Bewertung: 2 / 5
Nachdem sich Staffel 2 bereits als größer angelegtes Quasi-Remake von Staffel 1 entpuppte, hätte "Stranger Things" in Staffel 3 dringend eine inhaltliche Frischzellenkur nötig gehabt. Das ist leider nicht eingetreten.
Böse Wissenschaftler öffnen einen Dimensionsspalt, ein Monster tritt über, Will wird befallen und Hopper, Joyce, die Teenager und insbesondere Eleven müssen die Wissenschaftler und die Monster aufhalten. Zwar in abgewandelter Form, aber das hat man eben bereits zweimal gesehen. Zudem fehlt der Staffel im Bezug auf den Mystery- und Monster-Plot die Dringlichkeit und das gewisse Etwas, bis zur fünften Episode bleibt es auf dem Niveau einer Exposition, erst ab Episode 6 nehmen Plot und Spannung Fahrt auf. Mit der achten Episode erhält die Staffel schließlich ein gutes und emotionales Finale, welches auch perfekt als Serienfinale hätte dienen können. Beziehungsweise hätte besser dienen sollen, dann wäre Hoppers Tod oder Verschwinden vielleicht endgültiger ausgefallen und hätte eine noch emotionalere Wirkung gehabt.
Trailer zu Stranger Things
So fällt Hoppers Nicht-Tod an sich überdeutlich aus. Im Gegensatz zu den Russen wird nicht gezeigt, wie Hoppers Körper zerfetzt wird, die Kamera hält nochmal lange auf den sich langsam schließenden Dimensionsspalt und in der Post-Credit-Szene in Russland ist dann noch von einem gefangenen US-Amerikaner die Rede.
Die mangelnde Dringlingkeit führe ich unter Anderem darauf zurück, dass die Staffel teilweise zu viel Zeit verschwendet und die verschiedenen Handlungsstränge nicht gut aufeinander abgestimmt sind. Einerseits die Erwachsenen und die Russen, andererseits die Teenager und die Russen, einen der Handlungsstränge hätte man im Prinzip auch weglassen können, das Endergebnis wäre das Gleiche gewesen. Und dann speziell der Hopper-Joyce-Plot... Erst müssen sie sich mit dem Terminator-Russen auseinandersetzen, die Rekreierung der "Terminator"-Szenen sollen klar eine Hommage sein, erwecken aber viel mehr den Eindruck einer trashigen Parodie. Danach folgt dann der "humoristische" Part mit dem Russen Alexei, der kein Englisch kann, der Wanderung durch den Wald und mit dem paranoiden Weirdo Murray, der Angst vor Russen hat. Das alles führt nirgendwo hin, warum kann der Russe eigentlich kein Englisch? Wenn ich undercover im Feindesgebiet arbeite, sollte das doch Grundvoraussetzung sein. Episode 6 hatte seine speziellen fünf Minuten aufgrund dieses dämlichen Kirsch-Shakes... Inhaltlich ohne Mehrwert, manche mögen das durchaus witzig finden, meinen Humor trifft es aber nicht.
Als Murray in der siebsten Episode Joyce und Hopper über deren Gefühle füreinander aufklärte und sich danach mit Alexei den Arsch ablachte, weil Joyce und Hopper kindisch drumherum tanzen, obwohl es offentlich ist, das fand ich schon ziemlich witzig. Dramaturgisch toll auch, dass Murray nun seine Angst und Vorurteile gegenüber Russen wie Alexei abbauen konnte - und dafür prompt mit einem Schlag in die Magengrube bezahlt. Der Tod von Alexei.
Die ersten drei Episoden sind geprägt von merkwürdigen, unpassenden Charakterwandeln und übertriebenen Überzeichnungen, "Stranger Things" verkommt hier zu einer unfreiwilligen - aber immens komischen - Selbstparodie.
Jim Hopper fällt dabei am Denkwürdigsten aus. Ein grummelnder, weinerlicher, selbstgerechter und cholerischer Vater, der seine Tochter Eleven vor dem bösen Geknutsche mit ihrem Freund Mike beschützen möchte (den er schon dessen ganzes Leben lang kennt), dabei kein Klischee dieser Figurentrope auslässt und Mike gegen Ende der ersten Episode einen haarsträubenden Vortrag hält. In der zweiten Episode frisst er grinsend sein Müsli, weil Eleven wegen Mikes Verhalten verwirrt und verletzt ist und singt danach im Auto "Don´t mess around with Jim" :D Bemerkenswert ist ebenfalls die Tatsache, dass Hopper zu Beginn der ersten Episode im Sessel sitzend so inszeniert wird, als sei er der Antagonist in einem B-Movie-Slasher.
