Bewertung: 4.5 / 5
Nachdem sich ihr letzter Gig als Pleite rausgestellt hat, die ihnen nicht mal die Heimreise finanzieren konnte, nimmt die Punkband The Aint Rights einen Auftritt im Hinterland von Portland an. Dort angekommen, müssen sie feststellen, dass sie in einem Neo Nazi-Laden gelandet sind. Nachdem sie den Dead Kennedys-Klassiker „Nazi Punks Fuck Off“ zum Besten gegeben haben, spielen sie ihr Set zu Ende, wollen abkassieren und möglichst fix verschwinden. Natürlich läuft es für The Aint Rights nicht so einfach, denn Bassist Pat wird zufällig Zeuge eines Mordes. Die Nazis setzen die Band zusammen mit der Skinheadbraut Amber daraufhin im Green Room, dem Warteraum im Backstagebereich, fest. Anführer Darcy soll entscheiden, was mit den Gefangenen passiert. Der will selbstverständlich keine Zeugen für die Vorgänge in seinem Clubhaus haben. Für die Aint Rights entbrennt ein gnadenloser Kampf ums Überleben...
Vor ein paar Jahren erzählte Punkrockikone Henry Rollins, seines Zeichens Sänger der legendären Band Black Flag und Autor hinter „Get in the Van“, bei einem seiner zahllosen Spoken Word-Auftritte einmal die Anekdote, wie er beim Beladen des Bandvans einmal Zeuge wurde, wie jemand auf dem Parkplatz ihres Auftrittsortes abgestochen wurde. Ein paar Jahre später, im Jahr 1986 um genau zu sein, lösten Black Flag sich dann auf – zufällig im gleichen Jahr wie die Dead Kennedys, die den Zerfall der Punkszene beklagten. Was einst als Zufluchtsort für Freidenker und Nonkonformisten galt, wurde bald zur von Dogmen beherrschten Szene, in der man sich auf Konzerten lieber auf die Schnauze schlug. Und immer wieder mischten sich auch Naziskins unter die Konzertbesucher, angezogen von der martialischen Musik, aber wegen der Messages auf Streit aus und stets versucht, unter den anwesenden Kids neue Mitglieder zu rekrutieren. Es erscheint fast unmöglich, dass Saulnier bei der Arbeit an „Green Room“ diese Umstände nicht bekannt waren.
Trailer zu Green Room
Saulnier zeichnet seine Protagonisten von der ersten Szene an als Underdogs: mit dem Van irgendwo in der Pampa gestrandet, bleibt dem von Anton Yelchin gespielten Pat nichts anderes übrig, als mit der Gitarristin Sam (Alia Shawkat) zum nächsten Skatepark zu fahren, um dort Benzin zu stehlen. Nach einem kurzen Interview für ein lokales Fanzine dürfen wir auch sogleich einem Auftritt beiwohnen, bei dem The Aint Rights vor wenig Publikum, das auch noch wenig beeindruckt ist, spielen müssen – und ganze 6,88 $ pro Nase verdienen. Sofort wird klar, die Band steht mit dem Rücken zur Wand, sie muss jeden Gig annehmen. Klar, man soll besser nicht mit den Veranstaltern über Politik diskutieren, warnt Vermittler Tad, aber was bleibt schon anderes übrig? Weiter auf dem Weg zurück nach Washington Benzin klauen? Man muss seine Ideale aber nicht ganz aufgeben, wenn man denn mutig ist. Und so spielen sie „Nazi Punks Fuck Off“ - dessen letzte Zeilen noch an Bedeutung gewinnen sollen. Doch zuerst passiert etwas interessantes: sobald die Band ihre eigenen Songs spielt, gewinnt sie die Zustimmung der versammelten Nazis. Wenn wir nur hart genug rocken, scheint die Message zu sein, können wir die Faschisten besiegen. Da ist es nur passend, wenn hinterher der Mikrofonständer von der sprich- zur wortwörtlichen Waffe gegen Neo Nazis wird...
