Bewertung: 3 / 5
Ich weiß gerade ehrlich gesagt nicht, wo ich diesen Kommentar am besten posten soll, um den Gesamteindruck größtmöglich zu erweitern. Hier? Im Zuletzt gesehen Thread? Unter den Kritiken von Moviejones, ZSSnake oder eli4s? Die Diskussionen zu "The Accountant" hier im Forum haben so viele Baustellen, wie der eigentliche Film selbst. Meine Meinung deckt sich mit jener von sid und positioniert sich zwischen der von Moviejones/ZSSnake und von eli4s. Daher werde ich jetzt auch nicht allzu viel schreiben, denn das meiste wurde schon gesagt.
Edit: "Nicht allzu viel schreiben"... welch Ironie! :D
In den ersten 80-90 Minuten ist "The Accountant" eine ruhig und spannend erzählte Mischung aus Autismusdrama und Finanz-/Rachethriller mit dezent eingesetzten, aber brachialen Actionszenen. Wenn Krankheiten von der Gesellschaft bzw. den eigenen Eltern nicht ernstgenommen und stattdessen mit reaktionären "Heilmethoden" therapiert werden, sollte man sich nicht wundern, dass die entsprechenden Personen irgendwann auf die schiefe Bahn geraten. Der Autist Christian Wolff verfügt über eine mathematisch-analytische Inselbegabung und kennt sich mit Buchhaltung ebenso gut aus wie mit Waffen und Kampfkünsten. Er versteht keine Ironie, keinen Sarkasmus, hat Empathieprobleme und kann keine langfristigen Beziehungen zu Menschen aufbauen, auch wenn er es gerne würde. Ben Affleck wurde diese Rolle quasi auf den Leib geschrieben, mit seinem stoischen Spiel und seinen Anflügen eines Lächelns brilliert er in der Rolle und wirkt vollkommen glaubwürdig. Das Drehbuch vermag es sogar, aus der Autismus-Thematik mehrere schwarzhumorige Witze herauszukitzeln.
Trailer zu The Accountant
Seine Filmpartnerin wurde mit der liebenswürdigen Anna Kendrick besetzt, die zu Beginn noch verwirrt auf Wolffs Autismusstörung reagiert, schließlich aber einen Seelenverwandten in ihm entdeckt. Mit so viel emotionaler Nähe ist Wolff zwar überfordert, nichtsdestotrotz entschließt er sich dazu, sein Leben und seine Sicherheit für sie aufs Spiel zu setzen. Bedroht werden die beiden vom redegewandten und eiskalten Auftragskiller Jon Bernthal, den ich am liebsten sofort in das DCEU importieren würde, was ich dank seiner MCU-Beteiligung aber leider vergessen kann. In weiteren Nebenrollen sehen wir J.K. Simmons als Steuerfahnder des Finanzministeriums auf der Suche nach Wolff und John Lithgow als Boss der Firma, deren Finanzen von Wolff überprüft werden. Dieser unterliegt einem Drang nach abgeschlossenen Aufgaben, welcher hier hart auf die Probe gestellt wird, und Wolff zum Äußersten treibt.
- "Und Sie sind Buchhalter?"
- "Halbtags."
Wie oben erwähnt, folgt die Handlung in den ersten 80-90 Minuten einem ruhigen Erzählstil. An manchen Stellen werden Flashbacks zur Beleuchtung von Wolffs Charakter eingefügt, dies geschieht aber sinnvoll und nachvollziehbar, das Gesamtbild der Handlung bleibt stringent. Was dem perfekten Filmerlebnis jetzt noch fehlt, ist eine Auflösung, die alle offenen Handlungsstränge miteinander verknüpft. Nun, diese Auflösung entpuppt sich meiner Meinung nach als totales Fiasko. Innerhalb kürzester Zeit hetzt Regisseur O´Connor durch die Handlungsgegenwart und mehrere Flashbacks, erzählt irgendetwas über Geldveruntreuung, Aktien, Börsenspekulationen, einem Typen im Gefängnis, der Mafia und einer Schlägerei auf einer Beerdigung. Mein Kopf schwirrte danach voller Fragezeichen und ich hatte überhaupt keine Ahnung mehr, was hier überhaupt Sache war. Mit Hilfe des Wikipedia-Artikels konnte ich Vieles davon mittlerweile aufdröseln, Manches ergibt für mich aber weiterhin keinen Sinn oder wird nur unzureichend erklärt. Des Weiteren endet der finale Showdown wie finde ich in einem ziemlich platten Twist (so much Drama!) und auch der Handlungsstrang über J.K. Simmons Finanzagent bleibt auf unbefriedigende Weise unvollständig.
Natürlich möchte ich "The Accountant" niemandem mies machen und ich würde ihn tatsächlich auch weiterempfehlen, aber für mich erhalten die hervorragenden ersten 80-90 Minuten (9-10/10 Punkten) zumindest nach der Erstsichtung einen gehörigen Dämpfer. Durch einen besseren Schnitt bzw. durch eine klügere Anordnung der Flashbackszenen hätte O´Connor die Handlung bedeutend verständlicher gestalten können. Aufgrunddessen ergibt sich schließlich eine Gesamtbewertung von 6-6,5/10 Punkten.
P.S.: Hier als Spoiler markiert die Fragen, welche ich mir nach dem Film immer noch stelle:
- Warum wird Wolff überhaupt für die Finanzkontrolle engagiert, wenn der Finanzbetrug doch gar nicht auffallen soll?
- In welcher genauen Beziehung stehen Wolff und Simmons Finanzagent King zueinander? Warum lässt Wolff dem Agenten Informationen über seine Arbeit zukommen?
- Warum enthält King seiner Mitarbeiterin Medina bewusst Informationen über Wolff vor? Die Audiodatei über den Gambinomord muss sie sich ja von ihren alten Kollegen besorgen.
- Was hat es mit diesem Finanztypen auf sich, den Jon Bernthal zu Beginn erpresst?