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Elf Uhr Nachts

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Elf Uhr Nachts Kritik

Elf Uhr Nachts Kritik

Elf Uhr Nachts Kritik
0 Kommentare - 06.07.2022 von ProfessorX
In dieser Userkritik verrät euch ProfessorX, wie gut "Elf Uhr Nachts" ist.

Bewertung: 5 / 5

Gelangweilt vom monotonen Alltag beschließen Pierrot Griffon (Jean-Paul Belmondo) und seine Ex-Geliebte Marianne Renoir (Anna Karina) in den Süden Frankreichs zu fliegen. Auf dem Weg dorthin halten sie sich mit kleineren Straftaten über Wasser. Es kommt zu einem Zwischenfall mit ein paar Gangstern, die hinter Marianne her sind. Das Paar wird voneinander getrennt und nachdem Pierrot Marianne wieder trifft, hat diese einen neuen Liebhaber.

Der Konsum macht das Individuum auf kurz oder lang dem Kapitalismus überdrüssig. Menschen erreichen die Grenze all dessen, was man nicht für möglich erachtet und spielen dabei Götter, die sie vielleicht, je nach Auslegung bereits sind. Der Transhumanismus ist ja die wohl bedeutendste Form der Endlosigkeit, weil er keine Regeln kennt. Ähnlich verhält es sich mit dem Kino. Doch während man bei ersterem zweifeln darf, ob keine Grenzen wirklich nicht auch irgendwann die unperfekte Existenz infrage stellen, so sehnt man sich nach grenzenloser Freiheit im Kino. Das voyeuristische am Kino erlaubt es seinen Zuschauern in andere Welten zu verschwinden und manchmal drücken Künstlerinnen und Künstler mit dem Finger in das blanke Fleisch, wenn sie ihre Werke selbst durch das Durchbrechen der vierten Wand zu deuten und zu moralisieren versuchen. Elf Uhr Nachts ist ein Film, dessen Figuren von der subjektiven Wahrnehmung der Realität abschweifen. Sie philosophieren, wie es vermutlich ein Großteil der Menschheit schon getan hat, über die Ungerechtigkeit des Lebens. Dabei macht es Godard ganz geschickt, indem er uns einfach nur die Fakten aufzählt, um sein anarchisches Duo langsam aber sicher zu entfalten. Die Zustände sind nicht perfekt, und die Dinge, die von dieser Realität ablenken sollen, sind in Wahrheit nur der Auslöser der Figuren, sich dem Problem zu stellen.

Nun ist dieser Film eigentlich typischer Godard, indem die Figuren durch irgendeinen Zufall fast schon in die Geschichte geworfen werden, und dabei einfach das Leben passiert. Das ist im Film ein sehr beliebtes Stilmittel, weil es einem erlaubt absolut frei zudrehen und es gleichzeitig die Annäherung zur Realität wagt. Das ist insofern aber auch typisch für Godard, weil auch sein Debütfilm Außer Atem (1960) und später noch Weekend (1967) von Leben berichten, die man nicht so ganz glauben kann. Doch dabei gelingt es eben den Zuschauer auch immer bei der Stange zu halten, weil die Erwartung an das Ungewisse zu packen weiß. Ein Kennenlernen der Figuren durch den Zuschauer, wird in diesem Werk ein Wiedertreffen einer alten Liebschaft, die dadurch etliches, was man im heutigen Kino vermutlich endlos ausdefinieren würde, ausspart und darum konzentriert sich der Film recht schnell auf das Wesentliche, beziehungsweise auf das, was den Zuschauer eigentlich interessiert. Es ist irgendwo ein Metakonzept, daß hier greift, weil man natürlich ob der absurden Geschichte recht schnell in ein vermeintliches moralisches Dilemma gerät. Doch Elf Uhr Nachts paart seine Geschichte gleichsam auch mit einigen cleveren ironischen Brechungen und Witzen. Nicht zuletzt dadurch entzieht sich der Film gängiger Moralvorstellungen und bleibt in seiner Deutung wesentlich freier. Dabei ist es vor allem auch eine Antithese zu gängigen Filmen, weil dieses Werk sich auf total seltsame Gegensätze versteift und den Figuren den Freiraum gibt, den sie brauchen. Sie verfallen recht schnell total anarchischen Gedanken und einer Idee von einem gewieften Verbrechen, bis hin zu purer Ausbeutung. Dabei wenden sie primär Tricks und keine Gewalt an. Was hier vermutlich auch im Kontrast zum Kriegstreiben in Vietnam steht. Doch das soll nicht lange halten und dann ist es wieder die Moral, derer die Figuren nicht gerecht werden können. Auch wird dadurch gezeigt, wie erfinderisch der Mensch ist, wenn es um das eigene Leben geht.

