Bewertung: 3.5 / 5
"Avatar" ist die Kunst unter dem, was landläufig "Spektakelkino" genannt wird. Der Beweis, dass hinter Blockbustern eine künstlerische Vision stecken kann. Denn James Cameron gelang ein Film, der sich nicht der fraglichen Forderung einer innovativen oder imposanten Handlung hergeben muss, sondern der darin besticht, worum sich das entsprechende Medium wirklich dreht: audiovisuelles Inszenieren.
So steht "Avatar" beinahe sinnbildlich für die Tatsache, dass jedes Kunstwerk seine eigene Realität konstruiert - schließlich schafft er eine bis dato völlig unbekannte Welt, deren Erkundung er sich vordergründig widmet. Bereits der Protagonist ist mehr Projektionsfläche denn auszuarbeitende Persönlichkeit, ein Platzhalter für die Identifikation der Zuschauer*innen. Er ist körperlich benachteiligt, hat Ecken und Kanten und gerät somit zwangsläufig in unsere Nachvollziehbarkeit. Nicht umsonst betreten wir mit ihm, unter seiner Anleitung, erstmals Pandora, lernen durch ihn den fremden Mond kennen. Werden über ihn Teil der Eingeborenen. Es könnte passender kaum sein, dass sein Voiceover explizit als Element des Filmes eingeordnet wird - die Figur spricht in eine Kamera, spricht zu uns. Und mit ihm entfremden wir uns nach und nach von der eigenen Spezies. Aus unseresgleichen werden Antagonisten. Bis wir im letzten Shot als eine*r der Navi erwachen, die Reise vollendet ist.
Dieses Motiv der verschobenen Fronten zieht sich ebenso durch die Darstellung der Handlungsräume. Anfänglich fungiert die vertraut futuristische Technik der Menschen noch als heiler Hafen in einer widerspenstigen Welt. Jene wird von den Erdenbewohnern gefürchtet, sie können in ihr nicht einmal atmen. Entsprechend bedrohlich sind die ersten Bilder der Landschaft Pandoras: Alles ist in dichten Nebel gehüllt, die Tiere, die Eingeborenen agieren als Gefahr. Erst nach und nach wendet sich das Blatt - plötzlich sind es die Maschinen, die Hallen der Menschen, die als Feindkörper inszeniert werden, während die Wälder ihre Schönheit offenbaren, Monster und Navi sich gemeinsam verteidigen.
Trailer zu Avatar - Aufbruch nach Pandora
Nun könnte man natürlich einwenden, all das klinge plump oder eindimensional. Bloß redete man damit am Werk vorbei, schließlich ist Genanntes nur Beiwerk neben dem, was "Avatar" essentiell ist: seine Ästhetik. Die Farbgebung, die Kontraste, die Belichtung, die Gestaltung - es geht eben nicht darum, von einer fremden Welt zu erzählen, sondern sie zu zeigen. Sie zu designen. Aus ihr noch das letzte Quäntchen an visueller Schönheit, an optischer Perfektion herauszukitzeln. Dabei ruht sich das Werk nicht auf oberflächlichen Eindrücken aus, sondern begreift das Inszenieren von Ästhetik als zentralen Part der Kunst. Nie sind Aufnahmen verwackelt oder hektisch, nie verwaschen, nie monochrom. Selbst in der Nacht könnten die Farben klarer kaum sein, das Lila, das Blau, das Grün. Farben, die auf dem Farbkreis von Johannes Itten benachbart und somit harmonisch sind, dem Orange der Explosionen späterer Szenen jedoch genau gegenüberliegen.
Und sogar in diesen Actionsequenzen bleibt dem Bild eine beeindruckende Übersichtlichkeit: Handelnden Akteuren wird in nahezu jedem Shot die Bildmitte gewährt, während die Kamera Dynamik erzeugt, ohne dafür auf sprunghafte Einzelbilder angewiesen zu sein. Stattdessen verliert sie die Figuren auch dann nicht aus dem Fokus, wenn sie deren Bewegungen mit Zooms und Schwenks kommentiert - tatsächlich könnte man regelmäßig ein Lineal anlegen, um zu beweisen, in welch perfekter Symmetrie sich die Kontrahenten gegenüberstehen.
Denn "Avatar" inszeniert eine Ästhetik, die nicht zur bloßen Beigabe einer Erzählung verkommt, sondern der wahre Protagonist des Filmes ist. Er weiß mit Farbtheorie, mit Bildkomposition, mit Licht umzugehen, wie es kein Blockbuster wieder schaffen wird. Außer vielleicht "Avatar: The Way of Water" und dessen Fortsetzungen.
7,5 von 10 Enten.