Bewertung: 4.5 / 5
Herauszufinden, wer man ist und wohin man gehört, ist nicht leicht - besonders dann, wenn all das bislang scheinbar klar war. Diese Erfahrung muss Kattaka (Nina Monka) im feinfühligen Drama Wintertochter machen. Als sie durch Zufall erfährt, dass ihr Vater gar nicht ihr leiblicher Vater ist, begibt sie sich auf eine abenteuerliche Reise ins Ungewisse. Wie schon in seinem Kinodebüt Blöde Mütze! (2007) thematisiert Regisseur Johannes Schmid auch in Wintertochter einfühlsam familiäre Realitäten.
Denn mit der Situation, dass der anwesende Vater nicht der Erzeuger ist, müssen immer mehr Kinder klarkommen. Daher dürfte Kattaka für manche zur Identifikationsfigur werden: Das Mädchen ist stinksauer, als es ausgerechnet an Heiligabend gesagt bekommt, dass Vater Daniel (Maxim Mehmet) erst kurz nach der Geburt in das Leben von Mutter Margarete (Katharina Marie Schubert) trat. Die war zuvor mit dem russischen Mechaniker Alexej (Merab Ninidze) liiert, der inzwischen jedoch als Matrose auf Containerschiffen durch die Welt fährt.
Nina Monka spielt die starrsinnige, eigenwillige Kattaka überzeugend natürlich und scheinbar intuitiv - im Gegensatz zu ihrem jungen Co-Star Leon Seidel, der seinem Charakter Knäcke zu viel Übereifer und Nervigkeit verleiht. Dennoch ist Knäcke ein guter und vor allem treuer Kumpel: Als Kattaka mit der introvertierten Nachbarin Lene (Ursula Werner) in Richtung Polen aufbricht, um Alexej im Hafen von Stettin zu treffen, ist der quirlige Junge selbstverständlich mit von der Partie.
Die Reise der ungleichen Truppe führt durch die wildromantische polnische Winterlandschaft und zeigt noch unbekannte Seiten des Nachbarlandes. Das raue Klima steht im krassen Gegensatz zu den warmherzigen, hilfsbereiten Menschen, denen Kattaka und ihre Weggefährten begegnen. Durch diese Menschen gewinnt der Film trotz der melancholischen Geschichte eine ganz besondere, optimistische Atmosphäre. Die Figuren bleiben jedoch zunächst in ihren emotionalen Käfigen gefangen.
Während Kattaka ihren Eltern grollt und Knäcke in dem Roadtrip ein spitzenmäßiges Abenteuer sieht, kämpft Lene mit sich: Ihrer Bände sprechenden Mimik ist anzumerken, dass die wortkarge Frau eine schwere Bürde mit sich herumträgt - Dialoge könnten nicht vermitteln, was Ursula Werner durch ihr beeindruckendes Spiel mitteilt. Für Lene wird die Reise gen Osten schließlich zu einer Konfrontation mit ihrer lange verdrängten Vergangenheit, die in einem kleinen Ort in Masuren liegt.
Johannes Schmid, der Wintertochter bereits beim Filmfest München präsentierte, verknüpft Zeitgeschichte mit aktuellen Alltagsthemen. Er vermittelt beides durch zwei starke Charaktere, die einander im Laufe des Films immer mehr brauchen: Um zu verstehen, zu vergeben und trotz des immensen Altersunterschieds aneinander zu wachsen. Die warmherzige Beziehung, die sich allmählich und nur sehr vorsichtig zwischen Kattaka und Lene aufbaut, hilft den beiden, ihre Ängste in den Griff zu bekommen. Irgendwann wird Lenes Schicksal dasjenige, das fesselt und den Spannungsbogen aufrechterhält: Zu sehr will man wissen, welches Geheimnis diese verhärmte alte Frau über Jahrzehnte hinweg langsam zerstörte.
Wintertochter bekommt 4,5 von 5 Hüten.
(Quelle: teleschau - der mediendienst | Christina Freko)