Es bleibt lange Zeit offen, wo die Figuren überhaupt hinwollen. Das beeindruckende an solchen Roadmovies sind dann in der Regel die Landschaften und Orte, die wie in einer klassischen Odyssee den Wandel der Figuren erklären soll. Doch auch hier gibt es kaum einen Wandel und wenn es einen gibt, dann führt er nur zu weiterer Anarchie. Die Radikalität, mit welcher Godard hier gängigen Klischees entfliehen möchte, könnte mitunter auch als artifiziell verstanden werden. Doch das ist sie nicht. Elf Uhr Nachts bietet dafür eine wunderbare Liebesgeschichte, die vor allem durch ihre Hauptdarsteller vom gewöhnlichen abgehoben wird. Dadurch, daß der Film aber auch so viele unterschiedliche Genres bedient, ist es schwer ihn als einfachen Roadmovie, oder Liebesfilm, oder Actionfilm oder ein Drama zu klassifizieren. Dagegen wehrt sich der Film entschieden und die Figuren sind letztlich in ihrem Verlangen auch einem stetigen Wandel unterlegen, welcher vor allem bei Anna Karinas Marianne Renoir zu sehen ist. Geht es um Ferdinand Griffon, so verlangt er immer wieder von Marianne, daß sie ihn doch bitte Pierrot nennen möge. Das dient natürlich der Tarnung, um die Schneise der Zerstörung hinter ihnen zu kaschieren. Und dennoch wirft es eine Frage auf, derer man sich natürlich auch endlos lange stellen könnte. Die Identität, wird ja maßgeblich durch den Namen mitdefiniert. Ist man der, der Mann ist, oder ist man, wie man heißt. Es sind Teile des Seins, die die Vollkommenheit ausmachen. Und was hier so ein wenig pseudopoetisch anmuten mag, ist aber in dem Werk durchaus eine Frage, die auch durch den generellen Unmut nur noch mehr in den Vordergrund gerückt wird. Wer ist man? Wer ist man in dieser Welt? Wie kann man ein tristes Leben besonders machen?

Das sind alles Fragen, die in Elf Uhr Nachts gestellt werden. Und das Ziel ist unklar, es ist irgendwie die Sonne und es ist irgendwie das Meer. Urlaub also soll es sein. Doch das hat hier auch einen doppelten Boden, für den es etwas länger ausgeholt werden muss. Es ist eigentlich kein dummer Gedanke, den Urlaub, den man sich von seinem hart verdienten Geld erkauft, als Realitätsflucht zu begreifen. Ähnlich, wie man es über Lektüren, oder Bücher, oder Nachrichten auch sagen könnte. Denn die Realität ist nur geprägt durch die eigene Umwelt. Daher ist es natürlich ein Klischee, daß die Figuren sich an einem warmen Ort am Meer befinden. Doch die Flucht in dieses sehr herkömmliche Paradies entpuppt sich als großes Problem für diese Figuren. Denn es macht sie krank. Sie haben all ihr Geld aufgeopfert, um dorthin zu gelangen, und können die vermeintliche Schönheit, die von diesem Ort ausgeht, gar nicht wahrnehmen, weil sie eben daran gebunden sind, wie abhängig sie sich von einem Kapital machen. Darin steckt auch eine der größten Wahrheiten des Lebens, die man sich immer wieder vor Augen führt. Ob freiwillig, oder unfreiwillig, ist hierbei aber nicht von Belang. Die Schönheit ist also unwirklich und das sorgt bei den Figuren dafür, daß sie von einer Struktur, aus welcher sie fliehen wollten, in die nächste geraten, aus welcher sie ebenfalls wieder fliehen wollen. Daher kristallisiert sich hier auch ein Kreislauf heraus.

Das wird natürlich kommentiert. Doch wie das zu deuten ist, obliegt letztlich dem, was gezeigt wird. Denn man ist sich nie so sicher, ob man dem, was die Figuren von sich geben, überhaupt Glauben schenken darf. Dabei führt diese Existenzkrise der Figuren unweigerlich auch dazu, daß sie sich fragen, was sie füreinander eigentlich darstellen. Nicht in einer direkten Konfrontation, daß würde von Ferdinand und Marianne zu viel Ehrlichkeit abverlangen. Wohl aber durch das Durchbrechen der vierten Wand. Das heißt, der Dialog wird eigentlich mit dem Zuschauer gesucht. Es ist quasi ein Gespräch und man soll sich dann darüber Gedanken machen. Dadurch werden die Figuren natürlich einerseits zu Wissenden, weil sie um den Umstand einer Meta-Ebene wissen und anderseits werden die Zuschauer in das Geschehen geworfen. Dabei spielen geopolitische Themen wie der Vietnamkrieg natürlich eine Rolle. Doch der eigentliche Verfall ist zunächst nicht der Krieg und der darin resultierende Tod. Es geht viel eher darum, daß auch diese anti systemische Liebe, dadurch, daß es kein klares Ziel oder einen Sinn gäbe, verfällt. Da wächst und wächst Unverständnis dem Anderen gegenüber, weil keiner von ihnen weiß, was im Anderen vor sich geht. Der Vietnamkrieg hingegen wird durch ein seltsam anmutendes Theaterstück am deutlichsten in den Vordergrund gerückt. Es ist natürlich auch eine ganz klare und in diesem Fall einfache Meta-Ebene, wenn man von einem Drama in einem Drama ausgeht. Doch der Kern ist hier ein anderer. Die Soldaten begeistern sich für dieses Kuriosum, und es wirkt gleichsam unwirklich, wie auch der ein Krieg, im speziellen jetzt der Vietnamkrieg insgesamt immer unwirklich wirkt.

Ein Geniestreich, der die ganz subtil und leise daherkommt. Der die Langweile im endlosen Konsum sieht und dadurch den Ausbruch und Umbruch befördert. Es sind nur Ideen, die die Figuren verbinden, und dennoch schafft Godard es seinen Figuren etwas sehr Menschliches und gleichsam sehr poetisches zu geben. Da stehen Bilder natürlich für sich, doch sie sind auch so zeitlos, weil sie die Kernproblematik unserer Welt gekonnt ausspielen und dem Zuschauer den Spiegel vorhalten.

Elf Uhr Nachts Bewertung
Bewertung des Films
1010

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