Von nahezu der ersten Einstellung an herrschen in „Green Room“ die Grüntöne vor, zuerst draußen in der Natur, später dann in der Klaustrophobie des Backstageraums. Kontrastiert wird das Ganze durch den geschickten Einsatz von gedämpften Rottönen, die angenehm ins Auge gehen. Gerade eine wirklich böse Armwunde springt dem Zuschauer wegen des Rot/Grün-Kontrastes förmlich entgegen. Dabei achtet Regisseur Saulnier allerdings stets darauf, die teils drastische Gewalt nicht selbstzweckhaft einzusetzen. Die Kamera bleibt fast immer auf Abstand, Gewalt ist plötzlich und schockierend, selbst Selbstverteidigung hat auf den Zuschauer keine erleichternde Wirkung. Diesen Effekt macht Saulnier bereits relativ zeitig klar, wenn Jiu-Jitsu-Ass und Drummer Reece (Joe Cole) im Green Room einem Neo Nazi den Arm bricht, während sich an der Tür die Situation zuspitzt und Darcys Männer Pat angreifen. Gewalt und Gegengewalt sind von diesem Zeitpunkt untrennbar verbunden, dass der Arm genau zu dem Zeitpunkt bricht, an dem sich die angestaute Spannung entlädt, bildet dann das inszenatorische I-Tüpfelchen. Spätestens ab jetzt ist sicher, diese Nacht übersteht keiner unversehrt.
Und jetzt wird die Lektion, die Jello Biafra am Ende von „Nazi Punks Fuck Off“ rausschreit zur bitteren Realität und muss wörtlich verstanden werden: „Youll be the first to go/Unless you think!“ - du bist der erste, den es erwischt, wenn du nicht nachdenkst. So ist es auch hier, denn jedes verzweifelte Himmelfahrtskommando der Aint Rights wird damit quittiert, dass einer von ihnen sein Leben lassen muss. Erst wenn sie nicht mehr versuchen, die Nazis mit ihren eigenen Waffen zu schlagen, ihren Kopf benutzen und die Gegebenheiten der Auftrittslocation zu ihrem Vorteil einsetzen, können sie die Schlacht zu ihrem Vorteil wenden.
Das Drehbuch, für das Saulnier sich zusätzlich noch verantwortlich zeichnet, zeigt zudem ziemlich geschickt, wie die Gruppendynamik der Neo Nazis funktioniert. Zuerst wird die Polizei hinters Licht geführt, denn wo das Gewaltmonopol des Staates versagt, können die Faschisten schalten und verwalten. Jugendlichen wird ein Zuhause gegeben, die sich mit ersten Gewalttaten ihre Sporen verdienen müssen, die sie fester in die Gruppe einbinden. So steht Anführer Darcy Banker eine treue Armee bereit, bei der jeder, der ans Aussteigen denkt, der nicht fest genug in der „Bruderschaft“ eingebunden ist, um sein Wohlergehen fürchten muss. Ausstieg ist nur mit Hilfe von außen möglich.
Für Anton Yelchin war dies leider der letzte Film, der zu seinen Lebzeiten erschienen ist. Viel zu früh gestorben, zeigt er in „Green Room“, dass eine große Karriere vor ihm gelegen hätte. Seinem Charakter werden unglaublich viele Emotionen abverlangt, die Yelchin alle mit Überzeugung spielt. Panik, Entsetzen, Schock, aber auch Bestimmtheit vermittelt er mit Körpersprache, Stimme und seinen Augen. Auf der anderen Seite steht Patrick Stewart als Nazichef Darcy, dessen markante Stimme („Make it so!“) mit ihrer großväterlichen Wärme effektiv eingesetzt wird, wenn Darcy den Wolf im Schafspelz gibt. Dass Stewart hier entgegen seines Images besetzt wurde, erhöht die Wirkung seines Charakters nur. Der Zuschauer weiß, dass Untergebene Stewart treu folgen, sei es als Raumschiffkapitän oder als Mutantenrechtsaktivist, nur will er es diesmal nicht. Zwischen beiden steht Imogen Poots als Skinheadbraut Sam, die die stoische Actionheldin gibt. Sie schafft es aber, die an ihrer Ideologie zweifelnde Sam für den Zuschauer sympathisch zu machen. Wenn sie sagt, sie würde bei den Nazis mitmachen, weil es da, wo sie herkommt, Probleme mit Ausländern gäbe, schwingt da eine ordentliche Note Scham mit, die ihren Konflikt plastisch werden lässt.
„Green Room“ ist ein spannungsgeladener und cleverer Film, dessen klaustrophobische Atmosphäre Regisseur Saulnier zu jemanden macht, den man in den kommenden Jahren beobachten muss.