Bewertung: 3.5 / 5
Kurz vor den Ereignissen des ersten Teils: Medium Elise und ihre beiden Helfer Tucker und Specs werden zu einem neuen Fall gerufen. Der Bewohner des Hauses, in dem Elise aufgewachsen ist, braucht Hilfe, denn, wie sollte es anders sein, es spukt. Elise muss sich nunmehr nicht nur den Dämonen im Haus, sondern auch denen ihrer Vergangenheit stellen. Nebenher versucht sie noch das Verhältnis zu ihrem Bruder aufzubessern, den sie mit ihrem missbräuchlichen Vater alleine gelassen hat. Außerdem hat es die böse Macht in ihrem Kindheitsheim nicht nur auf sie abgesehen...
Im Jahre 2010 hat „Insidious“ quasi den Abstieg des Found Footage-Horrors und damit die neue Welle der Geisterhaus- und Besessenheitsfilme ausgelöst. Acht Jahre später und im vierten Aufguss der Reihe könnte man meinen, dass sich langsam Abnutzungserscheinungen in die Geisterbahn-mit-sympathsichen-Charakteren-Formel einschleichen. Und das tun sie auch gewissermaßen. Die Schockeffekte sitzen zwar meistens, sind aber für den geübten Zuschauer recht vorhersehbar. Andererseits bieten sie dem geneigten Gelegenheitsfan, der sich eben nicht durch unzählige Geisterfilmchen gewühlt hat, genau das, was er von einem Film der Reihe erwartet. Und gelegentlich weiß der Film sogar zu überraschen...
Trailer zu Insidious - The Last Key
Drehbuchautor, Regisseur des dritten Teils und Specs-Darsteller Leigh Whannell meldet sich zum vierten Mal zurück und packt ein paar Wendungen ein, die die Angelegenheit frisch halten. Da wäre zum einen ein menschlicher Antagonist, der in einer gelungenen Suspensesequenz zur Lebensgefahr für unsere Protagonisten wird, aber auch ein Verwirrspiel um einen Geist, der vielleicht keiner ist. Beides fügt sich organisch in die Reihe ein und gerade die zweite Idee baut clever auf dem Zeitebenenspiel des zweiten Teils auf. Was zu einem Standardfilmchen hätte werden können, bleibt so zumindest halbwegs unvorhersehbar, selbst wenn andere Plottwists bereits in der Prologsequenz antelegraphiert werden.
Geheimwaffe des Franchise war bereits im ersten Teil Genreveteranin Lin Shaye („Nightmare – Mörderische Träume“) als Elise. Was in anderen Händen ein eindimensionaler Charakter hätte werden können, wird von ihr mit einer unbändigen Wärme gespielt, bei der es eine Freude ist zuzuschauen. Mit ihren mittlerweile 74 Jahren dürfte sie zudem ein Unikum in der modernen Filmlandschaft darstellen, es gibt wohl kein anderes Franchise, das an einer Frau im Rentenalter aufgehängt ist und man möchte sie fast als „Miss Marple des Horrors“ bezeichnen. Der Film macht sich ihr Alter auch zu nutze: Elise ist gezeichnet vom Leben; im wortwörtlichen sowie im übertragenen Sinne am Ende ihrer Reise angekommen, versucht sie ihre alten Dämonen zu besiegen, mit ihrer Vergangenheit abzuschließen und Frieden zu finden. Shaye weiß in diesen Szenen zu überzeugen und wechselt problemlos zwischen der Elise, die wir schon im ersten Teil kennengelernt haben, und der schwachen Elise, die ihren Weg wiederfinden muss. Leider wird das Drehbuch ihrer Darstellung nicht ganz gerecht, da der Konflikt mit ihrem entfremdeten Bruder zugunsten von Elises Nichten, die, wollte man zynisch sein, eingeführt werden, um das Franchise nach Lin Shayes Ausstieg am Laufen zu halten, zurücktritt. Das schmälert ihre Leistung aber natürlich nicht.
Inszeniert wurde der Film von Adam Robitel, der vorher nur bei „The Taking“ Regie geführt hat und sich ausgiebig bei James Wans erstem Teil bedient hat. Gerade einer dessen effektivsten Jump Scares (Kenner wissen Bescheid: Patrick Wilson und der Lipstick-Faced Demon) zitiert Robitel nicht ein-, sondern gleich zweimal. Jedoch muss man anerkennen, dass eines der Herzstücke, nämlich die Szene mit Elise im Lüftungsschacht, sehr gut inszeniert ist. In dieser Szene wird die Spannung effektiv aufgebaut und dauerhaft aufrechterhalten. Robitel baut dort immer wieder zu einem Jump Scare auf, nur um ihn dann entgegen der Zuschauererwartungen nicht stattfinden zu lassen. Erst wenn der Zuschauer wirklich nicht mehr warten kann, lässt er die Falle zuschnappen. Das ist wirkungsreich und beweist ein Gespür dafür, was den ersten Teil so besonders gemacht hat.
Interessant ist der Film aber aus einem anderen Grund, denn „The Last Key“ ist ein Film über sexualisierte Gewalt, ohne solche zu enthalten. Deutlich wird das an KeyFace, dem Hauptantagonisten des Films. Dieser sieht aus, als hätte Guillermo del Toro Freddie Krueger designt (und der Film spielt explizit auf die „Nightmare“-Reihe an) und hat es hauptsächlich auf Frauen abgesehen. So manipuliert er Männer, um Frauen zu verschleppen, im Keller anzuketten und irgendwann umzubringen. Was den Frauen in ihrem Martyrium, das in einem Fall vier Monate andauert, zwischenzeitlich geschieht, lässt der Film zwar im Dunkeln, aber man muss nur in die Nachrichten schauen, um die Intentionen der Macher zu verstehen. Offensichtlicher wird das Ganze aber, wenn KeyFace sich entscheidet, nicht mehr auf seine Schergen zurückzugreifen, und seine Ziele selber anzugreifen. Denn dann wirft er sie zu Boden, dringt mit seinen Schlüsselfingern in sie ein und nimmt ihnen erst die Stimme und dann das Herz. Es ist nicht schwer, hier gedanklich die Brücke zu den durch Gewalt ausgelösten Traumata zu schlagen. Das ist, gerade für den vierten Teil einer Reihe, recht ambitioniert. Da verkraftet man dann auch den ein oder anderen schlechten Witz...