Bewertung: 4 / 5
Plakate von Superheldenfilmen pflastern heute geradezu die Kinowände. Als zu Beginn des 3. Jahrtausends Bryan Singers X-Men-Filme und Sam Raimis Spider-Man-Trilogie bombastisch einschlugen, war das noch nicht so. Doch schnell entwickelte sich ein regelrechter Superhelden-Boom und spätestens seit dem Beginn des Marvel Cinematic Universe 2008 mit Iron Man, werden immer mehr und mehr Superhelden-Comic-Verfilmungen auf den Markt geworfen. 2010 produzierte Matthew Vaughn dann Kick-Ass, der mit so ziemlich allen Genrekonventionen brach und von Kritikern und Fans gleichermaßen gefeiert wurde.
Der Highschool-Schüler Dave Lizewski (Aaron Taylor-Johnson) hat sein langweiliges Leben satt. Er möchte ein Superheld sein und unter dem Namen Kick-Ass Verbrechen bekämpfen ohne irgendeine Superkraft, nur ausgestattet mit seinem Gerechtigkeitssinn. Unterdessen bildet Big Daddy (Nicolas Cage) seine 11-jährige Tochter Hit-Girl (Chloe Grace Moretz) aus, um eine Rechnung mit Mafiaboss Frank D’Amico (Mark Strong) zu begleichen, dessen Sohn Chris (Christopher Mintz-Plasse) unbedingt in das Familiengeschäft einsteigen möchte.
Trailer zu Kick-Ass
Regisseur Matthew Vaughn wartet den Zuschauern in Kick-Ass mit einer sehr stylishen und detailverliebten Produktion auf. So wird die Comicvorlage und dessen Produktdesign bis aufs Blut ausgereizt und der Zuschauer kann sich wirklich in die Comicseiten hineinversetzen. Immer wieder sticht die quietschbunte Farboptik ins Auge, die schon bei den Kostümen der Helden anfängt und sich bis auf die Wandbemalung der Pizzeria im Hintergrund erstreckt. Aber auch sonst bewegt sich der Film technisch auf ganz hohem Niveau. Das CGI, das im Endeffekt aus Kostengründen viel häufiger verwendet wurde, als es am Anfang der Produktion vorgesehen war, hält sich auch sehr im Hintergrund, was den Film gelungen erdet. Von dieser Erdung lebt der Film; der Anspruch des Filmes an sich selbst verlangt diese Erdung, denn er zeigt dem Zuschauer, wie die heutige Gesellschaft Real-Life-Superhelden annehmen bzw. verarbeiten würde. Diese Entwicklung ist durchwegs nachvollziehbar dargestellt und der Zuschauer erkennt die Realität wieder, in der er heute lebt. Dafür fädelt der Regisseur viele Popkulturreferenzen ein (Kick-Ass‘ MySpace-Account, Verbreitung des Videos über YouTube, usw.).
Natürlich wird in der Superheldensatire der Vergleich mit den „normalen“ Superheldenfilmen gezogen. Ironischerweise karikiert der Film den Standard-Superhelden an beiden Enden des Superheldenspektrums. Auf der einen Seite haben wir Kick-Ass, der im Grunde genommen nichts kann, nur von seinem Durchhaltevermögen lebt und keinerlei Kampf-Grundausbildung hat. Dieser gibt die lächerliche Karikatur. Doch auf der anderen Seite stehen Hit-Girl und Big Daddy, die soziopathischen Kampfmaschinen mit psychopathischem Anstrich. Die brutale Karikatur, die sich selbst über alles Andere stellt. Die Essenz dieser Darstellung – nämlich, dass es den glorifizierten Vorzeigehelden à la Superman nie geben kann – soll den Zuschauer zum Nachdenken anregen. Doch um etwas Distanz zu dieser Erkenntnis zu wahren, pumpt Vaughn den Film mit jeder Menge Slapstickeinlagen voll. Der Film kann sich selber gar nicht ernst nehmen, wenn er seinen eigenen Prinzipien treu bleiben will, so spiegelt der Einsatz von völlig lächerlich unmöglichen Kampftechniken und Waffen wider, dass der Film keineswegs für bare Münze genommen werden kann und will. Er soll das Publikum nur mit einem Gedankenanstoß zurücklassen. So schön ausgefeilt nun also die Heldenseite ist, so unausgereift scheint die Schurkenseite.
