Bewertung: 4.5 / 5
Robert Thalheims Filme sind gefühlt alle schwarz-weiß. Sie haben kaum Farben und erzählen von der Tristesse des Alltags. Auch Westwind macht da keine Ausnahme, basiert auf einer wahren Geschichte. Zwei Mädchen aus der DDR, Zwillinge, sind Leistungsträger im Rudern und dürfen mit 17 ihren ersten Urlaub im sozialistischen Ausland verbringen. In Ungarn lauert die Ablenkung, das Leben. Wie Thalheim da hinschaut, wo er scheinbar nur lapidar abbildet, ist eine Stärke, die er sich in der deutschen Kinolandschaft mit Andreas Dresen teilt. Das darf man als Ritterschlag verstehen.
Nachdem er 2005 mit seinem deprimierenden Berlin-Film Netto zutiefst verletzte, verbreitete auch der darauf folgende Am Ende kommen Touristen mit Alexander Fehling keinen großen Optimismus. Diesmal erzählt Thalheim eine deutsch-deutsche Geschichte in einem Zeltlager am Balaton. Zunächst undramatisch. Die Mädchen fahren in den Urlaub. Doreen (Friederike Becht) und Isabel (Luise Heyer) freuen sich auf ihre Chance zu trainieren, lehnen sich Arm in Arm johlend aus dem Zugfenster. Das ging in den Achtzigern noch.
Die beiden Mädchen sind so unschuldig wie neugierig. Dass Westdeutsche Unheil bedeuten könnten, können sie sich in ihrer Naivität nicht vorstellen, so sehr ihr Trainer das betont. Sie finden die beiden Hamburger Jungs Nico (Volker Bruch) und Arne (Volker Dinda) in ihrem VW Käfer ganz nett. Da kann man schon mal über den Zaun klettern, um, gestylt mit Ananassaft, in der ungarischen Disco einen flotten Abend zu verbringen. Doreen und Arne verlieben sich.
Die aufkeimenden Gefühle bringen das geordnete Leben der Leistungssportlerinnen durcheinander. Und nicht nur das. Bisher haben die Schwestern alles zusammen gemacht und nun sieht Isabel ihre Felle davon schwimmen, sieht sich erstmals von ihrer Schwester im Stich gelassen.
Einerseits ist Westwind entzückend nostalgisch mit gemäßigtem Pennälerhumor. Allen, die in den 80er-Jahren ihre Jugend hatten, jagt es Schauer über den Rücken ob der Ähnlichkeiten hüben wie drüben. Wie war das peinlich, damals.
Unvermittelt wird aus dem Abenteuer Ernst. Aus dem Spaß entsteht eine gefährliche Schnapsidee. Thalheims Beobachtungen kommen ohne dramaturgische Eingriffe aus. Er lässt den Zuschauer selbst beobachten. Kleinigkeiten verändern Leben. Meisterlich spannend der Schluss. Und wie viel man sagen kann, ohne es auszusprechen, das wissen nur Thalheim und Dresen.
Westwind bekommt 4,5 von 5 Hüten.
(Quelle: teleschau - der mediendienst | Claudia Nitsche)