Steve Harrington hat sich vom Frauenschwarm zu einem sozial unbeholfenen Freak gewandelt, der nicht mit Frauen reden kann, woraus sich dann allerdings eine sympathische und ruhig aufgebaute Beziehung zwischen Steve und Robin entwickelt, diese Beziehung gefällt mir innerhalb der Staffel am Besten. Am Ende kommen Steve und Robin wider Erwarten leider nicht zusammen, weil sich Robin als lesbisch outet, aber hey, damit müssen auch Heteros lernen umzugehen. Homosexuellen geschieht das weitaus häufiger^^
Das hier jemand zufällig die Coming-of-Age-Serie "Everything Sucks!" gesehen? <3
Weezer - Pink Triangle
Nancy Wheelers sexistische Arbeitskollegen verhalten sich so offensichtlich und überzeichnet sexistisch, dass es einfach nur albern wirkt. Der Sexismus-Subplot ist auch tatsächlich nur auf Nancy zugeschnitten, von den anderen Frauen, die bei der Hawkins Post arbeiten, und wie mit diesen umgegangen wird, sieht man nämlich überhaupt nichts. Da hätten die Duffer-Brüder einen komplexeren und strukturelleren Konflikt schreiben können, wenn sie gewollt hätten.
In Episode 5 erhält der Sexismus-Subplot aber doch noch Substanz und Tiefe, dafür müssen nichtmal die Aktionen der sexistischen Männer gezeigt werden, das Wissen um deren Existenz reicht schon aus. Nancy wird gefeuert, weil sie sich über die Anweisungen ihres Chefs hinweggesetzt hat und sich ihre Story anscheinend als heiße Luft herausstellt, deswegen befindet sie sich nun in einem inneren Zwiespalt. Verfolgt sie die Story weiter, öffnet sie sich und macht sich angreifbar, lässt sie es bleiben, ist sie zwar auf der sicheren Seite, bestätigt gleichzeitig aber das Bild als dumme und inkompetente Frau, welches die Männer von ihr haben. Nach einem aufbauenden Gespräch mit ihrer Mutter Karen über das harte Leben, eine missgönnende Gesellschaft sowie den Lohn des Aufstehens und Kämpfens entschließt sich Nancy für Ersteres. Ein bedeutungsschweres Gespräch, da sich Karen Wheeler in den Episoden zuvor gegen eine Affäre mit Billy und für ihre Familie entschieden hat. Nun ist sie für ihre Tochter Nancy da. Solche Charaktermomente sind es, für die ich "Stranger Things" liebe und für die ich die Serie trotz diverser Schwächen in den Fortsetzungsstaffeln bis zum Ende weiterschauen werde.
Toll fand ich auch die Mall-Szene in Episode 2 mit Eleven und Max, einfach mal unbefangen und ungezwungen Spaß haben und Quatsch machen. Bemerkenswert und interessant, dass "Stranger Things" als 80er-Retroserie mit dem Episodentitel "The Mall Rats" auf Kevin Smiths 90er-Film "Mallrats" anspielen könnte.
Will Byers ist für mich der interessanteste und spannendste Charakter der Staffel. Zu Beginn möchte er einfach nur eine Partie Dungeons and Dragons spielen, während sich Mike, Lucas und Dustin nur um ihre Freudinnen scheren. Egal, ob er nun homosexuell, asexuell oder ein pubertärer Late Bloomer ist oder ob er aufgrund seiner Erlebnisse im Upside Down an psychisch-traumatischen Störungen leidet, die ihn in der Kindheit festhalten, Will kann einem hier nur leid tun. Sein innerer Konflikt bezogen auf die Angst, seine Freunde an deren Freundinnen zu verlieren sowie erwachsen zu werden, wird in Episode 3 weiter vorangetrieben und entlädt sich erstmals in einem heftigen Streit mit Mike und Lucas. Dies und sein emotionaler Zusammenbruch inklusive der Zerstörung von Byers Castle gingen mir schon sehr nahe. Als Teenager hatte ich ebenfalls Angst davor, dass ich von meinen Freunden abgehängt werden könnte und sie dann nur noch Zeit für ihre Partnerinnen hätten, ich kann mich da also sehr gut mit Will identifizieren.
Fazit: Wie ich schon geschrieben habe, für die Charaktermomente liebe ich "Stranger Things" und werde die Serie deshalb trotz diverser Schwächen in den Fortsetzungsstaffeln bis zum Ende weiterschauen. Auch für die Schauspieler, insbesondere wegen der großartigen Winona Ryder als sympathische, liebenswürdige und verspielte Joyce Byers. Große Hoffnungen auf eine qualitativ hochwertige Staffel 4 hege ich zwar nicht (mehr), aber die Post-Credit-Szene deutet zumindest schonmal auf ein neues Setting in Russland hin. Also heißt es mal wieder: Abwarten.