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Monsieur Lazhar

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Für das Leben lernen sie

Monsieur Lazhar Kritik

Monsieur Lazhar Kritik
0 Kommentare - 07.04.2012 von FBW
Hierbei handelt es sich um eine Kritik der Deutschen Film- und Medienbewertung (FBW).

Bewertung: 5 / 5

Was hat der Selbstmord der Lehrerin, die sich ausgerechnet im Klassenzimmer erhängt, zu bedeuten? Gibt sie ihrer Grundschulklasse am Ende die Schuld an ihrem traurigen Leben? Verweist sie mit dem öffentlichen Tod auf Missstände im Schulleben oder auf eine verrohte Welt? - Der 2012 für den Oscar nominierte und bei mehreren internationalen Filmfestivals (Locarno, Rotterdam) mit Publikumspreisen gekürte frankokanadische Spielfilm Monsieur Lazhar beantwortet diese Frage nicht. Sie ist nur ein Aspekt unter vielen. Gezeigt wird, zurückhaltend und verständnisvoll der Reifeprozess einer Schulklasse - vom Tod der Lehrerin bis zur Akzeptanz des neuen Lehrers. Es ist zugleich der Weg aus der Kindheit zum Erwachsenwerden.

Simon (Emilien Néron), der immer die Schulmilch holt, entdeckt die tote Lehrerin eines Morgens am Fensterkreuz, er fühlt sich zutiefst betroffen: Gilt das schreckliche Zeichen wohl ihm? Aber auch Alice (Sophie Nélisse) kommt mit dem Tod ihrer Lehrerin nicht zurecht. Schließlich hatte sie ihre Lehrerin ganz besonders gemocht, ja sie vielleicht sogar idealisiert.

Eigentlich will die Direktorin der Grundschule möglichst zügig zum Schulalltag übergehen. Eilends wird ein neuer Lehrer gesucht, ein neuer Wandanstrich soll ein Übriges leisten. Und wer will in die Fußstapfen einer freiwillig aus dem Leben geschiedenen Lehrerin treten?

Gut, dass es da mit Herrn Bachir Lazhar einen algerischen Immigranten gibt, der sich in Kanada um politisches Asyl bemüht. Aus Algerien ist er vor Terroristen geflohen, die seine Frau, eine Schriftstellerin und Kinder ermordet haben. "In Algerien ist nichts normal" wird er irgendwann vor der Einwanderungskommission sagen. Vor der Direktorin kann er immerhin eine 19-jährige Erfrahrung als Lehrer anführen, ob er nun sein neues Land so ganz genau kennt oder nicht.

Bachir ist also genau so wie seine neue Schulklasse traumatisiert, auch er hat an seinen Erfahrungen schwer zu tragen. Dass aber aus diesen traurigen Erlebnissen keine Tragödie voller Pathos und Vorwürfen wird, sondern eben "nur" eine Tragikomödie, die viel Weisheit und Humor zulässt, ist die Stärke des Films. Erstaunlich: Wenige Jahre nach dem Cannes-Preisträger Die Klasse (Entre les murs, 2008) überzeugt schon wieder ein französischsprachiger Film aus der Schule voll und ganz. Die Poesie kommt auf leisen Sohlen daher, das Spiel der etwa zwölfjährigen Kinder ist schlechthin perfekt, ohne je aufdringlich zu wirken - zweifellos ein Verdienst des Regisseurs Philippe Falardeau, der in seinem vierten Spielfilm den sensiblen Umgang mit jungen Darstellern beweist.

Dass der Film nach einem Theaterstück von Evelyne de la Chenelière entstanden ist, merkt man ihm kaum an, so sehr hat er die Nähe zu seinen Protagonisten gesucht und gefunden. Kein Wort ist zu viel, und die Bilder sprechen jederzeit eine poetische Sprache - egal, ob sie nun das zunehmend belebtere Klassenzimmer oder den verschneiten Montrealer Schulhof zeigen. Der Lehrer selbst ist ohnehin eine Wucht: Der algerischstämmige Comedian und Autor Mohamed Fellag spielt ihn als geborenen Pädagogen, als einen Lehrer, der Autorität und Empathie zeigt, ohne sich je anzubiedern. So schwebt er einem verzaubernden Schlussbild entgegen, einem Tanz aus seiner Heimat Algerien, in dem er die Arme hebt und die Hüften biegt - ganz jener Schmetterlingspuppe ("Chrysalide") gleich, von der er die Kinder im Gedicht rezitieren lässt.

Der ganze Film ist, trotz Balzac-Diktat und Klassiker-Gebimse, eine einzige Beschwörung einer besseren Schule, eine Lebensutopie. Wieder einmal kommt der alte Lateiner-Spruch: "Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir" voll und ganz zu seinem Recht.

Monsieur Lazhar bekommt 5 von 5 Hüten.


(Quelle: teleschau - der mediendienst | Wilfried Geldner)

Monsieur Lazhar Bewertung
Bewertung des Films
1010

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