Alleine das Muster Held vs. Oberschurke wirkt in Kick-Ass fehl am Platz, zu sehr wirbelt er die Genrekonventionen durcheinander. Dazu kommt das Klischeemuster der Rache. Wurde es bei der Ursprungsgeschichte von Kick-Ass gut umgangen, spielt es schon bei Big Daddy / Hit-Girl eine große Rolle, doch bei Mafiaboss Frank D’Amico eine noch groteskere. So lässt er sich viel zu häufig von seinen (Rache-)Impulsen leiten – man fragt sich, wie er bei solch fehlender Strategie überhaupt derart mächtig werden konnte – und trifft einfach unnachvollziehbare Entscheidungen. Wenn ein Superheldenfilm nur so gut sein kann, wie sein Schurke – und da haben wir schon wieder dieses Klischee – dann kann Kick-Ass es leider nicht aus dem Mittelmaß herausschaffen.
Doch der Film liefert neben seiner Superhelden-Story noch einen tollen Coming-of-Age-Film ab, denn das, was sich neben dem Superhelden-Handlungsfaden abspielt (Highschool, die erste Liebe, usw.) macht Kick-Ass erst zu einem ganz besonderen Superheldenfilm. Das, was Marc Webb und Sam Raimi mit ihren Spider-Man-Filmen gar nicht bzw. nur bedingt schafften, liefert Vaughn hier mit Bravur ab. Die jugendliche Motivation zu einem aufregenden Leben oder das Mädchen mit der eigenen Superhelden-Identität zu beeindrucken, nimmt man Aaron Taylor-Johnson nicht zuletzt wegen seines brillanten, verschmitzten Schauspiels ab, sondern auch einfach, weil das Drehbuch passt. Kick-Ass ist ein genialer Coming-of-Age-Film im Spiegel der Ereignisse eines Superheldenlebens. Ähnliches könnte uns nächstes Jahr in Marvels Spiderman: Homecoming erwarten.
Doch krankt das Drehbuch an einigen, wenigen Ecken. So vereinfacht es die Mafiastrukturen D’Amicos enorm und macht aus ebendiesem einen impulsgesteuerten, ziemlich primitiven Antagonisten, dem es nichts ausmacht, Leute auf offener Straße zu erschießen oder dort über seine Drogengeschäfte zu reden.
Dennoch holt Mark Strong aus seinem Charakter durch seine starke Darstellung viel heraus. Und auch der Rest des Casts macht seine Sache sehr gut, angefangen mit Kick-Ass Aaron Taylor-Johnson, der ab und zu seine Figur mit ein wenig Overacting interpretiert, was jedoch äußerst passend und stilsicher ist. Doch auch seine Körpersprache passt seiner Rolle wie angegossen. Er spielt keineswegs den Bauch-rein-Brust-raus-Quarterback des Highschool-Footballteams, sondern stellt einen ganz normalen Teenager dar, mit dem sich jeder identifizieren kann. Aber auch Nicolas Cage (Big Daddy) und Chloe Grace Moretz (Hit-Girl) spielen ihre nahezu obsessiven Rollen mit Brillanz und haben viele Sympathien auf ihrer Seite. Lobenswert ist hier auch Moretz‘ physische Leistung hervorzuheben, die als Vorbereitung zu den Dreharbeiten den Umgang mit ihren Filmwaffen lernte. Auch Christopher Mintz-Plasse (Chris) gelingt eine überzeugende Darstellung seiner Rolle als Loser, der nach der Aufmerksamkeit seines arbeitsamen Vaters lechzt.
Die Schauspielerleistung – gerade in den Kämpfen – wird von der ebenso genialen Kameraleistung ebenbürtig eingefangen. Diese ist recht funktional und hält sich in den Actionszenen sehr mit der lästigen shaky cam zurück, was ein angenehmes Zuschauen ermöglicht und einem guten Film eine gute Darstellung ermöglicht.
Kick-Ass hat den Nerv einer Generation getroffen, die sich noch in 30 Jahren an diesem Film erfreuen wird. Abzuwarten bleibt, was kommende Generationen zu ihm sagen werden, zu sehr baut der Film wohl doch auf die recht exklusive Popkultur einiger Jahre. Doch für uns wird der Film ein Klassiker werden und uns nicht zuletzt an die Jahre des Superheldenbooms erinnern.
Ich gebe dem Film 8,5/10 Hüten (mit Tendenz zur 8), weil er durch die erfrischende Heldenstory und die geniale Coming-of-Age-Schiene die schwache Schurkendarstellung nicht ganz wettmachen kann.
Hier habe ich Kick-Ass 2 rezensiert. Werft doch mal ein Blick drauf!
