss man wissen, wenn man sich auf diese Serie einlässt.
Trailer zu Atlanta
Jede Staffel ist komplett anders aufgebaut, die erste ist tatsächlich diejenige, die am komödiantischsten angesehen werden könnte, aber im Grunde genommen geht es in erster Linie um eine Istzustandsbeschreibung des heutigen USA aus Sicht des Unterschicht-Afroamerikaners, der es zu was bringen möchte.
Hier werden ganz starke sozial relevante Themen verhandelt, gleichzeitig aber auch immer mit absurdem Humor vermengt, und sehr lustige und listige Momente kreiert. Aber immer und überall schwebt das Damoklesschwert des Horrorfilms über der Szenerie. Und wenn man diese Serie gesehen hat, und durchaus auch mal viele Episoden aus Key & Peele (übrigens das tatsächlich eine Comedy-Reihe), dann hat man eine Ahnung davon, warum Comedy-Regisseure mit als die besten Horror-Regisseure funktionieren: Guter schwarzer Humor (no pun intended) kratzt immer mit seinem Sujet auch in Horrorgefilden, das eine ist die Kehrseite des anderen, je nachdem welche Perspektive man einnimmt.
So auch Atlanta, hier ist so viel realer Horror verankert, verbunden mit noch mehr absurdem Horror, garniert mit ganz viel Übertreibung, das einem immer und immer wieder das Lachen im Halse stecken bleibt. Und das ist auch gut so!
Die zweite Staffel ist derart intensiv, lustig, verstörend, dass sie tatsächlich fast die volle Punktzahl verdienen würde. Aber Staffel 1 ist noch recht unbeholfen und sucht sich selbst, und Staffel 3 verhandelt die andere Seite des Rassismus, was nicht immer so aufgeht. Gut ist jede Staffel mindestens. Sichtung von Staffel 4 steht noch aus, wird aber nachgeholt.
Ständig werden Erwartungen unterlaufen, geschürt und ins Leere laufen gelassen, ganze Handlungsstränge verschwinden und tauchen viel später wieder auf, die Charaktere sind auch dauernd im Fluß, also alles sehr spannend. Das Ganze wird vom Quartet um Donald Glover, Zazie Beetz, Lakeith Stanfield und BT Henry locker flockig getragen, die mittlerweile allesamt quasi Superstars des New Black Cinema sind.
Und um es auch noch einmal gesagt zu haben, ja die Drehbücher sind zwar zumeist von D. Glover und seinem Bruder, also natürlich Leute, die wissen wovon sie schreiben, aber die Regie führt in den meisten Fällen ein gewisser Hiro Murai, einer der besten Collaborateure von Glover, mit dem er unter anderem das legendäre This is America Video verbrochen hat. A Propos: Das Video gibt schon ganz gut vor, in welche Richtung die Serie zu gehen in der Lage ist.
Was gibt es noch zu sagen: Die Serie ist in seiner Erzhlstruktur sehr stark zerfasert, so dass man immer wieder geneigt ist, zu denken, sie wäre teilweise echt rassisistisch gegenüber den Weissen, aber dann wird das immer wieder aufgebrochen und das Pendel schlägt in die andere Richtung aus, so dass hier keine tatsächliche Ausrichtung ausmachbar wäre, also eher eine Bestandsaufnahme als eine Stimmungsvorgabe. ABER sie ist tatsächlich sehr schwarz gefärbt in ihrer Sicht, dh es geht gar nicht um verschiedene People of Colour wie Leute asiatischer Abstammung oder sonstwoher, sondern immer nur schwarz gegen weiß. Das ist ein bißchen zu einseitig in meinen Augen und schmälert ein bißchen das, was Atlanta schaffen hätte können.
Dennoch großartige und gesellschaftlich sehr relevante und extrem wichtige Horror-Serie.