Bewertung: 4 / 5
500 Morgen Ackerland, 750 Dorfbewohner, 20 Parteimitglieder: Im Dorf "Dreiköpfiger Vogel" ist das Leben recht beschaulich. Die Leute sind Bauern oder arbeiten im Steinbruch. Fortschritt kennt man hier nur als Eintrag im Wörterbuch. Die Menschen sind abgekoppelt vom Aufstieg des Reiches der Mitte zur Weltwirtschaftsmacht Nummer eins. Wirklich viel passiert nicht in der chinesischen Provinz. Bis die Landarbeiterin Kwok Yun (Shi Ke) ein "leuchtendes Ding" sieht und ohnmächtig wird. Als sie aufwacht, wird alles anders: Ufo In Her Eyes zeigt Chinas Entwicklung der vergangenen 20 Jahre im Zeitraffer - als märchenhafte, enigmatische Parabel über das Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne.
Kwok Yun glaubt, ein Ufo gesehen haben, an diesem schicksalsträchtigen Nachmittag. Die vermeintlichen Besucher aus dem All bringen das Leben im Dorf gehörig durcheinander. Die Genossin Dorfvorsteherin setzt alle Hebel in Bewegung, um aus der Ufo-Sichtung Profit zu schlagen und aus dem verschlafenen Kaff eine pulsierende Metropole zu machen.
Es ist eine hübsch absurde Metapher, dieses Ufo. Dafür, dass von heute auf morgen der Westen - großartig: Udo Kier als singender US-Investor - Einzug hält und mit ihm der (vermeintliche) Fortschritt. Zunächst nur in Form von Ufo-Touristen, Misswahlen, Motivationsseminaren und knallbunter Werbe-Ästhetik. Doch dabei bleibt es nicht: Die Veränderungen sind tiefgreifend, sie entwurzeln die Menschen und berauben sie ihrer Lebensgrundlagen.
Inszeniert wurde der Film von Regisseurin Xiaolu Guo, die 2009 für She, A Chinese den Goldenen Leoparden in Locarno gewann, als groteske Tour de Force, die an die Filme Emir Kusturicas erinnert und mal Slapstick-Komödie ist, mal Sozialdrama, mal Pseudo-Dokumentation. Die bewusst vernachlässigte Stringenz in der Erzählweise macht den sprunghaften Film zu einem kurzweiligen, abwechslungsreichen Kaleidoskop, in dem es mit jeder neuen Einstellung etwas zu entdecken gibt.
Ufo In Her Eyes ist ein kluger Film über den Wandel der chinesischen Gesellschaft, über die Perspektiven, die Risiken und die Chancen. Hier kommen alle Menschen zu Wort, um die sich die Regierung in Peking nicht wirklich kümmert, die vom Aufstieg Chinas ausgeschlossen sind. Dass der Film im Reich der Mitte zensiert wurde und nicht gezeigt werden darf, verwundert da nicht wirklich.
Ufo In Her Eyes bekommt 4 von 5 Hüten.
(Quelle: teleschau - der mediendienst | Andreas Fischer)