Bewertung: 4 / 5
Wie schon sein spiritueller Vorgänger Get Out ist Wir auf eine schwer zu beschreibende Art verstörend, bleibt beim Zuschauer haften und regt zum Nachdenken an. Dabei ist der Film auf den ersten Blick nur ein gewöhnlicher Horrorfilm, mit einer interessanten, aber abgedrehten Idee und tollen Schauspielern. Begrüßenswert, aber nichts, was es auf den ersten Blick nicht auch so ab und zu gibt oder vieler Worte bedürfen würde. Auf den ersten Blick...
Wir Kritik
Adelaide (Lupita Nyong´o) erlebte ein traumatisches Erlebnis als Kind und kehrt doch mit ihrer Familie für einen Sommer an den Ort ihrer Kindheit - und des Geschehens - zurück. Sonne, Strand und Familienleben erwarten die vierköpfige Familie und mehr und mehr spürt Adelaide, dass etwas aufzieht. Ihre Angst wird noch verstärkt nach einem Strandtag mit Freunden und als plötzlich vier stumme Gestalten auf ihrem Grundstück auftauchen, bewahrheiten sich ihre schlimmsten Befürchtungen...
Trailer zu Wir
Mit Get Out schaffte es Jordan Peele nicht nur zu überraschen, ihm gelang auch ein großer Erfolg an den Kinokassen. Verpackt in einen auf den ersten Blick simplen Horrorfilm, versteckte der Regisseur Motive des alltäglichen Rassismus in unserer Gesellschaft. Nach diesem Debütfilm war klar, von Peele ist sicherlich noch Großes in Zukunft zu erwarten. Keine zwei Jahre später, liegt nun sein neuer Film Wir vor und darin geht er noch einen Schritt weiter.
Wie schon bei Get Out nutzt er das Medium Horrorfilm - aber nur als Vehikel für unzählige Ideen und Leitmotive, die sich über den ganzen Film erstrecken. War es vor zwei Jahren noch "leicht", Rassismus als Thematik zu identifizieren, fällt dies bei Wir deutlich schwerer, denn die Aussage des Films versteckt sich sehr viel stärker hinter Bildern und Metaphern. Das bedeutet, dass es kaum machbar ist, Peeles Idee vollumfänglich beim ersten Mal zu erfassen, Wir ist klar ein Kandidat für mehrere Sichtungen und bei jeder dürfte man neue Elemente erkennen.
Wahrscheinlich würde auch jeder Zuschauer erst einmal andere Interpretationen entwickeln, dessen was er sieht, denn Wir bietet an mehreren Stellen die Möglichkeit, den Inhalt auf ganz unterschiedliche Weise wahrzunehmen. Die Sicht auf den verfilmten Stoff hängt dabei stark von eigenen Erfahrungen und Empfindungen ab, was zu einigen interessanten Diskussionen führen dürfte.
Viel dazu trägt neben der Idee und Bildsprache (Hasen...) auch die Besetzung bei. Gerade die zierliche Allzweckwaffe Lupita Nyong´o liefert eine kraftvolle Doppelrolle ab, inklusive Fratzen und unheimlich maskuliner Stimme. Eine überraschende Darbietung, die man im ersten Moment vielleicht gar nicht erwartet hätte, trotz Oscar. Dabei konzentriert sich der Film neben ihr nur auf wenige weitere Personen, darunter ihr Mann, gespielt von Winston Duke, die beiden Kinder und das befreundete Paar, dargestellt von Elisabeth Moss und Tim Heidecker, und lässt die Geschichte sich auf kleinem Raum entfalten.
Es gibt weder den typischen Antagonisten, noch den typischen Handlungsverlauf. Die an vielen Stellen eingestreuten absurden Momente bilden auch immer wieder einen Kontrast zur Horroratmosphäre, ohne wie eine Komödie zu wirken. Ein Prinzip, welches bereits Get Out in seinen Genen trug und wohl ein Markenzeichen von Peeles Filmen sein dürfte. Gerade diese Ambivalenz, die aber keine Einordnung als Horrorkomödie zulässt, sorgt gepaart mit dem Gefühl, dass mehr hinter der Fassade steckt, sorgt für ein beklemmendes Gefühl. Irgendwann beginnt man sich Fragen zu stellen, nach Antworten zu suchen und diese Denkanstöße sind ein wohliger Kontrast zum üblichen Output im Kino, der vor allem zum Konsumieren anregt.
Ängste, Manipulation, die Spaltung der Gesellschaft, das Böse in einem jedem von uns! Starke Motive hat sich Peele für Wir herausgepickt und ohne diese explizit zu nennen, erzeugen sie unweigerlich Folgefragen. Im Kern eine absurde Story mit unheimlichen Momenten und einem markanten musikalischen Theme wird viel mehr geboten. Wie wirkt sich unser Verhalten auf andere aus? Wie werden wir durch unser Umfeld geprägt? Welche Verantwortung tragen wir für unsere Taten? Vieles erschließt sich einem erst eine geraume Weile nach dem Kinobesuch. Und trotz Sonnenscheins bleibt vor allem dieses beklemmende Gefühl haften, einen Horrorfilm zu sehen, der an einem nagt.