Bewertung: 4 / 5
Es waren einmal ein Bäckerspaar, ein Mädchen im roten Cape, ein Junge und seine Kuh, ein Prinzenpaar, eine Magd in einem hübschen Kleide, eine Hexe und ein Mädchen in einem Turm. Sie alle trifft man in einem Wald voller Irrwege und Stolperfallen in einem weit entfernten Königreich. Und sie alle befinden sich aus verschiedenen Gründen dort. Es dauert nicht lange, bis sich das Schicksal der verschiedenen Märchenfiguren miteinander verwebt und sie mehr als nur ihren eigenen Pfad, ihre eigenen Wünsche und Träume, ins Auge fassen müssen...
Rob Marshall (Chicago) hat mit Into the Woods das gleichnamige erfolgreiche und preisgekrönte Broadway-Musical von Stephen Sondheim auf die Leinwand gebracht, der auch die Musik zum Film beisteuerte. Und es ist Marshall gelungen, einen Musicalfilm zu präsentieren, der aus der üblichen Masse heraussticht. Nicht leicht konsumierbar, wechselhaft im Ton und Stil, mit Ecken und Kanten und Märchenfiguren, die man so noch nie im Kino erlebt hat. Mit einer Musik, bei der nicht ein Ohrwurm den nächsten jagt, sondern die Musik die Handlung und die Charaktere sowie ihre emotionale Lage wiederspiegelt und trägt. Es wird viel gesungen, keine Frage, aber die Songs sind der treibende Rhythmus, der Pfad der Emotionen und Gedanken, eher ein gewobener Score durch den ganzen Film als voneinander deutlich abzugrenzende Lieder und Etappen - auch wenn manche Songs deutlich ihren je eigenen Fokus haben. Diese vereinzelten Perlen glänzen wie Tautropfen auf einem Spinnennetz, doch was zählt, ist das große Ganze.
Trailer zu Into the Woods
Und das gilt auch für die Märchenfiguren in Into the Woods. Ein langes Intro führt die Figuren alle auf ihrem je eigenen Pfad mit eigenen Wünschen und Zielen in den Wald hinein, und dieser Part ist fast komplett gesungen und daher schon eine harte Probe, selbst für Musicalfans. Danach entwickeln sich immer mehr Szenen, in denen gesprochen wird, und ab einem bestimmten Punkt überwiegt sogar die gesprochene Part. Je komplizierter und verwobener die Handlungsstränge werden, desto mehr betonen die Songs Momente des Innehaltens auf dem Pfad, der sich schon bald zum unsicheren Irrweg entwickelt. Und die Märchenfiguren immer weniger plakativ, immer menschlicher, mit erwachseneren Augen ins Licht rückt.
Die Songs in Into the Woods sind alle von den Darstellern selbst gesungen, neben den gecasteten Broadway-Stars beeindrucken hier vor allem die Filmstars mit ihrer Leistung. Meryl Streep (Im August in Osage County) als nicht plakativ böse Hexe kommt in Höhen, das glaubt man kaum, und hat dabei zudem eine sehr wandelbare Stimme. Die in den Höhen angenehm ist und in den Tiefen schön finster klingen kann. Johnny Depp (Lone Ranger) beweist als Wolf, dass er gehörig Sexappeal in seine Stimme legen kann. Er bekommt allerdings nicht viel Spielzeit eingeräumt. Ein wahres Highlight der komischen Art ist das Duett "Agony" der von Chris Pine (Jack Ryan - Shadow Recruit) und Billy Magnussen (The East) mit viel Augenzwinkern gespielten zwei Prinzen. Der Text, der Gesang wie auch die Art der Inszenierung sorgen für einen absurden Humor, der uns extrem gut gefiel. Definitiv die lustigste Stelle. Doch so lustig manche Momente sind, so berührend, traurig und nachdenklich stimmen andere Songs wie auch die sich immer mehr vom Märchenklischee entfernenden Verhaltensweisen der Figuren.
Wir wollen nichts spoilern, daher können wir nur sagen, dass es einige Überraschungen gibt. Und es aus unserer Sicht die kommende Cinderella-Verfilmung schwer haben wird, gegen die hier präsentierte Cinderella-Figur (Anna Kendrick, Happy Christmas) wie auch diese moderne, ungewöhnliche Gesamtinszenierung anzutreten. Botschaften gibt es reichlich, die sich Erwachsene und Eltern hinter die Ohren schreiben können. Gemeinschaftsgeist, sich gut zu überlegen, was man sich wünscht und warum man es sich wünscht, Umgang mit Verlust, Beziehungsfragen, Elternfragen, die Tatsache, dass jeder Mensch Fehler macht und man niemanden davor bewahren kann, Fehler zu machen - all das wird Thema. Und so ist es denn auch das wenig märchenhaft, dafür umso echter und lebendiger wirkende Bäckerpaar (James Corden und Emily Blunt), dessen Geschichte den Rahmen und auch das Zentrum von Into the Woods bildet, von dem aus sich der Märchenteppich ausbreitet und alle miteinander verknüpft. Schön düster und fantastisch ist das Ganze mit wirklich tollen Bildern inszeniert, natürlich mit Hauptfokus auf den Wald.
Auch die Kinderdarsteller Lilla Crawford (Annie-Musical) als gewitztes Rotkäppchen und Daniel Huttlestone (Les Misérables) als abenteuerlustiger Hans wie auch die anderen Hauptfiguren machen ihren Part großartig, darstellerisch findet man nichts zu meckern. Wir können uns gut vorstellen, dass Into the Woods spalten wird. Ein Musicalfilm ist schon nichts für Jedermann, dazu die wenig glatte Inszenierung - definitiv ein Film, den man mehrmals schauen sollte, der aber gerade aufgrund seiner Ecken und Kanten das Märchen, das sich Leben nennt, auf gelungene Art wiederspiegelt.
So mancher würde vielleicht weniger Punkte geben, aber für uns ist Into the Woods gerade weil es nicht alles glatt bügelt, nicht so gefällig ist, sondern weil man es sacken lassen muss, nachwirken lassen muss, seine vier Hüte wert. Wir können allerdings nicht mit dem Broadway-Musical vergleichen. Im deutschen Kino sollen die Songs von Into the Woods übrigens nur Untertitel bekommen, nur das Gesprochene wird synchronisiert. Wir halten das für eine gute Entscheidung, doch darüber kann man sich durchaus streiten. So oder so können wir den Kinobesuch nur empfehlen.