Bewertung: 3 / 5
Der Roman "Kind 44" des britischen Schriftstellers Tom Rob Smith stammt aus dem Jahr 2008 und war mehrfach international für Auszeichnungen nominiert. Ein fiktiver Roman, der zur Stalinzeit in Russland spielt, gewürzt mit politischem und persönlichem Drama sowie einer spannenden Kriminalgeschichte - das riecht regelrecht nach Preisen und so gewann der Autor mehrfach. Mit Kind 44 übersetzte Regisseur Daniel Espinosa das erfolgreiche Buch fürs Kino und scharrte dafür eine illustre Riege an namhaften Darstellern um sich.
Leo Demidow (Tom Hardy), ein gefeierter Kriegsheld des Großen Vaterländischen Krieges, steht als Geheimdienstoffizier fest hinter den kommunistischen Idealen der Sowjetunion. Eines Tages wird entlang der Moskauer Bahngleise die Leiche des Sohnes eines ihm bekannten Geheimdienstoffiziers gefunden. Die Zeichen sprechen deutlich für ein Gewaltverbrechen, doch unter Stalins glorreicher Führung darf es offiziell nichts dergleichen geben und so wird der Mord vertuscht. Als Demidows Frau Raisa (Noomi Rapace) eines Tages des Verrats verdächtigt wird, steht Leo zu seiner Frau und begibt sich mit ihr ins Exil nach Wolsk. Dort findet man plötzlich eine weitere Kinderleiche ähnlich zugerichtet wie in Moskau, was Demidow antreibt, den misstrauischen General Mikhail Nesterow (Gary Oldman) zu überzeugen, ihn mit dem Fall zu betrauen. Doch nicht zuletzt sein Widersacher Wassili (Joel Kinnaman), der von Demidow einst brüskiert wurde und zudem die Frau seines Kontrahenten begehrt, ist besessen darauf, ihn zur Strecke zu bringen...
Trailer zu Kind 44
Kind 44 Kritik
Was sich in der Kurzzusammenfassung von Kind 44 recht kompakt anhört, ist es mitnichten. Denn was zum einen Buchautor Tom Rob Smith vorlegte und von Drehbuchautor Richard Price später aufbereitet wurde, bietet Stoff für mindestens drei Filme. Das kann positiv sein - ist in diesem Fall jedoch ein eklatanter Nachteil. Ein Vorwurf, den wir vor allem Price machen, der versuchte, vielerlei Erzählstränge, die literarisch funktionieren, auch auf die Leinwand zu übertragen und dabei grandios scheitert. Grandios, weil man bei dem historischen Stoff und der Darstellerriege eigentlich davon ausgeht, dass der Film nur halten kann, was er verspricht.
Was hier an geschichtlich hochinteressanten und realen Hintergründen, Storylines und Dramen auf mehreren Ebenen verwoben wird, ist einerseits faszinierend, hinterlässt aber spätestens gegen Ende des Films sogar das Gefühl der Wut auf den Autor, der partout alles aufgreift, was nicht bei Drei auf den Bäumen ist. Endkampf 45 in Berlin nebst Flaggenhissung durch die Sowjets auf dem zerstörten Reichstag, der Holodomor in der Ukraine, Verfolgung unter Stalin, Landesverrat, Ehedrama, der Rachefeldzug zwischen Wassili und Leo, Verbannung, die Aussicht auf den Gulag, ein bisschen Waterboarding, Reue und Adoption und alles garniert mit der Klärung einer Mordserie - Chapeau! Schade nur, dass letztere, sozusagen die Cocktailkirsche auf diesem Potpourri, untergeht, denn viele Momente lenken zu sehr ab. Teilweise macht mancher Erzählstrang Sinn, um den Protagonisten Substanz mit auf den Weg zu geben, jedoch will Kind 44 einfach zu viel. Selbst die literarische Vorlage will schon auf jeder Party tanzen, doch machen vielerlei eingestreute Geschichten und Zufälle noch lange keine gute Handlung aus.
Zu viele gute Storys werden zu einer mauen verwoben und hinterlassen den Zuschauer recht ratlos, auch ob der konstruierten Zufälle. Dass Leo prompt nach der Verbannung nach Wolsk, locker 20 Stunden von Moskau entfernt, einen ähnlichen Mord erlebt, mag ein Zufall sein, doch spätestens als sich die Klärung des Falls ergibt und wir dem Mörder lauschen, wird es unrealistisch. Kein Wunder, wenn Hinleitungen aus dem Buch nicht konsequent aufgegriffen werden. Sicherlich hält auch das normale Leben für jeden von uns parallel Erlebnisse bereit, die - ob gut oder schlecht - nur das Leben schreiben kann, komprimiert auf einen Film wünscht man sich dennoch ab einem gewissen Punkt einfach nur noch eine geradlinige Erzählweise ohne ständige Sprünge und Ablenkung. Denn so tritt Kind 44 sowohl die dramatische Historie in der einstigen Sowjetunion als auch die Mordserie - inspiriert vom Serienmörder Andrei Tschikatilo - mit Füßen, die als gute Vorlage in einem mittelmäßigen Film verbraten werden. Es kann nicht jedes Detail aufgegriffen werden, was in Büchern noch funktionieren mag, und so sind auch die Darsteller Perlen vor die Säue.
Tom Hardy (The Dark Knight Rises) spielt grandios und besticht im englischen Originalton mit seinem russischen Akzent und seiner Dominanz. Von Gary Oldman (ebenda, zudem Planet der Affen - Revolution, Robocop) sieht man leider nicht so viel und Joel Kinnaman (Robocop) darf mal richtig unsympathisch sein. An ihrer Seite Noomi Rapace (Prometheus), die erneut überzeugt, jedoch sind Vincent Cassel (Die Schöne und das Biest) und Jason Clarke (Planet der Affen - Revolution) verheizt und auch für Charles Dance (Game of Thrones) reicht es nur für eine Minirolle. Die schauspielerische Leistung ist in Kind 44 über jeden Zweifel erhaben und rettet den Film ein ums andere Mal. Viele Szenen wurden stimmig umgesetzt, doch hilft diese Tatsache nicht, wenn alles in allem so unrund wirkt. Das Ende setzt noch einen drauf, das antiklimatisch wirkt. Die Klärung des Mordfalls, der "Zwist unter Kollegen" und das Finale, es ist einfach zu viel, was noch mal in den letzten zehn Minuten auf einen zukommt und vom eigentlichen Plot ablenkt. Doch was ist denn eigentlich der Plot...?
Kind 44 hätte ein genialer Film sein können, ein fast epischer Film, der das Potential über weite Strecken erahnen lässt, aber sich derart übernimmt, dass man sich nach dem Kinobesuch wünscht, die Macher hätten auch nur einen Gang zurückgeschaltet. Nur aufgrund der großartigen Darstellerriege und -leistung - allen voran Tom Hardy - vergeben wir 3 von 5 Hüten. Und weil der Film auf erschreckende Art und Weise ins Bewusstsein rückt, was die Menschen unter Stalin einst erdulden mussten. Alles andere wäre unfair.