
Bewertung: 4 / 5
John Wick ist ... war eine Legende. Ein Name, der Symbolkraft trug. Für die Figuren, die ihn benannten, für die Filme, deren Titel er bildete. Unterteilt in vier Kapitel, von denen das letzte, "John Wick: Kapitel 4", auch das beste ist. Jenes, das seinen Protagonisten zu Grabe trägt.
Denn daraus macht der Film erst gar keinen Hehl. Der Ton ist ruhiger, melancholischer. Sterben ist plötzlich ein zentrales Thema. Begannen Teil 2 und Teil 3 noch mit lebendigen Großstadtpanoramen zur Nacht, so erleuchtet die Shots über New York in Kapitel 4 ein Sonnenuntergang. Ja, es geht zu Ende mit John Wick; er weiß das, die Figuren wissen das. Freimütig prophezeit ihm der Älteste sein Schicksal:
"Die einzige Möglichkeit für John Wick, Freiheit oder Frieden zu finden, ob jetzt oder in der Zukunft, ist durch den Tod."
Entsprechend gibt er den Ehering nicht zurück, an welchen und wofür dieser steht in Teil 3 noch Johns Lebenssinn geknüpft wurde. Der schwarze Mann, Sinnbild des Todes - ein Stilmittel, mit dem man auch in Teil 4 wieder spielt, wenn John, einem Sensenmann gleich, in schwarzer Kleidung auf schwarzem Pferd auszieht, um den Ältesten und dessen Männer zu töten - geht in seine eigene Falle. Er möchte neben seiner Frau beerdigt werden, "John, liebender Ehemann" soll auf dem Grabstein stehen.
Und er sehnt sich danach. Keanu Reeves mimisches Schauspiel, das seiner Figur ständig Abscheu vor sich selbst verleiht, spricht von Reue. Wieder und wieder wird John Wick mit der Konsequenz seiner Taten konfrontiert:
"John Wick [...] ist nur ein Geist, der nach einem Friedhof sucht."
Die sinnliche Inszenierung seines Todes wirkt demnach wie eine Erlösung. Warme Farben, eine träumerische Atmosphäre, eine letzte Erinnerung an seine Frau. Teil 4 endet, wo Teil 1 begann; ein Zirkelschluss über vier Filme hinweg. John Wick ist am Ziel.
In dem Sinne weiß man mit der Titelfigur, mit dem Mythos um diese, endlich wieder etwas anzufangen. Ereignisse, Handlungen, Tode - was passiert, steht auf mehreren Ebenen mit Keanu Reeves in Verbindung. Narrativ, wenn der Antagonist danach trachtet, nicht nur John Wick, sondern auch die Idee hinter ihm auszulöschen und dafür hunderte Leichen in Kauf nimmt, und bildlich, wenn John schweigend auf seine Schuld am Tod eines langjährigen Freundes reagieren muss.
So beginnt die erste große Actionszene wegen, aber nicht mit John Wick, während der Film ganz gezielt seine Vorbilder referenziert. Asiatischer Material Arts, klassische Western, ein visueller Verweis auf den legendären Sonnenaufgang aus "Lawrence of Arabia". Man charakterisiert Figuren über ihre Rolle im Großen und Ganzen. Der Name des Trackers erinnert nicht umsonst an den berühmten Western "My Name is Nobody"; entsprechend genretypisch fällt seine erste Begegnung mit John aus. Und auch dieser driftet mit einem Auto um Gegner, als würde er mit einem Pferd um ein paar Gangster reiten, und liefert sich im Finale ein westernartiges Duell.
Seien es die Musik, der Spannungsaufbau oder die drei Protagonisten, welche einander immer wieder sowohl bekämpfen als auch helfen - all das erinnert deutlich an "The Good, the Bad and the Ugly". Insbesondere die brodelnde Stimmung, die sich vor jeder Actionszene breit macht und die während des Pokerspieles und in der Kirche ihren inszenatorischen Höhepunkt erreicht, vermag den darauffolgenden Konfrontationen trotz deren Länge für Westernduelle typische Wucht zu verleihen.
Doch was die Action wirklich trägt, ist ihre audiovisuelle Perfektion. Die Motive, an denen man sich schon in den Teilen zuvor immer wirkungsvoller versucht hat, erreichen in "John Wick: Kapitel 4" ihr wortwörtliches Endlevel. Der Abschlussball nach neun Jahren Tanztraining. Und für den Film ist Action ein Tanz.
Nicht überraschend, wenn man sich mit den Vorgängern auseinandergesetzt hat; auch in Teil 4 bereitet eine Ballettszene einen Kampf vor, in welchem sich die Kontrahenten inmitten tanzender Partygäste verlieren. Eine Disco als Schauplatz aufwendig choreografierter Action - für "John Wick: Kapitel 4" liegt die Ästhetik in der Bewegung. Ganz dem Medium entsprechend: Film definiert sich niemals über einzelne Bildern, sondern entsteht immer aus der Wechselwirkung unzählbar vieler Aufnahmen. Und so zieht das Werk genau daraus seine Dynamik, passt Messerstiche seinem Soundtrack an und kreiert Musik aus Kampfgeräuschen; lässt bunte Farben durch fallendes Wasser funkeln und jagt Autos zwischen Widersachern hin und her.
Es ist jedoch die Konsequenz, in der man die anderen Filme übertrumpfen kann. Mehr noch als Teil 3 gibt sich Kapitel 4 ganz bewusst als Film zu erkennen: Jeder Unrealismus, jede gebrochene physikalische Regel wird in Kauf genommen, um die spektakulärste Choreografie zu verfilmen. Gegner, die man längst für tot hätte erklären können, stehen wieder auf und verlängern den Tanz um eine weitere Drehung. Sie laufen erst dann ins Bild, wenn die Kamera ihnen Aufmerksamkeit schenken kann - sie sollen John Wick nicht gefährlich werden, sondern Anlass für Akrobatik bieten. Action ist für "John Wick: Kapitel 4" weniger ein Mittel zur Konfliktlösung als viel mehr zentrales Element; filmischer kann Kampf kaum sein.
Wände werden als Kulissen enttarnt, die Kamera kreist mit John um dessen Kontrahenten. Er kämpft sich eine Treppe hinauf, stürzt die 237 Stufen hinab und muss von vorn beginnen. Wie der Film als solcher preisgegeben wird, so adressiert Ian McShane seine Ästhetik: "Was für ein bildschöner Sonnenaufgang."
Und plötzlich wird die Kamera statisch. Die überzogene, bisweilen humoristischen Action weicht einem ruhigen Finale. Weicht Emotionalität. In stillen Szenen geben Tiefenschärfe und Raumgestaltung den Ton an. Der Fokus verschiebt sich mit den Blicken und Bewegungen der Figuren, auch wenn nur geredet wird, bleibt das Bild lebendig. Was in der Unschärfe versinkt, verliert nie sein Profil. Zu perfekt gestaltet ist "John Wick: Kapitel 4".
Demnach ist es nicht zu viel gesagt, wenn man feststellt, dass mit John Wicks Tod eine Ära endet. Es wird dauern, bis ein Actionfilm jemals wieder an die Ästhetik der Reihe heranreichen wird. Schon weil das maßgebende Bewusstsein die Filme sowohl vom üblich zerschnittenen amerikanischen Actionkino als auch vom physischen Anspruch asiatischer Material-Arts-Filme unterscheidet. Sicher ist jedoch, dass die meisten Genrekollegen vor allem von "John Wick: Kapitel 4" noch viel lernen können.
8 von 10 Enten.
Trailer zu John Wick - Kapitel 4
