Bewertung: 4 / 5
Ein Film? Von Nightwish? Sind das nicht diese Gothic-Rocker? Ja, ja und ja! Nightwish, ja schon fast ‚die’ finnische Gothic-Rock Band, haben einen Film gemacht. Und ja, er lief auch in Deutschland im Kino, allerdings nur in ausgesuchten Kinos und das bisher nur an zwei Tagen. Wer jetzt glaubt, er könne aufs weiterlesen verzichten, denn auf ein weiteres Band-Bio-Pic habe er keine Lust, der darf weiterlesen, denn diesmal kommt es anders. Basierend auf dem 2012 veröffentlichten Album Imaginaerum haben Bandsongwriter Tuomas Holopainen und Regisseur Stobe Harju einen Fantasyfilm erschaffen der lose auf dem letzten Album der Band basieren sollte. Dabei wurden die Songs nicht eins zu eins in den Film übernommen, sondern vom Komponisten Petri Alanko in, meist rein Instrumentale, Filmmusik umgeschrieben. Es erwartet euch also kein Musical und man muss nicht im geringsten Nightwishfan sein um diesen Film genießen zu können. Das Drehbuch orientiert sich nur leicht an dem Album um die Geschichte des gealterten Komponisten „Tom“ zu erzählen. Tom, schwer an Demenz erkrankt, fällt nach zwei Herzinfarkten ins Koma. Seiner einzigen Tochter Gem fällt es sichtlich leicht die Papiere zu unterzeichnen, die im Falle des Falles, eine erneute Wiederbelebung ihres Vaters ablehnen. Während Gem nun im Hause ihres Vaters sich nicht nur mit den Erinnerungen an ihre lieblose Kindheit, sondern auch noch mit der Sängerin Ann der Exband ihres Vaters herumschlagen muss, fällt Tom in eine alptraumhafte Komafantasie in der er das letzte mal die Chance bekommt, mit seinem Leben und seiner Tochter ins Reine zu kommen. Zu diesem Ansatz kann man natürlich zwei Meinungen haben. Zum einen klingt das Konzept ein wenig bekannt, auch visuell erinnert der Film oft an Sucker Punch, der ähnliches verfolgte wie Imaginaerum. Zum anderen bietet dieser Ansatz aber gerade eine großartige Möglichkeit die fantastische Welt, welche Nightwish in ihren Songs erschafft, auf die Leinwand zu bringen. In seinen Komafantasien wird der junge Tom vom gruseligen Schneemann Mr. White mit in eine Welt genommen die das Spiegelbild der Erinnerungen des alten Toms ist, die sichtlich durch seine Demenz zerfällt. Hier begegnet er vielen Figuren aus seinem Leben und muss sich den traumatischen Ereignissen seiner eigenen Geschichte stellen. Das wird durch visuell starkes und fantastisches, wenn auch immer gut zu erkennendes, CGI dargestellt und erinnert auch hier wieder stark an Sucker Punch, wenn auch Budgetbedingt vielleicht nicht ganz so detailliert oder verspielt. Am Design erkennt man die Vorliebe Holopainens für Tim Burton Filme und Produktionen, allein Mr. White scheint Jack Skellington aus Nightmare before Christmas wie aus dem Gesicht geschnitten. Die Darstellerriege ist weitestgehend unbekannt, dennoch machen sie alle einen guten Job. Allen voran der Kanadier Quinn Lord, der als junger Tom die erste Hälfte des Filmes tragen muss, überzeugt in seiner Rolle. Aber auch Marianne Farley als erwachsene Tochter Gem spielt ihre Szenen überzeugend gut und der CGI-Schneemann Mr. White mag vielleicht ein verkappter Jack Skellington sein, ist aber überzeugend gruselig und beänstigend. Die Inszenierung ist natürlich zum einem dem Budget geschuldet auf wenige Schauplätze reduziert, diese werden dafür geschickt in Szene gesetzt. Regisseur Stobe Harju und sein Kameramann Benoìt Beaulieu wissen geschickt ihre Bilder in Szene zu setzen. Das spärliche Krankenzimmer Toms hat B-Movie Charme, aber seine Inszenierung ist immer wieder schaurig und ergreifend. Überhaupt, die große Stärke des Films sind die Bilder, die Botschaften, die kleinen Links von Toms Fantasiewelt zur Realität und die Verknüpfungen der Geschichte mit ihrem Charakter. Die Bildsprache ist gewaltig und packend, manchmal richtig niederschmetternd. Gerade zur zweiten Hälfte lässt sie einem kaum Zeit zum atmen und obwohl man ahnt worauf alles hinausläuft, Harju und Holopainen fesseln den Zuschauer gerade zum Finale hin mit großartigen Bildern. Dabei weißt Harju ein Gespür auf unterschiedliche Elemente in seinem Film einzubringen. Die visuell starke Fantasiewelt, das düstere Klavierzimmer des gealtertem Komponisten oder aber das sterile, weiße Krankenzimmer, alles scheint aus einem Guss. Selbst nach den traurigsten Momenten gelingt es Harju, kleine Lacher einzustreuen die herzlich wirken und doch nicht die düstere Atmosphäre des Films stören. Hier merkt man die Liebe des gesamten Produktionsteams zu diesem Projekt. Die letzte Szene des Films nach einem gewaltigen Effektfeuerwerk dann aber wieder so intim und doch so ergreifend zu inszenieren, dass sind die Momente in denen jedes Gefühl von B-Movie verloren geht und die jedem Filmkenner Respekt abverlangen. Ein paar schwierige Szenen gibt es doch. So sind gerade in der ersten Hälfte einige Lieder des Bandalbums wenig subtil untergebracht und gerade in den Momenten wo die gesamte Band Nightwish auf den Bildschirm tritt, verliert der Film an Effektivität und Tempo und neigt dazu ein eher langweilig geschnittenes Musikvideo zu werden. Hier treten Längen auf und irgendwie scheinen diese Szenen bei aller Liebe, nicht richtig in den restlichen Kontext des Films passen zu wollen. Gerade der groß angekündigte Zirkusbesuch in der Fantasiewelt enttäuscht visuell ein wenig und schnell fangen die Musikvideoschnipsel an zu nerven. Zur Erleichterung aller waren dies dann aber auch die einzigen drei Minuten in denen sich der Film die Blöße gibt. An mancher Stelle schwächelt auch das CGI, man scheint zu merken, wo die Highlights des Films gesetzt sind und wo man vielleicht nicht mehr ganz soviel Budget hatte um es aufwendiger umzusetzen und dennoch, am Ende sind dies nur kleine Schnitzer die einen ergreifenden Film aber nicht schlecht machen. Budgetbedingte Schwächen werden durch originelle Inszenierung, eine starke Geschichte mit gutem Drehbuch und hervorragenden Darstellern schnell vergessen gemacht und so bleibt am Ende ein überaus ergreifender Film der niemals den Vergleich mit Hollywoodgrößen zu scheuen braucht. Meiner Meinung nach der bewegendste Fantasyfilm der letzten 12 Monate.
Imaginaerum Bewertung
